Gedanken nach intensiver Lektüre
Ich habe schon den gesamten Vormittag damit verbracht, diesen Thread durchzuarbeiten. Nun fehlen mir noch die letzten 5-6 Seiten, aber ich will, da ich gleich vom Rechner weg muss, mal mein Zwischenfazit versuchen. Vielleicht ist es auch eher eine Ansammlung von Kommentaren und Gedanken, die ich mir während der Lektüre notiert habe. Sorry, dass diese Gedankenfetzen teils etwas zusammenhanglos wirken, aber manche gehen auf Beiträge zurück, die 30 Seiten vorher waren und an deren Urheber ich mich nicht mehr erinnern kann:
Es wird von den Gegnern der offenen Beziehung ihren Befürwortern unterstellt, man wolle ja
nur etwas besseres finden und solange die vorhandene Beziehung ausnutzen. Warum sollte man mit dem Vorschlag, eine offene Beziehung zu führen, seine „Parkposition“ aufs Spiel setzen? Millionen von offiziell monogam lebenden Leuten machen es uns doch vor, wie man das bequem heimlich tun kann.
Als
Scheitern wird von den meisten Leuten immer nur das Ende einer Beziehung begriffen. Ist es nicht möglich, dass man sein Leben lang eine monogame Beziehung gelebt hat und trotzdem irgendwie gescheitert ist?
Eine Veränderung des Beziehungsmodells zwecks Rettung der Beziehung wird von vielen als zum Scheitern verurteilter Versuch gesehen. Das mag sogar stimmen. Besser ist es, sich a priori Gedanken zu machen, wie sich eine Partnerschaft auf lange Sicht entwickeln wird. Da gibt es ja Milliarden und Abermilliarden von Fallbeispielen und die ein oder anderen sind sogar dokumentiert. Es gab vor uns schon viele andere Menschen, die lebten und liebten und so ihre Probleme hatten. Es gibt auch heute solche Menschen, jung und alt, mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten.
Lernen wir doch voneinander!
Natürlich haben wir eine gewisse
westliche kulturelle Prägung, aber für mich gehört zu dieser Kultur, dass fast keine moralische Frage in Stein gemeißelt steht, sondern immer wieder neu ausgehandelt und begründet werden muss. Womöglich findet sich eine bessere Lösung, egal ob sie schon immer besser gewesen wäre oder in der heutigen Zeit angemessener ist.
Sich nur auf
das Vergangene zu berufen, ist auch nicht zielführend. Wenn man z. B. an Harems erinnert (ein Mann hat viele Frauen) und so auf die damit einhergehende Ungerechtigkeit verweist, führt das hier erstens an der Debatte über offene Beziehungen vorbei, zweitens sollte man nicht aufgrund spezifischer, historisch bedingter Ungerechtigkeiten im Harem auf eine entsprechende Ungerechtigkeit im heutigen Kontext in einer offenen Beziehung schließen.
Das Argument
„Als Single darf man ja machen, was man will“ ist schon recht merkwürdig. Mir fällt nichts ein, was ich als Single als Teil des guten Lebens betrachte und dann in einer Beziehung einfach, als würde ich einen Schalter umlegen, nicht mehr für erstrebenswert erachte. Präferenzen können sich im Laufe der Zeit sicherlich verändern, aber warum sollte eine Beziehung dazu führen, bestimmte Dinge auf einmal nicht mehr genießen zu können?
Die Monogamie-Anhänger behaupten, Freunde der offenen Beziehung würden sich diese schönreden. Da haben sie vielleicht durchaus recht, vermutlich ist das Glück in der offenen Beziehung ebenso oft ein Hirngespinst und
Wunschdenken, wie es bei monogamen Beziehungen der Fall ist. Es müsste schon jemand sehr stichhaltig begründen können, warum es zwischen den beiden Lebensweisen signifikante Unterschiede im Grad der Zufriedenheit und Wahrhaftigkeit geben sollte.
Ehrlichkeit ist etwas, von dem Partner normalerweise immer ausgehen, wenn sie eine Beziehung beginnen, egal ob offen oder monogam. Es wäre seltsam, würden sie von vorneherein die Unehrlichkeit voraussetzen. Was man hingegen vorwegnehmen kann ist die empirisch gut untermauerte Tatsache, dass sich Beziehungen im Laufe der Zeit verändern, dass sexuelle Leidenschaft in der monogamen Beziehung in der Regel nach einigen Jahren nachlässt und dass ein nicht zu verachtender Teil der offiziell monogam lebenden Menschen dies durch Seitensprünge kompensiert, meistens heimlich. Im heute gängigsten Beziehungsmodell ist also ein signifikantes Maß an Unehrlichkeit zu beobachten und häufige Trennungen, also das Phänomen der seriellen Monogamie, kann man auch nicht von der Hand weisen. Wenn einem die Partnerschaft am Herzen liegt, macht man sich also am besten vor einer möglichen Krise Gedanken, was man anders machen könnte, am besten gemeinsam. Darin steckt bereits eine große Ehrlichkeit. Freilich bedeutet das nicht, dass eine offene Beziehung angesichts ihrer Eigenschaften automatisch stets zu Ehrlichkeit führt.
Einige Leute verwenden bei
fiktiven Beispielen gerne ganz bestimmte Formen von offenen Beziehungen, um daran zu zeigen, dass auch sie nicht frei von potenzieller Unehrlichkeit sind. Dieser Annahme würde ich zustimmen, zumal sich Unehrlichkeit ja auch auf andere Dinge als auf Sex und Gefühle beziehen kann. Doch wenn man die m. E. problematischste Variante der offenen Beziehung mit Veto-Recht beispielhaft heranzieht, ist das wohl schon etwas interessengeleitet. Honi soit qui mal y pense!
Zu guter Letzt fällt mir auf, dass diejenigen, die ihre Ablehnung gegenüber offenen Beziehungsmodellen hier kundtun, dies in der Regel sehr knapp und ohne große argumentative Unterfütterung machen. Das ist natürlich ihr gutes Recht und es ist auch verständlich. Wer sich auf die Konvention, auf Selbstverständlichkeiten berufen kann, hat es relativ leicht.
So, in den nächsten 2-3 Tagen komme ich wieder, um noch mehr Senf dazu zu geben!