Aber sicher!
Liebe wiredbrain
Ich finde, du schneidest hier ein interessantes Thema an, dass besonders für Anfänger nützlich sein kann. Wenn ich die verschieden Themen/Beiträge hier im JC durchlese, so fallen mir immer wieder die vielen verunsicherten oder ratlosen Neulinge auf, die noch nicht recht wissen, was sie wollen, oder schon erste negative Erfahrungen hinter sich haben.
Du verwendest Wörter wie Bauchgefühl, Mut, Abstürze etc. Getrieben von Verzweiflung und Geilheit gehen viele unnötige Risiken ein und leiden dann an den Folgen oft ein Leben lang. Wenn der Linienpilot ohne Instrumente bei Nebel landen will, so nützt ihm die ganze Ausbildung nichts, eine missratene Landung ist höchstwahrscheinlich!
Auch wenn die Rechtssprechung BDSM als risikoreiche Tätigkeit würdigt, so sind die Schäden oft nicht körperlicher Natur, sondern seelischer. Seelische Schäden können auch zu einer Anzeige führen oder gar vor Gericht enden!
Ich versuche nun einen kleinen Beitrag zu leisten, in der Hoffnung, dass der Anteil der positiven Erfahrungen zunimmt. Meine Ausführungen sind bewusst sehr offen und wage, ich will hier niemanden in ein Schema pressen.
Für alte Hasen mag vieles selbstverständlich sein, aber offenbar kann es leider nicht oft genug wiederholt werden. Die Wörter Dom und Sub verwende ich nicht geschlechterspezifisch, es geht mir hier eher um Rollen, die man einnehmen kann und will.
Das Leben besteht meiner Meinung nach sowieso aus verschiedenen Rollen: Beruf, Familie, Sport, Hobby etc. In jeder Rolle hat man unterschiedliche Werte, Glaubenssätze und Fähigkeiten und man verhält sich auch dementsprechend verschieden.
Nichts gegen 24/7, TPC etc., aber ich glaube es ist nicht unbedingt von Vorteil, wenn man an einem Fussballspiel oder Kinderfest mit einem Verhalten und Outfit teilnimmt, das eigentlich in den Darkroom gehört. Letztendlich ist es egal, ob Eintagesfliege oder langfristige Partnerschaft, was nun folgt, kann, ja sollte überall anwendet werden. Es kann übrigens auch auf andere Bereiche der zwischenmenschlichen Kommunikation und Beziehung angewandt werden
Du verwendest das Wort Mitverantwortung, dass meiner Meinung nach aus zwei Teilen besteht: Bei „Mitver“ geht es hier wohl um gemeinsames, zwischenmenschliches und bei „antwortung“ geht es wohl um die Kommunikation. Einer Antwort (verbal oder nonverbal) geht immer ein Auslöser voraus (verbal oder nonverbal).
Wer BDSM oder sonst irgendeine freiwillige Aktivität betreibt, tut dies normalerweise um eigene Bedürfnisse, Phantasien, Wünsche etc. zu befriedigen. Es ist deshalb von Vorteil zu wissen, wo die eigenen Bedürfnisse im BDSM liegen. Und wenn man diese Leidenschaft mit einem anderen (oder mehreren!) Menschen teilen will, ist es ebenfalls von Vorteil, wenn man dessen Bedürfnisse Phantasien, Wünsche etc. kennt.
Die entscheidende Frage lautet meiner Meinung nach: Wie finde ich einen Partner, dem ich vertrauen kann und mit dem BDSM Spass macht?
Als erste würde ich mir einmal Gedanken machen, wo meine Bedürfnisse im zwischenmenschlichen Bereich liegen (in der aktiven oder passiven Rolle): z.B. Nähe, Intimität, Zärtlichkeit, Demütigung, Dominanz, Ohnmacht, Unterwerfung etc. Jeder Mensch hat seine eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen. Oft hilft es, seine Gedanken auf ein Blatt Papier zu bringen oder gar ein Mind Map zu erstellen. Dieser Prozess kann man alleine durchführen oder sich gegenseitig abfragen, wie immer es auch für euch stimmt.
Als zweiten Schritt sollte man sich fragen, wie diese einzelnen Werte im Detail aussehen: z.B. wann/ wie/ wo will ich mich (oder du dich) gedemütigt fühlen? Es kann auch hilfreich sein, in allen fünf Sinneskanälen eine kleine Gedankenreise zu machen:
- Was für Bilder willst du sehen, wenn du gedemütigt wirst? Wie ist der Raum “möbliert“? Ist es hell oder dunkel? Was für Outfits werden getragen etc. (Kopfkino!)
