Wenn Toleranz nur für einen selbst gilt...
So oder so ähnlich scheinen manche (eher viele) Zeitgenossinnen und -genossen diese Tugend zu betrachten: Man selbst ist das Maß der Dinge und solange andere so sind wie ich, ist alles ok... aber wehe, wenn nicht.
Aber zum Thema: Manchmal habe ich - wie manch anderer hier wohl auch - eher das Gefühl, dass Bisexualität bei Frauen nunmal gerade in ist und frau deshalb mindestens einmal was mit einer Geschlechtsgenossin gehabt haben zu müssen glaubt. Aber Männer untereinander? Ihgitt.
Die hier angesprochenen Disco-Aktionen nach dem Motto: "Guck mal, ich züngel mit meiner Fraundin, ich bin ja sooooo endlos cool," wurden hier schon angesprochen und sind vermutlich auch gleich das auffälligste Symptom dieser Modeerscheinung - und im Grunde nichts anderes, als unüberlegt gestochene Tattoos, die bar jeder Individualität auch reihenweise andere Fesseln, Schulterblätter etc. schmücken oder das obligatorische Zungenpiercing, das damals die ganze Klasse hatte und das natürlich nicht fehlen durfte - Hauptsache auffallen oder zumindest dabei sein, egal wie und warum. ("Dabei ist alles," nicht wahr?)
Es beschränkt sich allerdings, nebenbei bemerkt, nicht nur auf Bi-Frauen sondern tritt natürlich auch bei Hetero-Frauen auf: Meine Schwester - obwohl sie bisher eigentlich immer groß tönte, dass es ja absolut ok sei, wenn Schwule in der Öffentlichkeit auch mal knutschen oder Händchen halten und das ja auch irgendwie süß sei - meinte doch neulich ernsthaft, dass es für sie überhaupt nicht in Frage käme, was mit einem Mann anzufangen, der sie ehrlich mit seiner Bisexualität konfrontiert... und das war noch der harmlosere Teil der Aussage. Ich hab Mühe gehabt, mich nicht am Essen zu verschlucken und hab mir den bissigen Kommentar zu Fräulein Supertoleranz gerade noch verkniffen.
Einen möglichen Schlüssel für die Abneigung von Frauen gegen Bi-Männer hat sie gleich mitgeliefert: Angst vor mehr Konkurrenz, denn man muss den Liebsten ja dann nicht nur gegen die anderen Frauen sondern sogar noch gegen den Rest der Menschheit halten. (In etwa ihre Aussage)
Einen weiteren deutete sie damit noch an: Wer bi ist muss zwangsläufig zum Fremdgehen neigen - ganz bestimmt jedenfalls als Mann.
Augenzwinkerndes Zwischenresümee:
Vielleicht liegt es also "ein bisschen" an der Gesellschaft: Weiblicher Bisexualtität haftet immer ein Hauch Zärtlichkeit und damit fast schon wieder etwas Unschuldig-Verspieltes an. Außerdem weiß die Kirche ja schon seit der Sache mit dem Apfel, dass Frauen es einfach nicht besser wissen - also halb so wild. Wenn Männer aber etwas tun, das mit Sex zu tun hat, dann tun sie es auch nur deshalb; und wenn sie es dann noch wagen, nichtmal eine Frau dafür zu brauchen, geht das natürlich gar nicht. Wäre die Kirche hier konsequent, müsste sie sich eigentlich nachträglich einen zweiten Adam wünschen, denn dann wäre das mit dem Apfel ja nie passiert. - Die beiden hätten dann allerdings vermutlich vom Steak der Erkenntnis gekostet. ;-)
Wenn man dann in Dating-Communities mal durch Profile guckt, geht der Eindruck gleich weiter - "Bi-Paare": Je lauter es im Profilnamen tönt, desto höher scheint die Wahrscheinlichkeit zu sein, dass das "Bi-Paar" in Wirklichkeit dann doch nur auf der Suche nach der zweiten Frau ist und er ganz bestimmt nie im Leben überhaupt im entferntesten einen Schwanz auch nur angucken würde - warum will ich mir nicht ernsthaft überlegen, aber da
sie in diesen Konstellationen sehr oft auch noch "ausprobieren" oder "erste Erfahrungen sammeln" "will", stinkt es irgendwie danach, dass sie das Ganze nur mitmacht, um Schatzi eine Freude zu machen - schließlich muss der Pascha auch mal Pascha sein können.
Das Problem hat aber vermutlich auch eine mediale Wurzel: Wenn wir mal einen Blick durch hochwertigere Erotikfilme werfen, sind Frauen, die Frauen "lieben" doch spätestens seit Emanuelle, den zärtlichen Cousinen und Co. immer gesellschaftsfähiger geworden. Gab es im gleichen Maß Filme mit Männern, die lustvoll den Kopf zum Schoß eines anderen neigten? Bekannt ist mir in dieser Kategorie zumindest keiner.
Über Jahrzehnte hat die Gesellschaft also "gelernt", dass es schön aussieht, wenn sich Frauen mit Frauen vergnügen. Bei Männern blieben da in der Zeit wohl nur diw Klischees der überdrehten, quietschbunten Tunte und des haarigen, ständig fistenden Ledermachos.
Zärtliche Männer gehen ja sowieso gar nicht, weil sie ja viel zu weich wären und wenn sie sich härter anfassen, muss es ja zwangsläufig immer gleich extrem hart sein. - Mit solchen Vorurteilen blockiert, kann man natürlich wenig Toleranz aufbauen.
In Hardcorestreifen ist es ja dann ohnehin Gang und Gäbe - von Heteros für Heteros produziert, lässt sich die Formel für Anti-Bi-Männer da recht schnell finden: Frau = geil, mehr Frauen = viel geiler; und wenn dann auch noch Frauen Sex haben, ohne dass man dabei einen Darsteller sehen "muss", dessen Ausstattung oder Ausdauer vielleicht eher zu Selbstzweifeln führen könnte, wächst dem Neandertaler natürlich das Höhlenmännchen erst recht. Traurig, aber wenn man sich so umguck, leider auch heute oft immer noch zu wahr.
Die Essenz aus dem Ganzen: Natürlich kann man nicht alles mögen - wer tut das schon? Es ist ja auch vollkommen ok, wenn man es nicht mag und dazu steht - aber die Art und Weise, wie manch eine/r persönliche Abneigungen zu allgemein gültigen Regeln machen will, während er/sie gleichzeitig für sich das Maximum an Akzeptanz, Aufmerksamkeit und Toleranz beansprucht zeugt nicht wirklich von geistiger Reife und Tiefgang; daher sollte man solchen Meinungen wohl entweder mit geschickter Argumentation oder Provokation begegnen oder sich die Mühe sparen, deren Äußerer unter Ihresgleichen zurücklassen und sich anderen Menschen zuwenden, die sich vielleicht durch weniger Oberflächlichkeit auszeichnen.
P.S.: Dieses Phänomen zieht sich allerdings leider nicht nur durch die (Pseudo-)Bi-Szene, sondern tritt auch in anderen Regionen auf, in die sich die Massen reindrängen, weil es gerade in ist und wo sich dann jeder, der mal irgendwas getan hat, das im Entferntesten zum Metier passt gleich dadurch profilieren will, dass er den anderen vorschreibt, was noch "OK" ist und was nicht.
Die Welt wäre doch soviel einfacher, wenn jeder bei anderen einfach das als "OK" akzeptieren könnte, auf das sich alle jeweils Beteiligten bewusst und einvernehmlich einlassen.