Ui, eine sehr gute Frage und Cerberus hat direkt so viele Ansatzpunkte geliefert, dass ich gar nicht weiss, wo ich anfangen soll.
Erstmal zur Ausgangsfrage, Sex als Problemlöser?! In meinen Augen mit Sicherheit nicht.
Jeder der in einer Beziehung ist, die gerade nicht besonders dolle läuft, in der es einige Reibungspunkte gibt, hat mit Sicherheit schon mal festgestellt, dass es gerade in solchen Situationen im Bett besonders heiss her geht. Jedenfalls ging es meinem Partner und mir in so einer Krise so. Wir hatten arge Beziehungsprobleme, alles stand auf der Kippe, ich wusste nicht, ob ich noch wollte, wir haben uns jeden Tag wie die Kesselflicker gestritten und sind nachher dennoch im Bett gelandet... Der Sex war gigantisch, es war als wenn jeder von uns seine ganze Wut hinausvögeln will, den anderen noch enger, noch näher, noch tiefer spüren will, weil man nicht weiss, ob diese Beziehung noch lange existieren wird, ob das vielleicht gerade das letzte Mal ist, bei dem man intim wird. Wir waren danach beide entspannter, besser gelaunt und so ausgelaugt, dass wir eh nicht mehr den Elan hatten uns zu streiten, aber gelöst haben sich unsere Probleme dadurch nicht, höchstens zeitweise ad acta gelegt, weil man gerade so erfüllt im Bett lag, das weiteres streiten nicht möglich war. Gelöst habe sich unsere Probleme einfach nur durchs streiten, diskutieren, Kompromisse und nicht zuletzt durch die Liebe, die uns zu all dem befähigt hat, die uns gezeigt hat, dass wir leiden müssen in der Zeit um den Anderen nicht zu verlieren, die uns die Kraft zu all dem gegeben.
Also, Sex ist mit Sicherheit keine Lösung des Problems, aber ein gutes Ventil für die Wut.
Cerberus hat aber gleichzietig noch eine ganz andere Problematik angesprochen, und zwar die Gewichtung des Sex´innerhalb einer Beziehung. Ich würde allerdings noch einen Schritt weitergehen als sie. Ich denke nicht, dass junge Paare ihre Erwartungen an das Sexualleben zurückschraueben müssen, sondern viel mehr ihre Vorstellung oder Deffinition von Sex überdenken sollten.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Sex gerade bei jüngeren Paaren extrem überbewertet wird uns als Indikator für eine intakte Beziehung gesehen wird. Man braucht sich ja nur mal hier im Forum oder im Bekanntenkreis um zu hören. Sex ist da für viele das Hauptmerkmal einer guten Beziehung, wenn nicht sogar ausschlaggebend für die Partnerwahl. In meinen Augen vollkommener Schwachsinn.
Wenn ich mich mit meinen Freundinnen über das Thema rede, erinnert es mich manchmal an Leistunssport, in dem jeder besser sein will als die Anderen. Wenn ich da höre:"Oh, ich bin in meiner Beziehung so glücklich, mein Partner ist so toll, weil er drei Mal am Tag kann." oder "Er muss mich wirklich lieben, weil er jeden Tag über mich drüber rutschen will." kann ich nur den Kopf schütteln. Ich frage mich manchmal tatsächlich, ob diese Leute wirklich Ahnung haben, was Liebe überhaupt ist. Liebe ist für mich nicht jeden Tag drei Mal bumsen, sondern viele viele zwischenmenschliche Dinge, die eine intakte Beziehung ausmachen und so eine Beziehung hält auch mal drei Wochen ohne Sex aus ohne das da direkt von einer Krise gesprochen wird. Gerade bei jungen Leuten ist das aber genau andersherum. Zwischenmenschliche Dinge geniessen da einen durchaus geringeren Stellenwert, als der Sex. Um es mal ganz plum zu sagen: Guter Sex = gute Beziehung, fehlende Aufmerksamkeit des Partners ( nur als Beispiel ) wird als gegeben hingenommen, so lange man täglich seine Dosis Gerammel bekommt.
