Deutsche Sprache aus dem Schmelztiegel der Geschichte
Alle heute noch lebenden europäischen Sprachen sind - mit Ausnahme des Finnischen, des Ungarischen und vielleicht des Baskischen - indogermanischen Ursprungs. Das heißt: Englisch, Italienisch, Griechisch, Deutsch und Russisch (um nur einige der größten zu nennen), gehen alle auf dieselben sprachlichen Wurzeln zurück.
Wissenschaftlichen Theorien des 19. Jahrhunderts zufolge waren die Indogermanen ursprünglich in Mittel- oder Südasien beheimatet, um von da aus zwischen 4000 und 1000 v.Chr. in mehreren, zeitlich weit auseinander liegenden Wellen nach Europa einzuwandern.
Nun ist nicht zu erwarten, daß irgendwelche Wörter über tausende von Jahren stets gleich geblieben sind. Sprachen sind nicht statisch, sondern wie organische Gebilde verändern sie sich, verzweigen sich, entwickeln sich weiter oder sterben aus.
Für sprachliche Veränderungen gibt es viele Gründe.Mit Sicherheit ist aber einer der wichtigsten Gründe, daß Stämme und Völker sich trennen, daß Volksgruppen abwandern, in der neuen Heimat auf Bewohner anderer Sprachen treffen und sich vermischen, daß sie neue Dinge kennenlernen, denen sich ihre Sprache anpassen muß. So verästeln sich einheitliche "Hochsprachen" zunächst in Dialekte, aus denen letztlich neue Sprachen geboren werden.
Die europäischen Unterfamilien des Indogermanischen:
Bis in die Zeit um Christi Geburt waren in Europa außer dem Germanischen vier weitere sprachliche Zweige entstanden, von denen heute noch Nachfolgesprachen lebendig sind:
Hauptgruppen
1. Das Keltische beherrschte den Westen Europas, die britischen Inseln, Spanien, Frankreich, Süddeutschland. Bis auf wenige, zum Teil künstlich aufrecht erhaltene Reste in Irland, in der Bretagne und im Norden Schottlands ist die einstmals größte Sprachgruppe heute praktisch ausgestorben. Sie fiel zunächst römischen Invasionen, später der germanischen Eroberung Großbritanniens zum Opfer.
2. Im äußersten Süden etablierte sich das Italische mit seinen Hauptvertretern Etruskisch und Lateinisch. Von Italien aus verbreitete sich seit Julius Caesars Zeiten (100 - 44 v.Chr) die Sprache der Römer über halb Europa. Dank der römischen Eroberung und jahrhundertelangen Überfremdung Galliens, Spaniens und des Balkans gaben die dort lebenden Völker ihre eigenen Sprachen auf. Es entstanden vulgärlateinische Dialekte, aus denen sich im Mittelalter die romanischen Sprachen Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch und Rumänisch entwickeln sollten. 1000 Jahre nach dem Untergang Roms setzten Portugiesen und Spanier die Ausbreitung des Romanischen fort, indem sie Südamerika und viele andere Teile der Welt eroberten.
3. Von den osteuropäischen Völkern wurde die Gruppe des Balto-Slawischen hervorgebracht. Da die Slawen erst zu Beginn des Mittelalters (wieder) massiv nach Europa eindrangen und damit verhältnismäßig spät in das Licht der Geschichte und der Schriftkultur traten, finden sich nicht vor dem 9./10. Jahrhundert schriftliche Zeugnisse ihrer Sprachen. Die baltischen Sprachen (Litauisch, Lettisch) sind sogar erst seit dem 16. Jahrhundert belegt. Das macht die Zurückverfolgung ihrer sprachlichen Entwicklung besonders schwierig. Das Slawische verzweigte sich in die Einzelsprachen Russisch, Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Bulgarisch, Slowenisch und Serbokroatisch.
4. Das Griechische stellt in zweierlei Hinsicht ein Unikat unter den europäischen Sprachen dar: Es ist von allen indogermanischen Tochtersprachen die am frühesten und weitaus am reichhaltigsten überlieferte - gleichzeitig hat Griechisch sich aber am wenigsten in Europa verbreitet, oder besser gesagt: es hat seine einstige weite Verbreitung in Südosteuropa nicht halten können. Mit dem Untergang des oströmischen Kaiserreichs von Konstantinopel war die Sprache auf ihr Stammland zurückgeworfen.
