Entschuldigung das Mindestmaß
Wie einige von euch wissen, hatte ich einen mehrfachschwerstbehinderten Bruder, dessen fünfzigster Geburtstag
und gleichzeitig zwanzigster Todestag der 10. Juli 2007 sein
wird.
Seine Behinderungen unter anderem:
er wurde mit offenem Rücken geboren
beide Beine und sein rechter Arm waren verkrüppelt
ein halbes Ohr musste ihm angenäht werden
sein Intelligenzquozient sehr sehr niedrig
ein Hydrocephalus (deutsch: Wasserkopf)
Seine ursprüngliche Lebenserwartung = drei bis vier Jahre
Alle die ihn kannten haben ihn geliebt.
Er war in der Lage, ein Lied nach erstmaligem Hören auf seiner
Orgel zu spielen.
Aber das nur am Rande erwähnt.
Ihm habe ich ja bereits im vergangenen Jahr, noch unter meinem
Nick Prinz_Valium, einen Thread gewidmet.
Die Tatsache, dass ich von jeher in einer besonderen Beziehung
zu behinderten Mitmenschen stehe, bedingt also einen anderen
Blickwinkel als es wohl den meisten möglich ist.
Die Öffentlichkeitsarbeit der >Aktion Mensch< und vielen weiteren
Behindertenverbänden- und organisationen in unserem Land hat
zum Glück bereits viele Früchte getragen.
Ein großer Teil der Bevölkerung betrachtet die gehandicapten Bürger
mittlerweile als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft. Es wird
erfolgreich daran gearbeitet, die Integration zu ermöglichen, zu
verbessern und zu optimieren. Bis dahin ist es noch ein sehr weiter
Weg, aber wir befinden uns in Deutschland auf dem richtigen.
Was mich schon immer wahnsinnig störte war und ist der unüberlegte,
teilweise beleidigende sprachliche Gebrauch gewisser Merkmale und
Bezeichnungen. Auch hier macht der Ton die Musik.
Gehe ich gedankenverloren durch die Fußgängerzone stumm und stumpf
an einem guten Bekanten vorbei, ist es absolut in Ordnung, wenn er mir:
"Ey! Du Blindfisch!", "Blinde Nuss!" oder ähnliches an den Kopf wirft, weil
ich erstens genau weiss wer es sagt und zweitens er damit ja auch Recht
hat.
In einem Thread habe ich mich vor einiger Zeit auch schon darüber
ausgelassen, dass ich es für korrekt und auch für wichtig halte, Witze
über Behinderte zu machen, da es sonst nur eine andere Form der
Ausgrenzung wäre.
Wie oft habe ich anderen Kindern, die abfällige und verletzende
Äußerungen im Bezug auf die damals noch "Sorgenkinder" genannten
machten, zunächst verbal, bei anhaltendem Verhalten dann mit meiner
Hand eins auf die Nase gehauen!
Und es war mir egal wenn sie stärker waren. Danach fühlte ich mich,
auch mit 'blauem Auge', wesentlich besser.
Heute argumentiere ich natürlich ausschließlich mit Worten.
Oft genug bekam ich die Antwort:"Ach! Das wusste ich ja gar nicht
dass du einen behinderten Bruder hast!"
Tolle Antwort!
In den 70er Jahren war es bei den Kindern und Jugendlichen in unserer
Stadt im Trend, andere mit dem Begriff "Mongo-Spastie", also einer
Kombination aus dem 'Daun-Syndrom' und der Spastik, zu titulieren.
Habe ich das gehasst!
Es dauerte eine Zeit, bis man es sich (in meiner Gegenwart) verkniff.
Höre, lese, sehe ich in heutiger Zeit, auch wenn es vielleicht oder gerade
weil es unbedacht war, Entgleisungen gegenüber Behinderten, fahre ich
noch mindestens so aus meiner Haut wie vor dreißig Jahren.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich das Vergnügen, als ich mit
einem Freund in einer Spielhalle Billard spielte.
