Kapitel 2/1
II
Die ganze Kunst des Redens besteht darin,
zu wissen, was man nicht sagen darf.
George Canning
Ben Hawk erkannte, wie seine Frau Sara vor einer Person stand, die einen schwarzen Anzug trug. Der Mann stellte einen vornehmen und herrschaftlichen Charakter dar, auch wenn er ihn nur von hinten beobachten konnte. Die breiten Schultern des Mannes zeugten jedoch von einem ungeheureren Lebenswandel, die selbst Ben neidisch machten.
Der Mann, den der Wächter Meister genannt hatte, fixierte seine Frau kalt und berechnend. Es lag auf seltsame weise ein harter und grausamer Glanz darin, der vermutlich von der Dominanz seiner Lebensart herrührte. Die Erscheinung, ließ selbst den ausharrenden Bankkaufmann erschaudern, der inzwischen zu einer lebendigen Salzsäule mutiert war und sich nicht mehr bewegen konnte.
»Wie komme ich in den Orden von Art of Obsession?«, hörte Ben seine Frau, die ungeduldig von einem Bein auf das andere trat.
»Habe ich Dir eine Frage gestellt?«, hörte er das Gegenargument des Mannes.
»Nein, haben Sie nicht«, flüsterte Sara kleinlaut.
»Dann weis ich auch nicht, warum Du ausgerechnet mir eine Frage stellst?« Der Mann vor Sara, den Ben immer noch nicht erkannte, nahm einen Schluck aus seinem Weinglas und stellte es wieder auf dem Tisch neben sich ab, während seine Frau noch immer verloren im Raum stand.
»Verzeihen Sie mir«, hörte er sie.
»Dann werde ich Dir jetzt ein paar Fragen stellen, damit Du ein für alle Mal verstehst, warum Du hier bist und es keine Missverständnisse mehr gibt!«
Sara nahm ihre Hände nach hinten und verschränkte sie demonstrativ hinter ihrem Rücken.
»Du bist verheiratet?«
»Das ist richtig, Sie wissen...«. Sara versuchte ruhig zu sprechen, um sich keine Blöße zu geben.
»Ich weis Sara, doch ich möchte es von Dir hören!«
»Ja.«
»Ja, was?“ Sara blickte den Mann fragend an. Sie wusste keine Antwort. »Ja, mein Herr!“, dröhnte die dunkle Stimme durch den Raum.
Sara blickte erschrocken zu Boden. »Ja, mein Herr.«
»Dein Mann Ben weiß, das Du hier bist?«
Sara stockte erschrocken. »Nein, natürlich nicht!«
»Dann bist Du aus freiem Willen hier, um als eine devote Sklavin, in den Orden von Art of Obsession aufgenommen zu werden?« Sara sagte nichts und starrte nur fassungslos in den Raum. »Du bist heute so ruhig, willst Du nicht Deinem Meister antworten?«
»Ja natürlich, ich möchte schon, aber...«
»Aber es fällt schwer zu erkennen, wer man ist. Nicht wahr?«
»Ja, mein Herr.«
»Und was siehst Du, wenn Du Dich morgens im Spiegel betrachtest, Sara? Eine erfolgreiche Galeristin, eine stolze Sklavin oder die billige Schlampe eines reichen Bankkaufmannes?« Sara blickte den Mann vor sich verächtlich an. Ihre Augen glänzten unnatürlich hell, aber sie sagte nichts.
»Was ist es, Sara?«, fragte der Meister. »Ich sage es Dir, denn ich kenne Dich ganz genau. Als ich Dich zum ersten Mal bei Deiner Anreise in Toledo gesehen habe, hast Du die noble Galeristin gespielt, die über alles erhaben war und am anderen Tag bist Du mir bereits schon nachgelaufen!«
Sara blickte noch immer eingeschüchtert auf den Holzboden, denn sie wusste, dass er vollkommen Recht hatte.
»Wie auch immer. Du bist freiwillig, nach meiner Rückkehr aus Toledo, zurück gekommen und hast mich um eine zweite Chance gebeten. Und das obwohl Du mich vor meiner Abreise, einen perversen Künstler genannt hast der Dich nur sinnlos unterwerfen möchte. Der nur Deine sexuelle Neigung ausnutzen wollte, weil er Dich während seiner Abwesenheit an Rovére und Sadre übergeben wollte, um Dich weiter auf den Orden vorzubereiten?«
Sara wirkte verlegen, verloren, und ihr schien es sichtlich unwohl zu sein. Ben erkannte sie nicht mehr wieder, so sehr hatte sie sich in seinen Augen verändert.
»Du kannst Deine devote Natur nicht verleugnen Sara, nicht nach all dem was Du inzwischen erlebt hast. Und nicht nachdem ich Dir all die Dinge gesagt habe, die Du in dem Orden von Art of Obsession noch erwarten kannst. Ist es nicht so, meine kleine willige Lustsklavin?«
»Ich kann es nicht...« Sara schloss für einen Moment die Augen und drehte ihr verbittertes Gesicht zur Seite.
Der, um einen guten Kopf, größere Mann rutschte von seinem Sessel herunter, stellte sich breitbeinig vor Bens devote Frau und sah ihr direkt in die Augen.
»Geh auf die Knie...« In ihre Augen strahlte etwas auf, das Ben nicht deuten konnte. Ganz kurz, fast nicht zu erkennen, aber der Mann vor ihr erkannte es, wusste es und bemerkte es trotz ihrer unterdrückten Distanz zu ihm. Der Meister wusste nur zu gut, was ihre Reaktion zu bedeuten hatte, den er hatte tief in ihrem Inneren, das anvisierte Ziel getroffen.