- Was für Stimmen, Geräusche, Worte, Musik etc. willst du hören, wenn du gedemütigt wirst?
- Was willst du spüren/ fühlen wenn du gedemütigt wirst? (Schmerz, Lust, Temperatur, Enge, Kitzeln, LLL etc.!)
- Was willst du riechen wenn du gedemütigt wirst?
- Was willst du auf deinem Gaumen verspüren, wenn du gedemütigt wirst?
Wenn’s stimmt, kann man kann hier sehr ins Detail gehen, dem gegenseitigen Verständnis und Vertrauen kann’s nur nützen. Es wird dadurch auch sehr schnell klar, ob eine genügend grosse gemeinsame Schnittmenge vorhanden ist. Es ist auch wichtig zu kommunizieren, was man nicht will oder wo man schlechte Erfahrungen gemacht hat. Fragen wie: “Was waren deine (z.B. fünf) besten/schlechtesten Erlebnisse im BDSM bisher? “ können da weiterhelfen.
Es kann natürlich auch Wert-/Zielkonflikte geben, z.B. BDSM und Familiengründung oder berufliche Verpflichtungen. Diese gilt es sorgfältig abzuwägen.
Sollte eine genügend grosse gemeinsame Schnittmenge vorhanden sein, geht es in einem nächsten Schritt um die Umsetzung des aufs Papier gebrachten. Es geht hier einerseits um die Fähigkeiten, bisherige Erfahrungen etc. und andererseits um die “Behausung“: Wo findet es statt, in welchem Beziehungsverhältnis, wie oft etc.
Andere partnerschaftliche Aspekte wie gemeinsame Interessen, “Chemie“, Alter, Aussehen lasse ich hier bewusst beiseite, dazu gibt es in diesem Forum andere Orte.
Irgendwann findet man sich dann und fängt mit dem gemeinsamen sammeln von (hoffentlich positiven!) Erfahrungen an. Mit der gemeinsamen Erfahrung sollte einem auch immer wie klarer werden, aus was die beiden Kreise bestehen und wo die genaue Schnittmenge gerade liegt. Es entstehen dann auch Dinge wie: Auslöser, Regeln, Rahmen, Rollen etc.
Ein Problem kann auch sein, dass die beiden Kreise, die die Schnittmenge definieren, nicht konstant sind: Tagesschwankungen oder aber auch längerfristige Veränderungen können die gemeinsame Schnittmenge verändern.
Auch wenn man oft hört, “Ich bleibe so wie ich bin“, so verändert man sich (und seine Bedürfnisse) im Laufe der Zeit. Eine regelmässige Standortbestimmung kann dabei sicherlich helfen, die genaue Grösse der beiden Kreise neu definieren. Oft ist es lustig, alte Aufzeichnungen oder Mind Maps anzusehen, um herauszufinden, wie man sich verändert und weiterentwickelt hat!
Kommunikation und Feedback, vor, während und nach dem Spiel sind deshalb von essentieller Bedeutung, um Abstürze oder gar Traumas zu verhindern! Und wenn man auf dem geistigen Niveau des Regwurms angelangt ist, so muss der Partner dies erkennen und einem vor “ungesunden“ Verlangen schützen.
Meiner Meinung nach trägt jeder Mensch Verantwortung für sein handeln. Solange wenigstens, wie er im gesetzlichen Sinne dazu in der Lage ist. Verantwortung zu delegieren ist einfach, bedingt allerdings gerade beim BDSM grenzenloses Vertrauen in den Partner. Durch gezieltes Fragen, Kommunizieren und Einfühlen lässt sich dieses Vertrauensverhältnis aber sicher schneller erreichen.
Wenn man sich aber ausserhalb der gemeinsamen Schnittmenge bewegt, dann fangen die Probleme an und das Vertrauen ist schnell weg. Es muss beiden Spass machen, sonst kann keine Vertrauensbasis entstehen!
Letztendlich beinhaltet für mich Verantwortung nicht anderes als die gegenseitige Rücksichtnahme auf Bedürfnisse und Gefühle! Herausfinden kann man dies nur durch Kommunikation, alles andere ist hellsehen!
Natürlich sind meine Anregungen nicht abschliessend oder für jeden geeignet, ich bin für jeden Kommentar und/oder Ergänzungen dankbar.
“Es gibt nur einen Erfolg – nach seinen eigenen Vorstellungen leben können.“ (Christopher Morley)