Lieber Stephan,
mich "erwischte" es einige Monate vor meinem 50. Geburtstag. Mein Expartner hatte mich von heute auf morgen verlassen, meine Kinder waren kurz davor ausgezogen - und ich realisierte: du wirst zukünftig alleine sein.
Und ich schob erst mal Panik.
Die Vorstellung, in eine leere Wohnung zu kommen, niemanden mehr zu haben, alleine durchs Leben zu laufen, war höllisch.
Was für schöne Vorstellungen, Wünsche und Träume hatte man! Ideen vom gemeinsamen Glück mit dem Expartner, von der Liebe, von einer miteinander gestalteten Zukunft. Gemeinsamkeiten und Ideale, die das Leben bisher strukturiert und zusammengehalten haben.
Und nun, alleine und auf mich gestellt und furchtbar traurig, bekam ich ständig gesagt: lebe jetzt dein Leben und lass los, da musst du durch. Was habe ich diesen Ausspruch gehasst!!
Lass los - hey, habt ihr sie noch alle? Ich habe diesen Mann GELIEBT, er war mein Ein und Alles, mein Leben. Ich will ihn zurückhaben und behalten, nicht loslassen.
Und WIE soll das gehen, loslassen, verdammt noch mal? Er ist schließlich kein Gegenstand, den ich fallen lassen kann und gehen. So funktioniert das nicht. Nie.
Nach Wochen und Monaten der Beschäftigung mit ausschließlich diesem Thema war ich es so leid. Alles kreiste um das Verlassen-worden-sein, die Leere um und in mir, das Vermissen meines "alten" Lebens.
Die “Sucht” war so heftig, dass ich das Gefühl hat, ohne diesen Mann nie wieder glücklich werden zu können. Ständig musste ich an ihn denken.
Habe mich hektisch abgelenkt, auch durch einige flüchtige Begegnungen hier über den JC, die alles andere als schön waren und mir sicher auch nicht gut getan haben. War ständig unterwegs, versuchte mich abzulenken, um nicht nachdenken zu müssen.
Aber das alles führte zu keinem Ergebnis für mich; so wollte ich nicht leben.
Also begann ich mir mal Gedanken zu machen, WAS GENAU ich so höllisch vermisse.
Dabei stellte ich etwas Erstaunliches fest. Es ging mir so mies, weil ich vermisste, gebraucht zu werden. Die Beschäftigung mit meinem Ex, das Kümmern um ihn und die Bemühungen, so zu sein, wie er mich haben wollte. Die Auseinandersetzungen und Versöhnungen, Aufregungen und kurze Beruhigungen, Himmel und Hölle direkt nebeneinander. Die Seelenschmerzen, die damit verbunden waren.
Auf einmal war da eine innere Leere, die mich fast wahnsinnig machte.
Aber irgendwann merkte ich - es war gar keine Leere, sondern Ruhe und Frieden, die ich aber garnicht mehr empfinden konnte, weil ich sie garnicht mehr kannte.
Und ich habe mich danach noch eine ganz lange Zeit gegen diese Gefühle gesträubt, dachte, ich kann doch nicht leben ohne diese Anspannung, diesen täglichen Kampf, mit dem ich lange gelebt hatte. Und ohne diesen Menschen, der die Ursache und Auslöser war - ich muss mich doch kümmern, um irgendwen ...
Heute, nach 2 1/2 Jahren, genieße ich genau das - ich habe meinen inneren Frieden zurück, meine Mitte, meinen Mut und meine Lebensfreude. Es hat zwar viel Kraft gekostet, die neuen Aufgaben, die man nun hatte, anzugehen, denn eigentlich MÖCHTE man ja garnicht ... man wollte ja lange das Alte, Vertraute zurück ... aber wenn man einmal begonnen hat, seinen EIGENEN Weg zu gehen, die ersten Steine beiseite zu räumen und merkt, wie stark und kraftvoll man sein kann ... ja, dann geht es voran.
Nicht sofort in Riesenschritten, nein. Aber kontinuierlich, Schritt für Schritt.
Aber bevor das Eintreten kann, bevor das Gestorbene dem Feuer übergeben werden kann, muss ich verstanden haben, was der Andere und die gemeinsame Welt, alle Träume, Ziele und Gewünschtes und nicht Gelebtes mir bedeuten. Nur in der Auseinandersetzung mit mir und durch meinen ganz persönlichen schwierigen und anstrengenden Weg durch die Traurigkeit hindurch erlange ich meine Freiheit zurück.
Festhalten ist wichtig, bevor mal loslassen kann. Ich habe viele Kladden Tagebuch vollgeschrieben in der Zeit, in der ich damit beschäftigt war, meinen Expartner und mein bisheriges Leben loszulassen.
Dann habe ich Schritt für Schritt begonnen, aufzuräumen. Mir eine neue Wohnung gesucht und alles so eingerichtet, wie ich es gemütlich fand. Mich darauf eingestellt, zu Hause mit meiner Gesellschaft vorlieb zu nehmen - ja, das geht! Meine Hände beschäftigt mit Stricken, meine Gedanken dabei schweifen lassen.
Manchmal auch einfach nur still dagesessen und die Stille auf mich wirken lassen.
Dann bin ich aktiv geworden, habe übers Internet Leute gesucht und gefunden für gemeinsame Unternehmungen.
Bin sportlich aktiv geworden, habe mein Motorrad-Hobby intensiviert und darüber viele freundschaftliche Kontakte geschlossen.
Jetzt habe ich mein neues, eigenes Leben zurück, lebe meinen bunten Alltag mit meinem Beruf, Freunden, Hobbies, Interessen und Leidenschaften. Die Erinnerungen sind natürlich noch da, und manchmal fließt auch immer noch ein Tränchen. Aber das belastet mich nicht mehr.
Einen neuen Partner gibt es derzeit nicht in meinem Leben; mir ist einfach noch niemand begegnet. Aber auch da genieße ich nun einfach die Zeit so, wie sie ist, freue mich über nette Kontakte - auch hier über den JC, allerdings sehe ich das auch hier mittlerweile sehr viel entspannter und gelassener. Genieße es mittlerweile, meine Freiheit zu haben und Zeit für mich. Ich bin zufrieden.
Und fühle: es darf jetzt gut sein. Es war schön, es war traurig. Und es geht weiter. That's life
Leider gibt es für diese Erkenntnisse keine Abkürzung; jeder muss seinen Weg hindurch selber finden. Aber das Ziel ist lohnenswert. Ich wünsche dir viel Kraft und Mut für die nächste Zeit! Du wirst das auch schaffen, da bin ich mir sicher. Alles Gute!