@ ChriDan & alle: Eine Idee zur Kritikfähigkeit
In dem genialen Buch "
Die Psychologie sexueller Leidenschaft" haben wir eine hervorragende Erklärung gefunden für einige der hier auftauchenden und angesprochenen Probleme.
Daraus ergeben sich auch Konsequenzen und Tipps, wie hier gepostet werden könnte, um solche Probleme zu vermeiden. Wir alle könnten gemeinsam versuchen, daraus ein paar Regeln und Grundsätze zu erstellen.
Dankbar sind wir "
ChriDan" für die indirekte Anregung dazu: Eure Bemerkung, dass die meisten nur etwas Anerkennung brauchen (was nach der systemischen Theorie in der neuen Psychologie nicht unbedingt so zutrifft), hat uns auf die Sour gebracht. Daraufhin haben wir uns auf die entsprechende Lektüre gestürzt.
Und so versuchen wir, das hier nun in so einfachen Worten wie nur irgend möglich zu erklären, nämlich die Differenzierung in der systemischen Psychotherapie:
Wer kritisiert wird, hat oft das Problem, mit der Kritik nicht angemessen umgehen zu können. Häufig, so behauptet die herkömmliche Psychologie, liegt das am mangelnden Selbstwertgefühl der Betroffenen. Der systemische Ansatz will das gar nicht bestreiten, hält aber eine andere Ursache für bislang zu wenig beachtet und für wesentlich bedeutender als Ursache dafür: nämlich die mangelnde Fähigkeit der meisten Menschen, im Umgang mit anderen differenziert zu denken.
Kritik richtet sich in den seltensten Fällen gegen einen Menschen insgesamt (bei Beschimpfungen wie z. B. "Du Arschloch" mag das anders aussehen). Es wird meist eine bestimmte Handlungsweise, ein Verhalten, ein geäußerter Satz oder eine klar definierte Tat kritisiert. Man beachte: nicht der ganze Mensch an sich.
Wer das differenziert wahrnehmen kann, denkt und fühlt z. B. folgendes: "Der andere kritisiert nur, was ich getan (oder gesagt) habe (oder eine bestimmte Seite von mir). Mehr nicht. Das ist sein gutes Recht. Er krisitsiert nicht mich als Mensch in meiner Gesamtheit. Sondern er mag mich vielleicht sogar dennoch, findet vieles an mir großartig. Aber er hat Probleme mit dem, was ich da gestern getan habe. Ich bin von dieser Kritik also nicht bedroht und muss mich nicht dagegen wehren, sondern kann sie mir in Ruhe anschauen, prüfen und angemessen darauf antworten.
Wer nicht differenziert wahrnehmen kann, fühlt sich in seiner Gesamtheit bedroht („der kritisiert mich, also mag der mich nicht und findet mich überhaupt ganz unmöglich“) - und schlägt erstmal blind zurück oder kriegt es mit der Angst zu tun und verkriecht sich in seinem Schneckenhaus.
Das gleiche gilt für Lob, Anerkennung und Liebe. Wer nicht differenzieren kann, vermag nicht zu sehen, dass bestimmte Bereiche an ihm liebens- oder lobenswert erscheinen, obwohl er selbst vieles an sich schrecklich findet, und denkt vielleicht: „Der lobt mich? Bloß wegen dieser Kleinigkeit. Da kann was nicht stimmen!“ oder: „Der liebt mich, obwohl ich so bin, wie ich bin. Der lügt!“
Anstatt auch das Lob wegen einer vermeintlichen Kleinigkeit zu genießen oder zu begreifen, dass man durchaus liebenswerte Seiten hat, auch wenn man sich insgesamt selbst nicht sonderlich toll findet – und das Positive einfach anzunehmen und zu genießen.
Kennen wir nicht alle viele Menschen, denen man noch so viel Liebe geben kann - es ist nie genug? Sie sind wie ein Fass ohne Boden! Dabei kriegen sie genug. Auch Anerkennung und Lob kann man ihnen so viel spenden, wie man nur will – sie haben nie genug.
Das liegt nicht etwa daran, das sie nicht genug Liebe, Lob, Anerkennung in der Kindheit oder in ihrem bisherigen Leben bekommen haben (das kann sein, kann aber auch nicht sein, doch vor allem ist das hier einfach egal), sondern vor allem daran, dass sie es nicht annehmen und damit nicht umgehen können. Hätten sie bisher alle Liebe und Anerkennung der Welt bekommen, sie würden sich dennoch klein, unwürdig und ungeliebt fühlen – weil sie es nicht annehmen können.
Man kann ihnen z. B. tausendmal sagen: „Das war jetzt aber klasse von dir!“ – sie werden es kaum wahrnehmen. Doch ein einziges Mal „Das fand ich jetzt nicht so gut!“ reicht aus, um ihre ganze Welt einstürzen zu lassen.
Beides ist natürlich völliger Unsinn. Das Positive wird kaum gesehen, weil man sich davor fürchtet (man kann es sowieso kaum glauben, und das tut weh), obwohl man sich danach sehnt. Und das Negative wird maßlos überbewertet, weil man davor nackte Angst hat (sich in seiner Gesamtheit bedroht fühlt). Und es liegt nur an ihrer Unfähigkeit, ihre Mitmenschen und sich selbst im sozialen Umgang miteinander differenziert wahrnehmen und einordnen zu können.
In einem höheren Sinne führt das übrigens zu der ebenso interessanten wie berüchtigten Problematik von Nähe und Distanz in Paarbeziehungen. Wer andere und sich selbst nicht differenziert sehen kann, fühlt sich von zuviel Nähe gleich vereinnahmt, quasi verschlungen, fürchtet sich zu verlieren (weil er ja scheinbar keine klar und differenziert wahrnehmbaren Grenzen seiner selbst und der anderen sieht) – und ergreift die Flucht. In der Distanz spürt er aber, dass er, um sich selbst überhaupt als lebendes Wesen spüren zu können, die Nähe und Intensität des anderen braucht.
So fürchtet er, wonach er sich am meisten sehnt. Und spielt das verzweifelte Spiel von Nähe und Distanz. Dabei würde es genügen, könnte er endlich lernen, sich selbst ebenso differenziert wahrzunehmen wie die anderen, also einfach zu begreifen und zu spüren (!), dass er immer etwas wert ist, dass er da ist, dass es ihn gibt - egal ob er mit anderen zusammen ist und ob sie ihn anerkennen und bestätigen oder nicht, egal ob er geliebt oder nicht geliebt wird, egal ob er abgelehnt oder kritisiert wird, weiß er doch, dass alles niemals die ganze Person insgesamt betreffen kann.
Er ist nicht mehr auf Lob, Anerkennung, Nähe, Liebe etc. angewiesen, um sich überhaupt als jemand zu fühlen. Und so kann er dies alles weit intensiver genießen, wenn es dann mal da ist. Und er braucht auch keine Kritik zu fürchten, denn er ist immer noch jemand und etwas wert, auch wenn man eine Handlung oder eine Eigenschaft von ihm nicht mag oder kritisiert. Er ist nicht in seiner gesamten psychischen Existenz bedroht – weder von Ablehnung noch von Nähe."
Wer sich intensiver damit befassen will, dem sei das oben genannte Buch wärmstens ans Herz gelegt (und natürlich gibt es noch zahlreiche andere Literatur dazu, doch nachdem wir hier beim Joyclub sind ...