5. Als Kernland des Germanischen ist wohl der Süden Dänemarks oder der Norden Deutschlands anzusehen. Von da aus breiteten die Germanen sich nach Skandinavien und Island aus, im Süden über Deutschland, Österreich und Burgund. Einzelne ostgermanische Gruppen, von denen noch zu reden sein wird, eroberten zeitweise Italien, Spanien und Nordafrika, hinterließen dort aber nur geringe sprachliche Spuren und verschwanden selbst aus der Geschichte. Zukunftsweisender wurde die mehrmalige germanische Eroberung der britischen Inseln: im 5. Jahrhundert durch die Angelsachsen, im 8./9. Jahrhundert durch die Wikinger, zuletzt 1066 durch die (romanisierten) Normannen. In der Neuzeit sorgten die Engländer dafür, das Germanische über den ganzen Erdball zu verbreiten. Außer dem Englischen und dem Deutschen gehören Isländisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch, Niederländisch, Afrikaans und Jiddisch der germanischen Sprachenfamilie an.
Der Verschmelzungsprozeß im Norden Europas war zwischen 1200 und 1000 v.Chr. abgeschlossen. Die darauf folgende Periode bis etwa 200 v.Chr., in welcher in Skandinavien, Jütland und in der Nordhälfte Deutschlands, vom heutigen Belgien im Westen bis in den baltischen Raum eine ziemlich einheitliche Sprache gesprochen worden sein muß, bezeichnet man als die Zeit des "Urgermanischen".
Von der ersten, der germanischen Lautverschiebung, durch welche das Germanische sich im letzten vorchristlichen Jahrtausend vom Indogermanischen schied, war schon die Rede. Hier geht es nun um die zweite, die "althochdeutsche" Lautverschiebung. Wie der Name schon sagt, betrifft dieser Vorgang, der zwischen 500 und 700 n.Chr. stattgefunden hat, nur die deutsche Sprache, oder besser gesagt: jene südgermanischen Dialekte, die eben aufgrund der gemeinsam durchgemachten Lautverschiebung im Laufe des Mittelalters zur deutschen Sprache zusammenwachsen sollte. Es handelt sich um die Stammesdialekte, die in der schematischen Darstellung in die Gruppen Rhein-Weser-Germanisch (daraus später Thüringisch, Hessisch, Fränkisch) und Elbgermanisch (Bairisch, Alemannisch, Langobardisch) eingeteilt sind. Der Ausdruck "Elbgermanisch" rührt übrigens daher, daß die Alemannen und Bayern ursprünglich - wie die 568 nach Italien einfallenden Langobarden - an der mittleren Elbe saßen und erst in spätantiker Zeit nach Süddeutschland wanderten.
Südgermanisch
Die Sprache der am Meer und in der norddeutschen Tiefebene sitzenden Stämme wird als "Nordseegermanisch" zusammengefaßt. Ihnen ist gemeinsam, daß sie nicht an der zweiten Lautverschiebung teilnahmen und also auch keinen Anteil an der Entstehung der deutschen Hochsprache haben sollten. Die wichtigsten Volksgruppen hier sind im Norden die Jüten und Angeln, weiter südlich (im heutigen Niedersachsen und Westfalen) die Sachsen, im Westen die Friesen, südwestlich davon die Niederfranken (die heutigen Flamen und Holländer).
In den ostdeutschen Raum stießen slawische Völker vor, seit die Ostgermanen von dort abgezogen waren. Indem Abteilungen der schleswig-holsteinischen Angeln und Jüten sowie der Sachsen seit dem 5. Jahrhundert nach Großbritannien auswanderten, um dort das verwaiste Erbe der Römer anzutreten, gelangten ihre Dialekte auch auf die andere Seite der Nordsee und verbanden sich dort zum Angelsächsischen, das im Zuge seiner Verselbständigung gegenüber dem kontinentalen Altsächsischen auch Altenglisch genannt wird.
Der Süden Dänemarks wurde dem nordischen Sprachraum angeschlossen, indem skandinavische Stämme in das von den Jüten freigegebene Land nachrückten. Im norddeutschen Raum entwickelte sich das Altsächsische zum Mittelniederdeutschen und weiter zum heutigen Platt- oder Niederdeutschen. Aus dem Altniederfränkischen wurde Mittelniederländisch, daraus das jetzige Niederländisch in Holland und Belgien, mit einem Ableger in Südafrika, dem burischen Afrikaans.
