Also ... mal rein kulturhistorisch gesehen ...
"Liebe" als Beziehungskonzept ist wohl eine verhältnismässig junge Geschichte. Bis zur mittleren und späten Aufklärungszeit war "Liebe" - sexuelle Liebe - eine Sache des Adels gewesen. Lessings "Emilia Galotti" (nie gelesen) soll - so hat man es mir auf der Schule beigebracht - der erste Roman von Rang gewesen sein, in dem "Liebe" als eine Angelegenheit auch von "Bürgerlichen" beschrieben worden ist. Man hat das dann so gesehen, daß diese Form von "Liebe" etwas allgemein menschliches wäre. Das Bürgertum hat sich ja sowieso gerne am Adel orientiert - "Der Bürger als Edelmann" ist eine der schönsten Komödien von Molière - ihn zu kopieren versucht.
Vorher hat man das alles nicht so eng gesehen - also vor der Aufklärungszeit, und erst recht vor der Reformation. Man hat geheiratet, nicht nur, weil das in der Kirche so gepredigt worden war, sondern weil die Familie eine umfassende ökonomische Einheit gewesen ist, geprägt vom Bild bäuerlicher Selbstversorgungswirtschaft, umfassender Aufzucht und Erziehung der Kinder und Pflege der Alten bis zum Tod. Das ist das Wesen der Familie - und nicht irgendwelche "Gefühligkeiten" (ein wunderschönes Stück DDR-Deutsch!). Und ansonsten hat man mehr oder weniger offen rumgevögelt. Man war da recht großzügig gewesen, weil man ja samstags alles gebeichtet hat, ein paar Vaterunser und Avemaria gebetet hat, und seiner Sünden dann per kirchlichem Verwaltungsakt wieder los geworden ist. Das hat man sogar schriftlich gekriegt: den berühmten "Ablasszettel", den man auch kaufen konnte, damit die Kirche dann mit dem Geld was Gutes tun würde, stellvertretend für den Sünder, oder als eine Art Dienstleistung, so wie heute diese "Ausgleichsmaßnahmen" in der Ökobilanz. Natürlich haben die Pfaffen einen Gutteil von dem Geld versoffen und verhurt - aber man hat auch den Petersdom gebaut, und Michelangelo gesponsort damit. Wie das halt eben so ist mit Steuergeldern ...
Ja und dann kam dieser Luther, und hat auf einmal alles wieder total ernst nehmen müssen. Es hat nicht mehr gereicht, irgendwelche Ausgleichsmaßnahmen für die Ökobilanz zu veranstalten, oder so einen Zettel zu kaufen oder zu Beten - nein, man mußte jetzt auf einmal die 10 Gebote und das ganze Tralala echt einhalten, und durfte infolgedessendaher nur noch mit dem eigenen Ehegatten und auch vorher mit niemandem. Kein Wunder, daß man da verrückt wird, bei so einem trostlosen Leben - Fernsehn und Internet gabs ja auch noch nicht, Fußball stak noch in den Kinderschuhen - also hat man sich auf Handel, Gewerbe und Wissenschaft gestürzt statt dessen, und irgendwann sogar Revolution gemacht aus lauter Frust.
Näheres zB bei Friedrich Engels: "Über den Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" - schwer zu lesen, aber sehr erhellend. Leicht und sehr unterhaltsam zu lesen, aber sehr voluminös: Egon Friedell: "Kulturgeschichte der Neuzeit" von den mittelalterlichen Pestepedemien bis 1914.
Das Konzept von "Liebe" und "Beziehung", dem wir heute gewohnt sind, nachzueifern, ist also nichts anderes als die Reclamausgabe des Zeitvertreibs adeliger Nichtstuer. Es ist, als ob man etwa als Landwirt seine wirtschaftliche Existenzgrundlage im Golfspielen erblicken würde statt in Ackerbau und Viehzucht - man kann es versuchen, aber gelingen tut es selten. Und auch die sogen. "Beziehungen" sind heutezutage regelmässig nur noch von relativ kurzer Dauer und eine 1A Arbeitsbeschaffung für Psychotherapeuten.