Die Insel
Beim Frühstück fragte mich Emily, auf einer Toastbrotscheibe kauend, ob nicht eine Trainerdelegation Darya im Krankenhaus besuchen sollte, da ihre Verwandten zu weit weg wohnten. „Wir werden es gleich nachher Rudi vorschlagen“, sagte ich, während ich in meinem Rührei stocherte.
„Schick doch ein Memo!“
Gesagt – getan, denn das Netzwerk funktionierte ja seit gestern.
Emily musste wieder als Erste weg, sie hatte ja den Frühsport zu leiten.
Da ich nichts besseres zu tun hatte, ging ich mit.
Der Hintergedanke war, Joanna und Rita im knappen Sportdress zu sehen – schmale, braune Stoffstreifen, die wie ein Bikini getragen wurden, denn im Park in der Nähe des buddhistischen Schreines durften die Sklaven nicht nackt herum laufen.
Emily konnte man nichts vormachen.
Sie verengte wieder ihre grau-blauen Augen mit den smaragdgrünen Punkten zu schmalen Schlitzen und drohte mir mit dem Zeigefinger, wobei sie allerdings lächelte.
Dass auch bei einer Waliserin wie bei einer Thailänderin ein Lächeln viele Nuancen hatte, bedachte ich nicht. Ein verhängnisvoller Fehler…
Ich hatte als Lehrer den leichtesten Job, den man sich vorstellen kann:
Die Schüler mussten sich in Meditation versenken und ihre Atmung kontrollieren. Dann schlich ich mich durch die Klasse und piekste den einen oder die andere mit einer sterilen Nadel.
Wer quiekte, hatte es noch nicht verstanden, Geist und Körper zu trennen.
Wobei ich ihnen immer wieder einschärfte, dies nur bis zu einem gewissen Grade zu tun, denn der Dom oder die Femdom brauchten ja noch ein Signal, wenn sie eine Grenze überschritten.
Kurz vor Mittag wurde ich bei Rudi vorstellig, der einem Krankenbesuch bei Dascha in Bangkok zustimmte, auch wenn so ein Hubschrauberflug unverschämt teuer war, wie er zähneknirschend einräumte.
Laura würde ebenfalls mitkommen, sagte er, was mich schon ein wenig wunderte, denn die Weißrussin war auf Amerikaner nicht so gut zu sprechen, aber offensichtlich hatten die beiden sich doch angefreundet.
Danach verabsäumte ich es, vor dem Lunch in meinem Computer den aktualisierten Tagesplan abzurufen.
Dann hätte ich gesehen, dass Emily ein Einzel mit Rita beantragt hatte und bei mir hätten alle Alarmglocken geschrillt.
Ich aß nur wenig zum Lunch, um nicht wie ein vollgefressener Elefant vor dem wendigen Muay-Thai-Kämpfer herum zu stehen.
Dann packte ich meine seidenen blauen Boxershorts ein und schlenderte zu dem Raum, wo neue Sklaven einen unvergesslichen Folklore-Abend erleben durften, denn dort stand der Boxring.
Der Security-Mann Tai kam kurz nach seiner Frühschicht Viertel nach Zwei, wir zogen uns um und legten die Boxhandschuhe an.
Zunächst zeigte mir Tai, dass ich leichtfüßig wie ein Balletttänzer durch den Boxring schweben müsste, um überhaupt eine Chance zu haben.
Er lobte meine Verteidigung, sagte, ich würde die Fäuste fast schon richtig halten. Ich dürfe keine gerade Linke oder Rechte auf mein Kinn durchlassen.
Das erfüllte mich mächtig mit Stolz.
Ich hatte es oft genug im TV gesehen und einige der besten Boxtrainer der Welt kamen aus Deutschland.
Dann machten wir eine Sparrings-Runde und nach einer Minute lag ich wie ein Maikäfer auf dem Rücken.
Ich hatte den Tritt gegen meine Brust gar nicht kommen sehen, sondern mich wie ein Schwergewichts-Boxer nur auf die Fäuste des Gegners konzentriert.
Genau deshalb hatte ich Tai engagiert.
Muay Thai erforderte viel mehr Koordination und fast schon akrobatisches Können, als herkömmliches Boxen.
Ich gönnte dem jungen Thai seinen kleinen Triumph, denn schließlich hatte ich ihn einmal in einem Moment der Unachtsamkeit erwischt und aus den Angeln gehoben.
Wir duschten und zogen uns um und wollten uns gerade neu verabreden, da bemerkten wir in der Nähe des Wellnessbereiches einen Tumult.
Der thailändische Doktor raste an uns vorbei, einen Sanitäter und eine Krankenschwester mit Trage im Schlepptau.
Vor einer schmalen Tür diskutierten zwei Sklavenpolizisten aufgeregt miteinander und ich rannte ebenfalls zum Ort des Geschehens.
Mir blieb fast das Herz stehen.
Am Boden lag regungslos Rita, eingehüllt in die braune Sklavenkluft, aber leichenblass.
Ich drängelte mich durch, aber der Doktor gebot mir mit einer erhobenen Hand Einhalt.
Er schob Rita eine Sauerstoffmaske über Nase und Mund und wies seine Mitarbeiter an, sie vorsichtig auf die Trage zu hieven und festzuschnallen.
Der Arzt fühlte den Puls und gab vorläufige Entwarnung, Rita musste nicht mittels Herzdruckmassage wiederbelebt werden.
Ich atmete auf und lief mit in Richtung Krankenrevier.
Ich fragte mich, wie das passieren konnte! Was war hinter der Tür gewesen? Warum war Rita in Ohnmacht gefallen?
Tai unterhielt sich mit einem Sklavenpolizisten, was insofern schon bemerkenswert war, weil die Mitarbeiter von innerer und äußerer Sicherheit nicht gerade engsten Kontakt pflegten.
Hintergrund war, dass erstere in der Regel aus Süd-Thailand stammten und verdächtigt wurden, Sympathisanten der aufständischen Moslems zu sein, während die von der Outer Security häufig ehemalige Offiziere der Armee und Polizei waren und aus der Zentralregion um Bangkok oder dem Norden stammten.
Tai versuchte nun mir in einem gestammelten Gemisch aus Thai und Englisch klarzumachen, was geschehen war:
Irgend jemand hatte die Farang-Sklavin in eine enge dunkle Zelle gesperrt.
Dort war eine Infrarotkamera installiert und ein aufmerksamer Polizist hatte im Kontrollraum auf einem Bildschirm gesehen, dass die Person in der Zelle zusammengesunken war und sofort einen Kollegen losgeschickt.
High Tech hatte Rita das Leben gerettet!
Ich nahm mir vor, mich persönlich bei dem Mann zu bedanken und bei Rudi für eine Beförderung vorzuschlagen.
Jetzt galt meine Sorge jedoch in erster Linie Rita, die immer noch bewusstlos war.
wird fortgesetzt...