Kann es tatsächlich sein, dass Liebe über Sex deffiniert wird, dass bei vielen noch das Denken vorherrscht, dass man nicht geliebt wird, wenn der Partner nicht jeden Tag drei Mal Bock hat, oder auch mal eine ganze Woche nicht, weil er zum Beispiel beruflich gerade sehr eingespannt ist und dementsprechend abends nicht wirklich den Kopf frei hat um die Bettgymnastik geniessen zu können? Dass man mangelnden Sex gleichsetzt mit mangelnder Liebe oder eigener Attraktivität ( nur als Beispiel )? Das man an sich selber zweifelt, nur weil der Partner nicht auf Hochtouren läuft und die eigentlichen Gründe ( zum Beispiel Stress im Job ) dabei vollkommen ausser Acht lässt?
Meine Erfahrung ist, dass es vielen, gerade jungen Leuten, so ergeht. Man fühlt sich zurückgesetzt, da man sich vom Partner nicht genügend anerkannt und bestätigt fühlt. Das Selbstbewusstsein und das Bewusstsein in der Beziehung sind arg angekratzt, daraus resultiert Unzufriedenheit und daraus Beziehungsprobleme.
Der Knackpunkt ist in meinen Augen ganz einfach, dass junge Leute sich ihrer Selbst noch nicht so bewusst sind, wie ältere Herrschaften. Sie ziehen ihr Selbstbewusstsein und ihre eigene Wertigkeit über die Anerkennung von ihrem Partner, machen diesen für ihr Seelenheil verantwortlich. Und das, weil sie sich selber noch nicht bewusst sind als Person ganz einfach etwas wert zu sein.
Wenn jemand beispielsweise mit seinem Aussehen unzufrieden ist, gibt es doch kein schöneres Kompliment, als wenn der Partner durch seine Geilheit zeigt, dass man in seinen Augen etwas ganz tolles ist. Man braucht sich keine Gedanken mehr machen, man muss nicht mit sich selber ins Reine kommen, weil ja jemand da ist, der einem zeigt, dass man so schlimm gar nicht sein kann, wie man denkt... Das ist defintiv der einfachere Weg als an sich selber zu arbeiten.
Was aber nun, wenn ich diese Wertschätzung nicht vom Partner bekomme, oder nicht in dem Maße, wie ich es für richtig halte, oder noch schlimmer, in dem Maße, wie es meine Freundinnen erhalten ( Stichwort Leistungssport weiter oben ). Richtig, ich fühle mich als schlechter Mensch und der oben beschriebene Kreislauf setzt ein... Selbestbewusstsein angekratzt, Unzufriedeneheit, Beziehungsprobleme und dann das eventuelle Aus...
Ältere Leute dürften damit weniger Probleme haben, sie holen sich ihre Bestätigung beispielsweise im Job, haben schon einiges erreicht, worauf sie stolz zurückblicken können etc. und sind sich daher ihrer Wertigkeit bewusst. So müssen sie diese nicht mehr über den Sex ( und zwangsläufig den Partner ) vermittelt bekommen und können dementsprechend entspannt an den Sex, alleine der Lust wegen, gehen. Und werden mit Sicherheit auch eine "Durststrecke" daher leichter überwinden können ohne direkt an sich selber zu zweifeln, sondern die tatsächlichen Gründe ( zum Beispiel Stress im Job ) erkennt und dem Partner dort hilfreich unter die Arme greift, statt ihn mit seinen Selbstzweifeln noch zusätzlich zu belasten.
Alles von mir oben angeführte ist für mich ein Resultat aus den Beobachtungen und Erfahrungen, die ich aus den Erzählungen von Leuten meines Alters machen konnte. Und ein Indikator dafür, warum gerade bei jungen Paaren Sex oft zu einem Problem innerhalb der Beziehung wird. Dies kann mit Sicherheit nicht durch mehr Sex gelöst werden, sondern durch ein Umdenken der eigenen Illusionen von Sex und Liebe und nicht zuletzt der eigenen Wertigkeit. Natürlich ist das nicht allgemeingültig, es wird immer wieder Ausnahmen geben, aber leider scheint die breite Masse, meiner Meinung nach, genau diese Probleme zu haben und genau das wäre - für mich - eine Erklärung zu der Frage von Cerberus.