Die Libido
Dem männlichen Part des Swingerpaars ist in einem Punkt sicherlich recht zu geben: die Libdio der Menschen ist nicht gleich - sie hat unterschiedliche quantitative Stärke und qualititative Ausgestaltungen. "Jeder Jeck ist anders" - dieser althreinische Spruch erfreut sich vielleicht auch heute noch in der Swingerszene einer gewissen Beliebtheit ...
Es ist allerdings sehr schwer, die Stärke der Libdio objektiv zu messen - die oftmals angeführte Zahl der Orgasmen halte ich nicht unbedingt für einen geeigneten Maßstab. Das fängt schon damit an, daß es zB bei Frauen sehr schwer objektiv festzustellen ist, ob sie überhaupt einen haben. Man ist auf ihre Selbsteinschätzung angewiesen. Das geht weiter damit, daß es eine Reihe von sexuellen Vorlieben und Praktiken gibt, bei denen das Hinauszögern oder gar Vermeiden des Orgasmus "in der Natur der Sache" liegt, oder manchmal sogar zentral ist ... Man bleibt letztlich auf Vergleiche angewiesen - eigentlich kann man nur sagen: Person A hat eine größere oder kleinere Libidio, als Person B. Aber um wieviel größer oder kleiner, am Ende gar in den heutezutage so beliebten Prozentzahlen - da kann man höchstens was sagen oder hinschreiben, aber ernstzunehmen ist sowas wohl nicht.
Die Libido ist auch nicht fest an die Sexualität gebunden - sie kann zu einem erheblichen Teil für mehr oder minder lange Zeit in andere Persönlichkeitsbereiche verschoben werden. Häufig wird sie dabei auch "sublimiert". Sublimation heißt eigentlich Verfeinerung, aber das trifft es nicht wirklich, finde ich. Sie "ergießt" sich in einen anderen Lebensbereich und damit in eine anderen Bereich Persönlichkeit - aber die Art und Weise, wie sie sich dort "austobt", ähnelt der ursprünglich Heimat: der Sexualität doch sehr stark. Man kann wohl sagen: was man im üblichen Sprachgebrauch "leidenschaftlich" tut, enthält zumindest einen Gutteil sublimierter Libido. Auch Briefmarkensammeln kann also etwas mit ursprünglich sexueller Lust zu tun haben. In der Kulturwissenschaft wird sogar oftmals die Auffassung vertreten, daß all das, was wir unter den Errungenschaften von Zivilisation und Kultur verstehen, ganz maßgeblich davon abhängt, in welch hohem Maße es gelingt, die Libdio zu sublimieren - so verstehe ich zB Norbert Elias: Der Prozeß der Zivilisation. Vereinfacht gesagt: nur jemand, der mit geradezu erotischer Hingabe und äusserster Leidenschaft forscht, statt rumzumachen, bringt den wissenschaftlichen Fortschritt voran ! Ob das alles so stimmt, wage ich zu bezweifeln. Es gibt nämlich Beispiele genug von wissenschaftlichen Größen, die auch für eine bemerkenswerte sexuelle Libidio bekannt waren - daß Sigmund Freud diese Liste anführt, dürfte kaum verwundern, aber auch der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell beispielsweise gehört dazu, und wer sich einmal an der "Kurzen Geschichte der Zeit" des schwerbehinderten Steven Hawkings versucht hat, weiß, daß man alle 20 Seiten von den überraschensten und charmantesten cochonerien aus der Welt der Astrophysiker überrascht wird ...
Etwas skeptischer bin ich gegenüber der Aussage, daß wir nicht die Getriebenen unserer Triebe sein sollen. Ja - von was sind wir den sonst angetrieben ? Aber ich glaube nicht, daß diese Aussage so verstanden werden soll, als ob die originär sexuelle Libido überhaupt keinen Einfluß auf unser konkretes Verhalten haben würde - sonst wären wir schließlich ja wohl nicht alle hier ? Ich stimme dieser Aussage insofern zu, als daß auch der Einfluß der sexuellen Libido auf unser Verhalten der Regulierung bedarf - nicht notwendig durch Regelwerke, aber durch die Vernunft im allgemeinen, die ratio - das, was Freud das "Realitätsprinzip" genannt hat.
Aber so einfach geht das nicht. Die Libido kann man nicht durch Willensakt an oder aus schalten, stärker oder schwächer stellen - was viele von uns bedauern werden. Sie ist nun mal keine Maschine, sondern kann eher mit einem Organismus verglichen werden - nicht umsonst spricht man gerne vom "Tier in uns". Ich finde dieses Bild ganz passend. Jeder, der ein Tier hält oder gehalten hat - ich war 10 Jahre lang begeisterter Hundehalter gewesen - weiß, daß man im Zusammenleben und der Interaktion, der Zusammenarbeit, wie es sie mit Hunden oder Pferden gibt, nicht völlig willkürlich über das Tier herrschen kann, sondern daß man seinen Charakter akzeptieren muß, und nur das aus ihm herausholen kann, was in ihm steckt. Und man weiß von daher auch, daß es sehr dominante Tiere gibt, mit denen man als Halter und Führer einen regelrechten Kampf zu bestehen hat. Der Reiter ist wahrlich nicht zu bedauern, dem "der Gaul durchgeht", und der sich nur noch festhalten kann, in der Hoffnung, nicht herunterzufallen, und sich keine Verletzungen zuzuziehen, bis der Gaul von selbst wieder zur Ruhe kommt. Was das im Bilde für die sexuelle Libidio bedeutet, liegt auf der Hand: die von Sexsucht oder Hypersexualität beplagten, die nicht mehr Herr ihrer selbst und ihrer Libido, ihrer Sexualität sind, sondern von ihrer Sexualität und ihrer Libido durch den Dreck geschleift werden, wie ein gestürzter Reiter von seinem rasenden Gaul, an dem er noch mit dem Steigbügel hängt - das eine wie das andere kann sehr leicht tötlich enden.
Das, worauf es also ankommt ist: das Tier zu beherrschen, und es zu reiten - ihm die Richtung vorzugeben, die Zügel schiessen zu lassen oder anzuziehen, je nach dem Lebenskontext im übrigen. Und dazu kann es gehörten - auch insofern gebe ich dem männlichen Teil des Swingerpaars recht: daß man das Tier aus seinem gewohnten Geläuf auch mal in andere Bahnen lenken kann, wenn man dies für richtig oder gar notwendig hält.
Und das ist eine Eigenschaft, die ich tendenziell eher bei Frauen verwirklicht sehe, als bei Männern, und unter den Männern eher bei homo- und bisexuellen Männern, als bei Heterosexuellen. Warum das so ist, weiß ich letztlich nicht zu erklären - es ist die reine Beobachtung: notgeile heterosexuelle Einzelmänner sind recht häufig in der Szene, notgeile Schwule oder Bi-Männer selten, notgeile Frauen faktisch nicht feststellbar für mich - was nicht heißen soll, daß sie es nicht gibt. Genauso will ich damit keineswegs sagen, daß heterosexuelle Männer das nicht können: ihre Libido beherrschen, wie ein guter Reiter sein vertrautes Pferd. Sie sind nur seltener, meiner Erfahrung nach - aber diese Erfahrung will ich nicht als repräsentativ bezeichnen.
Aber über eines dürften wir uns einig werden können: daß die Eigenschaft, das Tier in uns zu beherrschen, und darauf gut reiten zu können, zu den wichtigsten und wertvollsten Elementen der Persönlichkeitsbildung gehört - der Bildung schlechthin.