Durch einen weiteren Lautwandel im Konsonantensystem setzten sich die Dialekte in der Südhälfte Deutschlands von den übrigen germanischen Sprachen ab. Es entstand ein Gegensatz der oberdeutschen und mitteldeutschen Mundarten nicht nur zu den nordgermanischen und ostgermanischen Sprachen, sondern innerhalb des Westgermanischen nun auch zu den nord- und westdeutschen Dialekten. Die Veränderungen waren auch in den betroffenen Gebieten nicht überall gleich, sondern man kann verkürzt sagen, je weiter südlich ein Dialekt beheimatet war, desto gründlicher hat sich die Konsonantenverschiebung ausgewirkt - am vollständigsten im Bairischen und Alemannischen.
Die mit der zweiten Lautverschiebung entstandene deutsche Sprache ist seit dem 8. Jahrhundert schriftlich bezeugt. Die Sprachstufe von hier an bis etwa 1050 heißt "Althochdeutsch". Dabei ist unbedingt zu beachten, daß für diese frühe Zeit der Ausdruck Hoch-Deutsch noch nicht gleichbedeutend ist mit "Standardsprache", sondern "hoch" ist wie Ober-Deutsch geographisch zu verstehen: Es sind die höhergelegenen, südlichen Regionen Deutschlands, deren Dialekte im Frühmittelalter in ihrer Gesamtheit das Deutsche repräsentieren.
Nachdem sich das westgermanisch-deutsche Sprachgebiet zu Beginn des Mittelalters auf dem Festland deutlich verkleinert hatte, indem die westfränkischen und langobardischen Bevölkerungen in Frankreich bzw. Italien romanisiert worden waren, dehnte sich das Deutsche in alt- und mittelhochdeutscher Zeit wieder erheblich aus. Im Osten eroberten deutsche Kolonisten Schlesien und Obersachsen (das heute so genannte "Sachsen"), Pommern und große Teile Preußens, teils für die niederdeutsche Sprache, teils für mitteldeutsche Dialekte.
Während des gesamten Mittelalters gab es innerhalb des deutschen Reichs noch einen anderen Sprachraum, der abseits vom hochdeutschen Bereich stand: das Niederfränkische. Obwohl sprachlich und wirtschaftlich dem Norden Deutschlands näherstehend, nahm der niederfränkische Kulturraum aktiv am Import der französchen Literaturstoffe und sogar anregend an der literarischen Entwicklung Oberdeutschlands teil.
Den Übergang vom Mittel- zum Neuhochdeutschen kennzeichnen wiederum lautliche Veränderungen. In dieser Zeit gab es immer noch keine einheitliche hochdeutsche Sprache, aber sie war nun dabei, getragen von bewußt gestaltenden Autoren, sich einigermaßen zielstrebig zu entwickeln. Insofern bekommt das Wort "Hochsprache" einen neuen Sinn: Es bezeichnet im Neuhochdeutschen nicht mehr die Dialekte der hochgelegenen deutschen Länder, sondern es steht jetzt für eine ideelle Standardsprache.
Wenn es nun immer noch Texte deutscher Autoren gab, die anderen Deutschen unverständlich waren, so lag das an Latinismen und eingeführten französischen Wörtern, nicht mehr am eigentlichen Deutsch, das da geschrieben wurde. Die Orthographie war allerdings auch im 18. und 19. Jahrhundert noch nicht klar geregelt. Erst seit 1901 (Rechtschreibreform und Herausgabe des "Duden") besitzen wir endlich eindeutige Rechtschreibregeln, die außer für Deutschland auch für die Schweiz und Österreich gelten - besser gesagt: wir besaßen ein sinnvolles Regelwerk, bis es durch die "Reform" von 1997 wieder zerstört worden ist.
Wie zu allen Zeiten, so drangen auch während der Periode des Neuhochdeutschen viele neue Wörter ein. Mit dem Niedergang der ritterlichen Gesellschaft ging der Einfluß des Französischen zunächst zurück. Dafür wurde in der Renaissance das Lateinische wieder stärker, was vor allem in der Bildung von latinisierenden Familiennamen seinen Ausdruck findet.
Ein sehr weites Feld ist auch das Thema der Bedeutungsveränderung von Begriffen: Alte, vom Ahd. über das Mhd. überlieferte Wörter bekamen einen neuen Inhalt, indem sich ihr Sinn erweiterte oder verengte.
