@ Love4eva
Ich habe nicht von Glaubenssätzen oder Vermutungen gesprochen, sondern von Prägungen. Und diese Prägungen sind keine Hirngespinste, sondern in der wissenschaftlichen Verhaltensforschung zigfach nachgewiesene Realität. Natürlich kannst Du Dich auf den Standpunkt stelle, die Lehre von Freud wäre eine Ideologie, also eine Sache des Glaubens und nicht des Wissens; diese Einstellung machen sich viele aufgrund Hörensagens zu Eigen (ohne je selbst Freud gelesen bzw. sich mit seinem wissenschaftlichen Werk beschäftigt zu haben).
Aber, auch wenn Freuds Lehre in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt, in manchen Punkten korrigiert oder ergänzt wurde, der wesentliche Kern seiner wissenschaftlichen Arbeiten, wozu seine Erkenntnisse über das Unbewußte, über die frühkindlichen Prägungen und der daraus resultierende Wiederholungszwang (also die Tendenz sich unbewusst immer wieder Situationen zu schaffen, die eine Wiederholung frühkindlicher Kränkungen erzwingt), ist bis heute Grundlage der psychologischen Wissenschaft und das Fundament aller weiteren psychologischen Ansätze - auch der Verhaltenstherapie.
Als naturwissenschaftlich ausgebildeter Mensch halte ich es , wie Du, mit der Devise "ich ziehe es vor zu wissen, anstatt zu glauben" . Deshalb habe ich auch (im Gegensatz zu so manchem Küchentischpsychologen) Freud und die anderen Klassiker (Jung, Adler, Fromm, Riemann u.a.) wirklich selbst gelesen und nicht nur aus zweiter oder dritter Hand davon gehört und zudem reichlich praktische Erfahrung u.a. aus meiner langjährigen Arbeit mit Suchtkranken.
Auch an dieser Stelle ist es anscheinend nochmal erforderlich deutlich zu machen, dass Verantwortung und Schuld, auch wenn sie genauso oft wie fälscherweise synonym verwendet werden, nicht das gleiche sind. Verantwortung kommt von "antworten", nicht von Schuld haben. Um es an einem ganz einfachen Beispiel deutlich zu machen: wenn man in der Strassenbahn einem anderen heftig auf den Fuß tritt, weil die Tram plötzlich apbrubt abbremst, dann ist es keine Frage der Schuld ("ich kann doch nichts dafür, dass die Strassenbahn plötzlich bremst"), sondern der eigenen Verantwortung, dass man sich trotzdem dafür entschuldigt dem anderen auf den Fuß getreten zu sein.
Für ein "Opfer" heißt die Verantwortung übernehmen eben nicht zu sagen "ich bin selbst schuld, dass ich geschlagen wurde", sondern sich selbst die Frage zu beantworten, welche inneren Mechanismen (Prägungen) veranlassen mich (immer wieder)dazu, mir Partner auszusuchen, die mich schlagen?" In dieser Hinsicht ist das, was AngelEyes07 über das Alleinsein geschrieben hat, durchaus zielführend.
Es kann also nicht im geringsten darum gehen, Schuldzuweisungen an das "Opfer" oder Rechtfertigungen des "Täters"vorzunehmen, es geht überhaupt nicht um Moralisieren, sondern es geht um den klaren, nüchternen Blick auf die psychologischen Mechanismen, die dazuführen, dass eine Konfliktsituation eskaliert.
Und nochmal: Es geht eben nicht um Glaubenssätze, sondern um glasklares empirisch fundiertes therapeutisches Handwerk.