Meine Theorie ist:
Gleichheit, Gendergrenzen abbauen ist ein wunderbarer Luxus, den wir uns in unserer Luxuswelt ohne Hunger, ohne Kriege, ohne Krankheiten und Tod erlauben können. Ich empfinde sie als genauso unverzichtbar wie Demokratie und Disco.
Allerdings hatten unsere Vorfahren vor vielen tausend Jahren nicht so einen Luxus. Sie konnten es sich nicht leisten, ständig zu reden und ihre Rolle im Gemeinschaftssystem zu hinterfragen. Es musste laufen. Essen musste rangeschafft werden. Wenn der Boss sagte, mach so, dann musste man so machen, damit die Gruppe nicht zugrunde ging. Und manchmal wurde das neu austariert, aber das waren Kämpfe. Für das Überleben war nicht wichtig, dass man Boss war oder gleichberechtigt, sondern dass man auf den Mann oder die Frau an der Spitze hörte.
Irgendwo in unserer genetischen Matrix haben wir so was wohl auch stehen. Und es gilt tatsächlich im Alltag oft, dass dann, wenn man gemeinsam Entscheidungen unter Zeitdruck treffen muss, einer der beiden in einer Partnerschaft eher entscheidet. Bei uns bin das meistens ich. Nicht, weil ich Entscheidungen gerne treffe, aber weil ich einfach allgemein viel grübele und im Entscheidungsmoment dann meist schon weiß, wo ich hin will. Das könnte jetzt dahin führen, dass ich meinem Schatz meinen Willen aufdrücke. Es könnte aber auch einfach heißen, dass bei Dingen, wo beide unsicher sind, eher mein Wort gilt. Beispiel: Samstag Abend. SM-Party oder Videoabend mit Castle? Beides schön! Mögen wir beides. Mein Schatz ist unsicher und wird irgendwann gereizt, weil er nicht für uns beide entscheiden mag, weil man nachher nie weiß, ob man nicht doch lieber das andere getan hätte. Ich sage schließlich: Scheiß auf die nervige Diskussion, dann melde ich uns eben zur Party an.
Da wir in unseren modernen Zeiten leben, können wir das auch wunderbar so machen - obwohl ich nicht mal einen Führerschein habe und mich für den Weg dahin völlig auf seine Führung verlassen muss. Und wenn er unterwegs sagt, oh, im Radio wird Stau angesagt, soll ich sorum oder sorum umgehen, was meinst du, schiebe ich die Entscheidung auch gnadenlos auf ihn ab.
Dieser Ausflug vom Thema diente dazu, deutlich zu machen, dass es in uns drin ist, dass wir "eigentlich" wissen, dass es gut ist, eine feste Rolle und Aufgabe im Stammessystem zu haben und zu wissen, wohin wir gehören, wo unser Platz ist, wer uns sagt, was wir tun müssen und wem wir sagen, was sie tun müssen. "Eigentlich" ist es aber auch gut, vor Löwen wegzulaufen und sich gegenseitig Flöhe aus den Haaren zu sammeln und viele Kinder zu kriegen, weil die Hälfte davon eh stirbt.
Wir haben heute also den Luxus, selbst zu entscheiden, wann wir dieses archetypische Bedürfnis nach ganz klaren Rollenverteilungen ausleben wollen und auf welche kreative Weise man es auslebt. Genau, wie wir selbst entscheiden können, ob wir joggen, tanzen oder schwimmen wollen, wenn wir ein Bedürfnis nach Bewegung haben. Und wie viele Kinder wir wollen. Und ob wir uns auch ohne Flöhe gegenseitig die Haare kämmen und uns gegenseitig einkremen und massieren und lecken.
Ist doch super :).