Absturz
Teil 7: Die Nachsorge
Durch BDSM können sehr tiefe Gefühle erzeugt werden. Diese bilden dann zwischen den Partnern eine sehr starke Bindung. Diese Emotionen sind etwas sehr schönes und besonderes, können aber auch gefährlich werden. Wer hoch schwebt, kann auch tief fallen. Daher sollten beide Partner auch in sich gefestigt sein. Dies hat nichts mit der Härte des Spiels, sondern eben mit den intensiven Gefühlen zu tun. Besonders intensiv können diese Gefühle werden, wenn man sich dem anderen ganz hingibt. Wer gerade durch die Kombination von Dominanz und Wärme gehalten und damit im Innersten berührt wird, kann im Guten wie auch im Schlechten sehr heftige Emotionen erfahren. Kommt es dazu, dass jemand im freien Fall emotional zu Boden geht, spricht man von einem Absturz. Die Sicherheitsleine, die einen vor dem totalen Aufprall schützt, ist unter dem häufig verwendeten Begriff "Auffangen" bekannt. Auffangen bedeutet für mich, den Part psychisch zu stabilisieren, ganz losgelöst von den eingesetzten Mitteln. Dazu gehören aber immer zwei Akteure: Der sichere Fänger, aber auch der Fallende, der idealerweise Signale aussendet und sich in die Hände des anderen und eben nicht in sich selbst flüchtet.
I. Die Gründe
Meist hat ein Absturz nichts mit falschem Handeln der Akteure zu tun, sondern hängt mit der Tagesform oder gar mit einem unbewussten Bedienen gefährlicher Knöpfe zusammen, welche die Partner so gar nicht kannten. BDSM bedeutet Verantwortung und damit verbunden Ehrlichkeit. Ehrlichkeit zu sich selber und auch gegenüber dem Partner. Wenn es in der Vergangenheit dunkle Erlebnisse wie Missbrauch oder Vergewaltigung gab oder es aktuelle Angstzustände und heftige moralische Bedenken gibt, so sollte dies der Partner wissen. Nur so kann er vorbereitet sein, wenn es zu einem Absturz kommt, der auf diesen Gegebenheiten und den damit verbundenen aufgestauten oder unterdrückten Emotionen beruht. Sowohl Dom als auch Sub können in ein solches tiefes Loch fallen. Häufiger sind jedoch die Subs hiervon betroffen.
Ein Dom kann primär aus zwei Gründen in einen depressiven Zustand verfallen, der aus dem Spiel heraus resultiert. Vor allem Neulinge haben Probleme damit, BDSM in ihre Wertvorstellungen zu integrieren und es kommt zu großen Gewissensbissen. Hervorgerufen wird dies oft durch die Spuren, die Sub zugefügt wurden und die zum Teil noch nach Tagen sichtbar sind. Aber auch direkt nach einem Spiel kann es geschehen, dass Dom das Gefühl hat, einfach zu weit gegangen zu sein, auch wenn das Spiel beiden Spaß gemacht hat oder er hat Angst davor, seine dunkle Seite irgendwann nicht mehr unter Kontrolle haben zu können. Gerade wenn Hemmschwellen (die auch ein Top hat) im Spiel überwunden worden sind, sind sie das im Alltag noch lange nicht. Natürlich bleiben diese Hemmschwellen im Alltag vorhanden, aber dies immer logisch strikt zu trennen fällt vielen nicht gerade leicht. In seltenen Fällen ist es aber auch ein anderer Grund: Auch wenn Dom Sub benutzt hat im Spiel, fühlt er sich selber danach benutzt. Dies geschieht meist dann, wenn Dom seiner Sub zuliebe gespielt hat, sei es weil sie ihn drängte oder auch nur um ihr etwas Gutes zu tun. Wie oben geschrieben, bedeutet BDSM auch Verantwortung (für sich und seinen Partner) und Ehrlichkeit. Ein Dom, der versucht einen Absturz zu überspielen, weil solche Gefühlsanwandlungen mit seinem Selbstbild eines Doms nicht vereinbar sind, gefährdet seinen Partner. Beim nächsten Mal könnte er die Kontrolle verlieren und damit wäre er nicht mehr in der Lage, verantwortungsvoll zu Führen. Selbstehrlichkeit und nicht Selbstherrlichkeit zählt zu den Grundanforderungen, an denen sich jeder Dom messen lassen muss.
