Hingabe und Hernahme
Schöner Thread.
Passiones Zitat des Theologen Klaus Koeppe bringt die Frage nach der Hingabe bestens auf den Punkt.
Mir war insbesondere die Unterscheidung der Hingabe von Weggabe und Selbstaufgabe wesentlich. Und dann das Schlusscrescendo: "Die höchste Form menschlicher Hingabe ist die Liebe."
Lasse ich meine Gedanken weiterkreisen, kommen ein paar seltsame des Wegs daher:
Wieso finden wir, die Superspezialisten für D/S, gerade bei einem christlich geprägten, theologisch gebildeten Lebensberater die beste Erläuterung von Hingabe? Gründet BDSM also doch mehr im Christentum, als wir wahrhaben wollen? Ist das Urbild der Hingabe, von dem wir in unseren D/S-Fantasien immer noch zehren, nicht Jesus Christus? …. ähm …. war ja gerade auch Karfreitag ….Und Elissa schrieb ja auch schon: "Der Unterschied zwischen der Hingabe in einer Beziehung und Hingabe im religiösen ist im Grunde vielleicht gar nicht so groß."
Jesus' Hingabe hiess früher "passio". Ich denke an die Passion meiner Sub und zünde zwei Kerzen an, bevor mir auffällt, dass passione63 doch ein Dom ist, oder nicht?
Ja, halt mal: wie steht es überhaupt mit uns Doms? Die Hingabe der (des) Sub wurde ja wunderbar erläutert, einschliesslich ihrer höchsten Form: der Liebe. Und was ist dann mit uns Doms? Wir als Empfangende der Hingabe unserer Subs sind also von deren höchster Form, der Liebe, ausgeschlossen? Wir Doms – Pharisäer?
Kann ja, darf ja wohl nicht sein. Auch wenn so mancher Mensch seine mangelnde Liebesfähigkeit hinter einer Dom-Fassade verstecken mag, möchte ich mein Weib zunächst
lieben, und danach können wir gerne über Subs und Doms reden.
Also muss ich auch für uns Doms das Wort "Hingabe" in Anspruch nehmen. Auch in meinem Dom-Sein ist für mich wohl verstandene Hingabe an meine Sub höchstes Ziel und Glück. Auch ich "fließe zu dem Objekt meiner Hingabe, um durch dieses bereichert zu werden" (Koeppe), wenn ich böse Brustwarzenklammern an ihren Nippeln befestige, denn ich will ganz bei ihr sein, sie spüren, ihre Gefühle erfassen, denn nur so kann ich mit ihrer Grenze spielen, an der Schmerz in Lust und Lust in Schmerz umschlägt. "Hingabe ist ein dialogischer Prozess".
Also schön – nur: wenn sich Sub Dom und Dom Sub hingibt, je auf verschiedene Weise, aber in der Essenz identisch, dann taugt der Begriff "Hingabe" nicht mehr, um Sub-Sein vom Dom-Sein abzugrenzen. Und im Lichte von Koeppes Text müsste ich sagen: Hingabe hat überhaupt nichts Spezifisches BDSMlerisches.
Jede gelungene Liebesbeziehung ist von Hingabe beider Beteiligten geprägt.
Wenn ich einen lieb gewonnenen Begriff auf Grund neuerer, besserer Einsichten aufgeben muss, ärgert mich das. Lässt sich der Begriff "Hingabe" nicht doch noch für das Sub-Sein retten?
Die Hingabe ist ein Geben. In der Hingabe gibt Sub ihr Ich. Dom empfängt die Gabe, nimmt sie her. Wäre Sub durch Hingabe geprägt, müsste Dom sich durch
Hernahme auszeichnen. Dom nimmt das Ich der Sub, das sie in ihrer Hingabe gibt,
zu sich her. Er nimmt es sich zu Herzen. So ist Subs Ich am Herzen des Doms gehütet.
Dom ist der Hüter des Ichs der Sub. Im Hüten vollzieht Dom seine Hernahme. Dom ist der Hirte des Ichs der Sub, indem er es an seinem Herzen hütet, d.h. in seiner Reinheit und Liebe bewahrt. Dieses Bewahren in der Hernahme ist
Doms Liebe.
Klingt ja schon 'mal nicht schlecht, obwohl ich hinterrücks wieder christlichem Denken erlegen bin, denn das Vorbild des "guten Hirten" ist natürlich schon wieder Jesus Christus, der seine "Schafe" weidet. Aber das macht ja vielleicht auch nichts, denn der Junge muss ja nicht Unrecht gehabt haben.
Und wenn ich Elissas Gedanken ernst nehme, dass Hingabe ein religiöses Gefühl sei, hiesse das, dass Dom in seinem Dom-Sein Gott spielt. Denn in der religiösen Hingabe gibt es nur einen, der die Gabe der Hernahme hat: Gott. Puh …. jetzt habe ich das Gefühl, mich hätte ein Bus gestreift. Gleich taucht der Gedanke auf, dass BDSM eine verkappte Ersatzreligion ist …
Es wäre wohl 'mal interessant, zu klären, wie Asiaten, die eher buddhistisch als christlich geprägt sind, D/S-Beziehungen verstehen. kyto ist ja leider schon längere Zeit hier abstinent, der wüsste vielleicht 'was dazu.
Wie auch immer – vielleicht genügen diese Gedanken zunächst einmal, um passiones österliche Philosophiegelüste zu befriedigen.
stephensson
art_of_pain