Die Mutter...
Die MutterDa erschien der Engel und sagte: „Herr, ihr bastelt aber schon lange an dieser Figur!“
Der Herr sprach: „Hast du die speziellen Wünsche auf dieser Bestellung gesehen?“
Sie soll pflegeleicht sein, aber nicht aus Plastik.
Sie soll 160 bewegliche Teile haben, die alle auf einmal funktionieren sollen.
Sie braucht Nerven wie Drahtseile und soll so viele Ohren haben, dass sie alles auf einmal hören kann, sogar die leisesten Zwischentöne.
Sie muss so flexibel sein, dass sie sich auf alle persönlich einlassen kann: Auf Mann, Kinder, Oma, Tante, Schwester, Nachbarn, Lehrerin, Erzieherin, ....
Sie soll einen breiten Rücken haben, auf dem sich alles abladen lässt.
Ihr Zuspruch soll alles heilen, vom aufgeschlagenen Knie bis zum Seelenschmerz..
Sie braucht sechs paar Hände, damit sie nach Möglichkeit alles gleichzeitig machen kann.
Da schüttelte der Engel den Kopf und sagte:
„Sechs Paar Hände. Das wird kaum gehen!“
„Die Hände bereiten mir kein Kopfzerbrechen!“ entgegnete der Herr, „aber die drei Paar Augen, die eine Mutter braucht!“
„Gehören die denn auch zum Standartmodell?“ fragte der Engel erstaunt.
Der Herr nickte.
„Ein Paar, dass durch geschlossene Türen sieht während sie fragt: Wie geht es denn?
Ein zweites Paar im Hinterkopf mit dem sie sieht, was sie nicht sehen soll aber trotzdem wissen muss. Und natürlich noch die zwei Augen von vorne, mit denen sie ihre Familie ansieht, die sie liebt, auch wenn es mal anders ist als sie es sich vorgestellt hat. Aber ihre Augen sollen ohne Worte sagen >Ich verstehe euch. Ich bin euch nahe<“
„Herr“ sagte der Engel, „nehmt eine Pause und macht morgen weiter.“
„Ich kann nicht“ sagte der Herr. „denn ich bin nahe daran etwas zu schaffen, dass mir ähnlich ist. Ich habe bereits geschafft, dass sie sich selbst heilt wenn sie krank ist, dass sie viele Bedürfnisse gleichzeitig befriedigt, dass sie trotz aller gesellschaftlichen Strömungen ihre eigenen menschlichen Werte nicht verliert, dass sie aus Liebe von sich wegsehen kann und sich ihrer Familie zuwenden kann.
Der Engel meinte: „Herr, ihr habt ein Genie geschaffen, aber ist sie nicht zu weich?“
„Weich aber zäh!“ entgegnete Gott energisch. „Du glaubst gar, was diese Frau alles leisten und aushalten kann und muss!“
„Kann sie denken?“ fragte der Engel weiter.
Und Gott antwortete: „Sie kann denken und beurteilen, sie kann Kompromisse schließen und vergessen.“
Der Engel beugte sich über das Modell und streichelte liebevoll das Gesicht der Frau.
„ da ist ein Leck!“, sagte der Engel erschrocken. „Ich glaube, ihr versucht zuviel in diesen Menschen hineinzupacken.“
„Da ist kein Leck“, sagte Gott verständnisvoll.
„Das ist eine Träne. Sie fließt bei Trauer, Enttäuschung, Überforderung, Schmerz und Verlassenheit. Und manchmal auch aus Freude.“
Und Gott blickte versonnen und liebevoll und sagte:
„Die Träne, das ist das Überlaufventil!“
( unbekannter Autor )