Vor einem Geldspielgerät saß ein Gehörloser, der halt gelegentlich für
normale Menschen unverständliche Laute von sich gab.
Zwei Herren nahmen dies zum Anlass, sich auf´s Heftigste darüber
lustig zu machen.
JA! Ich habe den beiden gedroht! Aber nicht mit der Faust und ebenfalls
nicht mit dem Queue! Danach waren sie aber sowas von ruhig, obwohl
sie mir körperlich weit überlegen waren.
Von einem halbwegs intelligenten, gebildeten und mit Lebenserfahrung
ausgestatteten Menschen erwarte ich ein Auftreten, das solche
Entgleisungen nicht zulässt.
ZU VIEL erwartet?
Und wenn ihm doch einmal etwas rausrutscht, sollte er sich unverzüglich
entschuldigen. Das heisst, wird ihm der Fehler bewusst oder wurde er
darauf aufmerksam gemacht, sollte er nicht tagelang nach einer
Entschuldigung, oder schlimmer noch, nach einer Ausrede suchen.
Häufig genug reichen schon kleine Gesten, merklich von Herzen kommend,
die andere erfreuen.
Was nutzt es jemandem, der beleidigt wurde, wenn ihm lange Erklärungen
für eventuelles Fehlverhalten in die Ohren oder vor´s Auge kommen?
Wohl sehr wenig.
Ein Motto des JOYclubs lautet:
"Seid nett zueinander!"
Ein schönes Motto!
Doch wie im "wahren" Leben ist dieses nur bedingt möglich. Aus manchen
Dingen ergeben sich zwangsläufig Reaktionen, die nicht mehr als 'nett' zu
bezeichnen sind. Aber alles in allem sollten sie den korrekten Ton treffen.
Dieses Thema lag mir schon lange am Herzen, da ich meine Ohren und
Augen diesbezüglich nicht verschließen kann und will!
Etwaige aktuelle Geschehnisse dienten lediglich als Katalysator...
Prinz_Diazepam
http://www.hubbe-cartoons.de/
Wikipedia
Phil Hubbe (* 1966 in Haldensleben) ist ein deutscher Cartoonzeichner.
Der Magdeburger arbeitete nach einem abgebrochenen Mathematikstudium als Schichtarbeiter in einem Keramikwerk und als Wirtschaftskaufmann. 1985 erkrankte er an Multipler Sklerose; die richtige Diagnose wurde aber erst drei Jahre später gestellt. Seit 1992 hat er das Zeichnen zu seinem Hauptberuf gemacht und befasst sich dabei oft humorvoll mit dem Thema Behinderung. Mit seinen Zeichnungen war er ab 2001 an diversen Ausstellungen beteiligt; 2002 kam er beim Deutschen Preis für die politische Karikatur auf den dritten Platz. Er arbeitet für über 20 Tageszeitungen, Zeitschriften etc., ferner gestaltete er Postkarten und 2005 den Handicap-Kalender und hat bereits einen eigenen Cartoonband herausgebracht. Phil Hubbe ist verheiratet und hat eine Tochter.
Der Magdeburger arbeitete nach einem abgebrochenen Mathematikstudium als Schichtarbeiter in einem Keramikwerk und als Wirtschaftskaufmann. 1985 erkrankte er an Multipler Sklerose; die richtige Diagnose wurde aber erst drei Jahre später gestellt. Seit 1992 hat er das Zeichnen zu seinem Hauptberuf gemacht und befasst sich dabei oft humorvoll mit dem Thema Behinderung. Mit seinen Zeichnungen war er ab 2001 an diversen Ausstellungen beteiligt; 2002 kam er beim Deutschen Preis für die politische Karikatur auf den dritten Platz. Er arbeitet für über 20 Tageszeitungen, Zeitschriften etc., ferner gestaltete er Postkarten und 2005 den Handicap-Kalender und hat bereits einen eigenen Cartoonband herausgebracht. Phil Hubbe ist verheiratet und hat eine Tochter.