Die Annahme, nur ein Mensch könne emotionsunbelasten Sex mit anderen haben, der in einer emotional befriedigenden Beziehung lebt, reizt meinen Widerspruch. Sie ist naheliegend, und mit Sicherheit auch einer der Gründe, warum es in der Swingerszene einen gegenüber Einzelpersonen weitgehend abgeschotteten Bereich der Paare gibt, die da lieber "als Paare" unter sich bleiben, wo eben jeder wissen müsste, wo er - emotional - hingehört. (Das dies nicht der einzige Grund für "Paare unter sich" ist, das ist auch mir bekannt.)
Ich glaube nicht, daß die Verkoppelung oder Entkoppelung von Sex und Emotionen eine Frage des Beziehungsstatus' ist; diese Frage geht wohl tiefer in die Psyche des jeweils einzelnen hinein. Ich vermute, sie hängt mit der "sexuellen Sozialisation" zusammen, dh demjenigen sozialen Prozeß, der die gesellschaftlichen Normen in uns verankert und gegebenfalls auch wieder verändert. Dieser Prozeß spielt sich hauptsächlich in Kindheit und Jugend ab, läuft aber auf kleiner Flamme lebenslang. So gibt es zB auch die ganz wichtige berufliche Sozialisation - sehr viele Berufe haben zT sehr eigene, von der Allgemeinheit zT weit abweichende soziale Normen, in die sich Berufsanfänger erst einmal hineinfinden müssen. Auch landsmannschaftlich gibt es große Unterschiede, zwischen Stadt und Land, den sozialen Schichten ... von allerlei "Ethnien" und Religionen ganz zu schweigen.
Und so gibt es auch eine sexuelle Sozialisation. Der Mensch lernt früher oder später, was er von Sex und Gefühlen zu halten hat. Dieser Lernprozeß läuft zT bewußt durch Erziehung und Bildungswesen, zu einem noch größeren Teil aber (wie ich meine) unbewußt: die "peer groups" der Nachbarn, Freunde, Kollegen und Kameraden, Freunde, Verwandschaft - die Menschen, die man um sich herum hat, und an denen man sich orientiert. Und dann gibt es da die Medien: Bücher und Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehn, und heutezutage natürlich das Netz ... Und ganz ganz wesentlich sind da natürlich auch die ersten eigenen sexuellen Erfahrungen, die der junge Mensch macht.
Ich glaube nicht, daß man es mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit sagen kann, welche dieser Faktoren die entscheidenden sind - es kommt wohl immer auf die ganz konkreten einzelnen Menschen an, um die es geht. Und ich will mir keinesfalls anmaßen, die Fülle dieser einzelnen Faktoren hier vollständig beschrieben zu haben, da gibt es noch viel, viel mehr - die Stärke der Libido zB ...
Es ist auch eine Frage des Geschlechts - weil an der Geschlechterrolle hängen auch unterschiedliche gesellschaftliche Erwartungshaltungen an die Sexualität. Das altbekannte Beispiel von der Promiskuitivität: promiskuitive Männer genießen alls "tolle Hechte", "Casanovas", "womanizer" etc. meist hohes soziales Ansehen - promiskutive Frauen werden als "Schlampen", "Nutten", "Senftöpfchen" usw. diskriminiert. Das setzt sich sogar noch extremer in homosexuell orientierten Kreisen fort: Lesben sind regelmässig sehr streng exklusiv monogam - Schwule sehr häufig extrem promiskuitiv, und die Bisexuellen pendeln irgendwo durch die Mitte, meist zum polygam-promiskuitiven Pol hin, meiner Beobachtung nach - womit wir dann auch die Bedeutung der sexuellen Orientierung umrissen hätten.
Auch sind meiner Erfahrung nach schwule Paare bei weitem nicht so auf andere Paare beim "swingen" aus, wie heterosexuelle Paare - sie akzeptieren viel eher einzelne Männer und garnicht so selten auch einzelne Frauen (nur die wenigsten Schwulen sind wirklich "stockschwul"), als die heterosexuellen Paare - als "ergänzende" Partner nicht-emotionaler Sexualität.
Es ist nur eben so: man sieht es den Leuten ja nicht an der Nasenspitze an, wie sie diesbezüglich gepolt sind. Man trägt eben kein Schild "promiskuitiv" um den Hals, und so mancher (oder so manche), die sich als promiskuitiv gebärdet, ist es garnicht.
Meine Erfahrung hat mich auch gelehrt, daß zB auch grundsätzlich eher bis streng monogam "sozialisierte" (ich sage bewußt nicht: veranlagte) Menschen in bestimmten Lebenssituationen polygames oder promiskuitives Verhalten an den Tag legen, "daß man ihnen niemals zugetraut hätte" - zB bei Beziehungskrisen. Insbesondere nach der Beendigung von Beziehungen lassen es manche "krachen" und "die Sau raus", und kehren sodann, nach Verfestigung einer neuen Beziehung, alsbald wieder zu ihrer getreulichen Monogamie zurück. Last not least gibt es so etwas, was man "Beziehungs-Such-Promiskuität" nennen könnte: man geht "auf die Piste", hirscht durchs Netz, durch einschlägige Anmach-Lokale und was weiß ich wohin, mitunter vielleicht auch durch die "Szenen" auf der Suche nach einem Beziehungspartner, und testet mehr oder weniger rasch einige Exemplare der begehrten Spezies durch, bis man dann an einem wieder "hängenbleibt" ...
Auf eine so einfache Formel, wie eingangs dargegelegt, ist das Ganze meiner Meinung nach nicht herunterzubrechen.