Ein Sub kann in der gleichen moralischen Zwickmühle sein. Oft mach Neulingen etwas Spaß, was einfach nicht in ihre eigenen Wertvorstellungen integrierbar ist oder er/sie tut etwas nur, weil Dom dazu Lust hat. Zu einem Spiel gezwungen zu werden, mag oftmals als sehr angenehm empfunden werden. Sub will ja die Macht von Dom spüren. Aber manchmal gibt es eine innere Blockade, die, wenn sie durchbrochen wird, große Schäden anrichtet. Manchmal entsteht diese Blockade auch im Spiel. In diesem Fall oftmals, wenn Tabus gebrochen werden oder Alltagsstress ins Spiel mit einspielt. Sub lässt dann die Handlungen über sich ergehen und ist in sich selber gefangen. Das kann so weit gehen, dass Sub das vereinbarte Safeword nicht mehr sagen kann und das Spiel wie eine Vergewaltigung empfunden wird. Das Problem mit den unterschiedlichen Bedürfnissen (Wertvorstellungen) von Sub und ihrem "Alltags-Ich" kann sehr gravierend werden. Beide Teile des Menschen können um die Vorherrschaft konkurrieren, wobei das gar nicht nötig ist, da sie die Teile eher als ergänzend ansehen sollte. Ich kenne selber diesen Kampf - der mir damals sehr nahe ging - einer Frau, die große Probleme damit hatte, Frau und Sklavin nicht als Konkurrenten anzusehen. Bei ihr ging es so weit, dass sie davon träumte, dass die Sklavin in ihr die Frau in ihr ermorden wolle. Dieser Kampf kommt nicht selten vor, ist aber nur sehr selten so ausgeprägt wie in dem beschriebenen Beispiel. Betroffen von schweren psychischen Störungen sind vor allem labile Persönlichkeiten, bei denen eine große Diskrepanz zwischen "Alltags-Ich" (meist recht dominant bzw. sie halten sich dafür) und Sub (meist sehr ausgeprägt devot) vorhanden ist. Bei labilen Personen sollte kein Spielname (= Name einer Sub, welcher nicht der eigentliche Name der Person ist und womit nur Sub, aber nicht die Person im Ganzen angesprochen wird) gebraucht werden, da es die Entwicklung zweier konkurrierender Persönlichkeiten fördert. Ein anderes Problem ist ein eher körperliches. Nach dem Hochgefühl einer Session, in der viele Glückshormone ausgeschüttet werden, kann es zu einem Fall in ein tiefes Loch kommen. Wie bei jedem Rausch, kann es auch bei einem rein hormonellen nach der Session zu einem Kater kommen.
II. Erste Hilfe und Nachsorge
Bei einem akuten Absturz in einer Session sollte zuerst einmal eine normale Situation hergestellt werden. Ist der Stürzende gefesselt, befreit ihn. Hierzu zählen nicht nur Fesseln, sondern auch Halsbänder und Korsagen. Kümmert euch danach fix um die räumliche Atmosphäre. Harte Musik, die bei einer Session nett sein mag, schadet hier nun eher, ebenso ist es evtl. mit der Beleuchtung und dem Spielzeug. Vor allem wenn ein spezielles Spielzeug der Auslöser war, muss dies aus dem Blickfeld des Betroffenen verschwinden. Egal was ihr macht, zeigt immer Präsenz, mit Worten, aber auch Blicken und wenn es förderlich ist, mit Berührungen (nehmt den anderen in den Arm, drückt ihn an euch und zeigt, dass ihr für ihn da seid). Je mehr Sinne ihr ansprecht, umso schneller dringt ihr zu ihm durch. Spendet Trost und Wärme, je mehr, desto besser. Wenn ihr wirklich kurz den Raum verlassen müsst und der Gestürzte kann/will nicht mitkommen, dann redet weiterhin mit ihm und kehrt möglichst schnell zu ihm zurück.
Egal wo die Probleme liegen, wirklich gelöst werden können sie nur, wenn sie aufgearbeitet werden. Das geht sehr gut durch reden, reden und nochmals reden. Reden bedeutet aber nicht, jedes Detail haarklein zu analysieren, sondern eher die Ursachen zu erforschen und Mittel und Wege zu finden, besser zu kommunizieren und Schutzmechanismen einzubauen. Dies alles sollte möglichst zeitnah geschehen, denn Probleme, die man mit sich rumschleppt, werden nicht weniger, sondern belasten mit der Zeit immer mehr. In einer Partnerschaft ist dieses meist leichter, da man einen gewissen Zugang zu dem anderen hat. Freunde, die eine gewisse eigene BDSM Erfahrung haben, können aber auch weiterhelfen und in einer Gruppe von Gleichgesinnten wird es sicherlich Personen geben, die etwas Ähnliches schon durchgestanden haben. Sollte dieses negative Gefühl jedoch von Dauer sein und sollte es zu Alltagsproblemen führen oder gar selbst eines werden, dann sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
III. Problem Zweitbeziehung
Eine andere Gefahr eines Absturzes kann die Entfremdung vom Partner sein, sollten die Bedürfnisse gerade nicht mit diesem, sondern mit einer Affäre ausgelebt werden. Hier gibt es das schlechte Gewissen dem Partner gegenüber oder auch ein Hass, dass dieser selber mit einem nicht spielen will. Aber selbst wenn alles geklärt ist und man anderweitig spielen darf, gibt es Gefahren. Gerade Subs neigen dazu, intensivere Gefühle zu entwickeln je mehr und je intensiver das Spiel ist und je weiter man zusammen geht, denn sie geben viel mehr als Doms bei einem Spiel (Vertrauen, Hingabe, Respekt etc.). Ist Sub recht spielerfahren und eine sehr gefestigte Person, mögen die Gefahren geringer sein.
Mir ist es erlaubt den Text hier zu posten, er stammt aus der Reihe BDSM, wie geht denn das? und ist unter folgenden Link veröffentlicht worden:
http://www.gentledom.de/_rubric/detail.php?nr=1238&rubric=SM%2C+wie+geht+denn+das%3F&