Hallo Brian, hab vielen Dank für deine wunderbare und sehr offene Schilderung. Sie macht die innere Aufgewühltheit von euch dreien für andere gut nacherlebbar!
Ich hatte unsere eigene Geschichte auch schon mal hier im JC niedergeschrieben.
Polyamorie
Wenn die Mods nix dagegen haben, kopiere ich sie hier noch mal hinein.
Hallo @***to, du schreibst in deiner Themeneröffnung,
Zitat:
Ich bin der Meinung Mehrfachbeziehungen könnten nicht funktionieren. Aber ich weiß das es Menschen gibt, die es können. Deshalb möchte ich mal Erfahrungen lesen, die mir sagen wie sie es tun.
Hier ist unsere persönliche Erfahrung. Nimm sie so wie sie ist, nicht als Bekehrung zu irgendetwas, sondern als Geschichte die das Leben geschrieben hat.
Wir sind ein Paar solange wir denken können. Erste Jugendliebe die bis heute gehalten hat, ein Vierteljahrhundert lang. Klingt vielleicht märchenhaft, ist aber so. Haben alles gemeinsam durchgestanden: Berufliche Trennungen, Kindererziehung, Zusammenbruch eines gesellschaftlichen Systems, Höhen/Tiefen im Liebesleben, ohne dass wir jemals etwas anderes im Sinn hatten als ein ganz normales monogames Ehepaar zu sein. Extravaganzien gab es nicht. Aber irgendwann dann den berühmten Midlife Punkt. Kinder werden flügge, plötzlich gibt es wieder Zeit zu zweit, man kann wieder etwas miteinander anstellen - ein lange nicht gekannter Luxus. Und man schaut sich in die Augen und fragt... was kommt ab jetzt? Alte Freundschaften haben sich verflüchtigt, neue sollen her, und man geht auf die Suche. Und wie aus dem Nichts ist er plötzlich da, der frivole Gedanke. "Was wäre eigentlich, wenn....?". Zuerst ausgesprochen von ihr.
Ein Dammbruch. Gemeinsam gewollt, gemeinsam als Paar erlebt, immer begleitet von intensivsten Phasen des Redens und sich Erklärens. Und so schnell und radikal wie die einzelnen Schritte der Öffnung auch folgten, mit jedem Schritt hat sich das Zusammengehörigkeitsgefühl nur noch verstärkt. Das mag für Außenstehende paradox erscheinen, wir erlebten es so. Als ein zweites "Sich Kennenlernen" und erstauntes Feststellen, dass man so perfekt harmoniert. Eifersucht tauchte nicht eine einzige Sekunde lang auf. (Zum Thema "Wirklich eifersuchtsfrei?" haben wir übrigens im Forum Liebe&Beziehung gerade ein paar ausführlichere Bemerkungen gemacht).
Nun wirst du, Kitto, vielleicht abwinken, was haben denn Swinger mit Polyamorie zu tun? Das eine ist Geilheit, das andere Liebe. Nun, wir haben Körper und Seele noch nie ganz auseinanderhalten können, wie es die goldenen Swingerregeln vorschreiben. Die typischen Cluberlebnisse erschienen uns schnell als oberflächlich, nicht so ganz genau unser Ding. Also ging die Reise weiter, der Wunsch nach mehr Tiefe, nach etwas was die Nacht überlebt. Und irgendwann ergab es sich halt, dass aus einer erotischen Paar-Bekanntschaft Freundschaft, und aus Freundschaft allmählich mehr wurde. Nicht geplant, nicht vorausgesehen, aber eben passiert. "Verantwortungsbewusste" Swinger hätten beim ersten Anzeichen sofort die Notbremse gezogen. Wir haben es nicht getan. Wir kannten so etwas wie Verlustangst einfach nicht. So als ob ein Gen fehlt. Wir haben uns drauf eingelassen, es fühlte sich gut an, es konnte einfach nicht falsch sein.
Inzwischen haben wir es beide erfahren, wie Gefühle für Dritte mit aller Macht Besitz von uns ergreifen können. Schmetterlinge, Euphorie, auch Kummer, das volle Programm. Und beide haben wir dabei erlebt, wie uns der eigene Ehepartner begleitet und aufgefangen hat, als sei es das selbstverständlichste der Welt. Sich ALLES anvertrauen zu können und dabei Verständnis und Wohlwollen zu finden, keins, aber auch nicht das allerkleinste Geheimnis voreinander haben zu müssen, das ist eine umwerfende Erfahrung. Gibt Urvertrauen in den Partner. Und hat für uns den Weg frei gemacht, der Neugier in jeder Richtung freien Lauf zu lassen. Swingen, Mehrfachbeziehung. Auch BDSM hat sich hinzugesellt. Wahrscheinlich sitzen wir zwischen sämtlichen Stühlen und Puristen kriegen das Grausen. Sei es drum. Es geht uns beiden wunderbar damit, und wir setzen alles daran, dass es auch allen anderen Beteiligten gut geht. Und nur das zählt.
Unser Fazit was Polyamorie angeht: Kein leichter Spaziergang, sondern ständige Beziehungsarbeit. Aber sie kann tatsächlich funktionieren. Entscheidend sind nicht äußere Formen, Begriffe, schriftlich fixierte Regeln, die Zahl der Beteiligten, Rangfolgen, usw. Eine Gewähr für Dauerhaftigkeit gibt es nicht. Wo gibts die schon. Aber auch wenn eine solche Beziehung nicht die Zeit übersteht, kann sie doch eine großartige Erfahrung für alle sein.
Für uns ist Polyamorie keine institutionelle Einrichtung, sondern eine innere Haltung. Die Bereitschaft, so etwas mit sich geschehen zu lassen. Wir sind froh, das entdeckt zu haben.
Mike