Traumfabrik
Männer haben es ja immer ein wenig schwerer, sich über ihre Gefühle klar zu werden und sie dann auch noch in deutsche Worte zu bringen. Ich versuch’s mal.
Dominante und devote Verhaltensweisen jenseits der Sexualität gibt es zuhauf auch bei Paaren, die nichts mit BDSM am Hut haben. Aber das tut hier wohl nichts zur Sache. Wir interessieren uns für die erotische Variante von dom-dev-Beziehungen. Auch hier differenziere ich: 24/7, also die Variante, bei der die dominanten und devoten Verhaltensweisen von Partnern, die in ihren Persönlichkeiten liegen, rund um die Uhr sexualisiertbar sind, soll ausser Betracht bleiben.
Viele von uns, einschliesslich mir, erwarten von einer Liebesbeziehung die Begegnung auf gleicher Augenhöhe, die Behandlung des Anderen mit Respekt und Vertrauen, die gemeinsam getragene und gleich geteilte Verantwortung für’s gemeinsame Leben. Also das, was heute mit dem Begriff bezeichnet wird, der auch für das Verhältnis von VW-Händlern zum Mutterkonzern im Wolfsburg passt: Partnerschaft.
Wie kommt man vom partnerschaftlichen Verhalten zum dominant-devoten Verhalten des erträumten Liebesspiels? Für mich ist dieser „Sprung“ durchaus nicht immer leicht. Der Schritt zurück ist nach einer gesunden Portion Schlaf und dampfendem Kaffee am nächsten Morgen meist leichter zu bewerkstelligen.
In der partnerschaftlichen Konstellation eines Paares ist dom-dev zunächst ein
Rollenspiel. Allerdings sind die Rollen keine wie auf der Theaterbühne erlernten, sondern das Paar lebt Anteile der eigenen Persönlichkeit erotisch stimulierend bewusst zur gemeinsamen Freude aus.
Dennoch ist der Vergleich mit dem Theaterspiel nicht zu weit hergeholt, denn wir als gesellschaftliche Wesen erfinden meist keine Rollen hundertprozentig neu, sondern bedienen uns am vielfältig vorhandenen Sortiment von Klischees. Ich kann mich z.B. als Dom nicht in geblümelten Bermuda-Shorts vorstellen, es muss schon schwarzes Leder sein.
Unser Dom-Dev-Spiel beginnt also, indem wir unsere Rollen einnehmen. Sichtbar ist dies für den Partner an äusseren Attributen, seien es bestimmte Verhaltensweisen, seien es bestimmte Kleidungs- oder Schmuckstücke. Meine Sub präsentiert sich etwa in einer erotischen Aufmachung, die absolut supermarktuntauglich ist. Damit signalisiert sie mir ihre Bereitschaft, sich auf ein Rollenspiel einzulassen und turnt mich gleichzeitig an.
Nur indem ich mit meinem Denken und Fühlen in meine Dom-Rolle hineingelange, schaffe ich es, Reflexe meines partnerschaftlichen Verhaltens (etwa die Rücksprache bei der Planung gemeinsamer Aktivitäten)
abzulegen und ganz Dom sein zu können. Gleichzeitig hilft mir das, mich von meiner geliebten Partnerin zu
distanzieren, also sie eher als ein fleischliches Lustobjekt zu sehen, das mir Vergnügen bereitet und an dem ich meine Macht auslassen kann, was dem Objekt wiederum Lust bereitet.
Unsere Rollen, die sich natürlich ständig weiterentwickeln, geben uns auch
Schutz: mich schützt meine Domrolle etwa davor, mich zu fragen, wie sehr ich jetzt gerade meiner Geliebten weh tue, wenn ich sie peitsche. Denn ein Dom fragt sich so etwas nicht, und wenn ich mich während einer Session so etwas fragen würde, würden mich Unsicherheiten überkommen, und das darf bei einer Session nun wahrlich nicht sein. Ich brauche so viel klaren Blick wie möglich.
Gegen wir in die Öffentlichkeit (Parties etwa), helfen unsere Rollen uns ebenfalls, gewisse Gedanken und Gefühle, die im Lebensalltag in bestimmten Situationen emporkämen, nicht haben zu müssen und uns auf unsere Lust konzentrieren zu können. So braucht meine Sub in ihrer Rolle keinen Gedanken an Scham zu verschwenden, denn schliesslich ist sie als Sub ja nicht verantwortlich für das, was geschieht – ihr Dom, ich, trägt die Verantwortung.
Das klare Bewusstsein der Rolle ist meines Erachtens der Schlüssel, die Gefühlsverwirrung, vor der Elissa sich fürchtet, nicht aufkommen zu lassen. Und wieder ist es wie im Theater; wenn der Vorhang fällt, wird aus dem blutbesudelten Macbeth wieder der nette junge Mann von nebenan, der der Oma die Einkaufstüte in den vierten Stock trägt.
Ich sagte, dass es dennoch nicht immer einfach ist, vom einen in den anderen Bezirk zu gelangen. Ich kann mich noch so dommig fühlen und mich mit meinem munteren Kopfkino mächtig angeheizt haben: wenn meine Geliebte meint, sie müsse jetzt zuerst mit ihrer Mutter telefonieren, ist es mit meiner Dominanz zunächst vorbei. Denn würde ich ihr dommig genug befehlen, dies nun nicht gerade jetzt zu tun, würde ich zwei Ebenen verwechseln: die des partnerschaftlichen Alltags mit der unserer erotischen Rollen. Wir sind also darauf angewiesen, dass
beide synchron Lust auf die Rolle haben. Wohl gibt es kleine Anzüglichkeiten, die man aussenden kann, wenn sie aber beim Partner nicht zünden, muss man als Dom eben Kohlen schaufeln und als Sub Fenster putzen.
Meine Sub und ich haben es nicht so sehr mit der deftigen Sprache, aber für deren Liebhaber scheint das Rollenbewusstsein umso passender: „Mach schneller, du geile Schlampe! – Ja, Meister, sofort! Danke!“ bringt man leichter und überzeugender über die Lippen, wenn das gemeinsam erarbeitete Drehbuch der Rollen im Kopf glasklar steht.
Dass man solche Rollen nur gemeinsam erarbeiten und erweitern kann, ist klar; dass dies sehr viel Reden bedarf, steht hier in jedem zweiten Thread, das muss ich also nicht vertiefen.
Dass unsere Rollen nichts „Äusserliches“, Aufgesetztes sind, sonder mit Herzblut geschrieben wurden und daher unsere Liebe in ihnen leuchtet, leuchtet sogar mit Bick auf Hollywoods Filmindustrie ein: aus so manchen Rollenpartnern eines Spielfilms wurden nach dem Dreh heiss verliebte Liebespaare.
stephensson
art_of_pain