Anfänge der Entwicklung einer deutschen Standardsprache
Um 1450 erfand der Mainzer Bürger Johannes Gutenberg die Kunst, Bücher zu drucken. Die Druckerpresse ermöglicht es, innerhalb von Wochen Texte in hunderten von Exemplaren herzustellen, wofür früher, wenn Mönche sie hätten mit der Hand schreiben sollen, Jahrzehnte gebraucht worden wären. Hatte es zuvor für die meisten Menschen keinen Sinn gehabt, überhaupt lesen zu lernen, da es kaum etwas zu lesen gab, so war mit einem Male die geschriebene Sprache breiten Bevölkerungsschichten zugänglich: Gedruckte Bücher, Flugschriften und Kirchenlieder wurden zu den ersten Massenmedien der Geschichte.
Daß nun sehr viele lesekundige Deutsche dieselben Texte lasen, hatte natürlich auch auf die heraufziehende neuhochdeutsche Sprache große Auswirkungen: Was sich im hohen Mittelalter innerhalb einer kleinen, sehr elitären Literarurszene angedeutet hatte, konnte nun auf stetig sich verbreiternder Front durchbrechen - die Entstehung einer einheitlichen Sprach- und Schriftnorm. Der Wortsinn von "Hochsprache" verschiebt sich, der Begriff steht jetzt - wie oben schon erwähnt - für eine ideelle Standardsprache.
Eine besondere Rolle spielte die Bibelübersetzung Martin Luthers für die Entstehung des Neuhochdeutschen. Obwohl Luther selber aus dem nordthürigischen Raum stammte und dort wirkte, setzte er nicht einfach seinen heimischen Dialekt bei der Übersetzung um, sondern bemühte sich gezielt um eine möglichst ausgleichende Sprache und volkstümliche Ausdrucksweise. In ganz Deutschland waren um die Mitte des 16. Jahrhunderts rund 100.000 Exemplare einer wittenbergischen Ausgabe der Lutherbibel im Umlauf. Ihre Sprache wirkte über den hochdeutschen Raum hinaus: Als billig zu kaufendes Buch drang sie auch nach Norddeutschland vor und half bei der schleichenden Verdrängung des Niederdeutschen mit. Nicht im Hinblick auf die lautlich-formale Entwicklung, aber wegen seinen stilisten Gebrauchs darf Martin Luther als Schöpfer, als "Vater" der deutschen Sprache gelten.
Allerdings setzte schon bald nach dem verheerenden Ausgang des 30-jährigen Krieges eine Gegenbewegung ein, die wieder gehäuft französisches Wortgut einführte: Unter dem Eindruck des "vorbildlichen" Versailler Absolutismus wurden Maitresse, Dame, Kavalier, galant und vieles andere aus dem Gesellschaftsleben in Deutschland heimisch, Fürsten nannten ihre Schlösser Sanssouci, Monrepos oder Solitude. Während sich das Lateinische nun auch aus den Wissenschaften allmählich zurückzog, gingen mehrere Höfe und Akademien dazu über, nur noch Französisch zu sprechen. Friedrich II. der Große von Preußen meinte mit Voltaire, Deutsch sei nur für Pferde und Soldaten eine geeignete Sprache.
Indirekt hatte der französische Einfluß jedoch eine positive Nebenwirkung: Man bemühte sich im 18. Jahrhundert, den Franzosen auch das nachzumachen, daß sie eine einheitliche Schriftsprache mit festen Schreibregeln besaßen. So gewann im Deutschen das Schriftliche langsam die Oberhand über die Mündlichkeit, Schriftdeutsch wurde Standardsprache: "Sprich, wie du schreibst!"
Seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges (1756 - 1763), erst recht nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches und Abtrennung Österreichs (1806), hat sich das politische Gewicht innerhalb Deutschlands nach Norden verlagert. Brandenburg-Preußen wurde zur Vormacht im "kleindeutschen" Verband der Länder. Der Anspruch, das "reinste Hochdeutsch" zu sprechen, ging auf die ehemals niederdeutschen Gebiete über. Da ihre eigene Sprache weiter vom Schriftdeutschen entfernt gewesen war als die ober- und mitteldeutschen Dialekte, aus denen der hochdeutsche Standard ja hervorgegangen war, hatten die Niederdeutschen das "Buchdeutsch" gewissermaßen wie eine Fremdsprache schulmäßig gelernt. Daraus folgt bis in die Gegenwart, daß sie fast ganz ohne mundartliche Einsprengsel Deutsch sprechen, während alemannischen, (ober-) sächsischen oder bayerischen Sprechern trotz Bemühens um mündliche Verwirklichung der Schriftsprache meistens die regionale Herkunft anzuhören ist. Mit Recht wird deshalb gesagt, daß die in Niedersachsen gesprochene Sprache heute das repräsentiert, was wir die neuhochdeutsche Standardsprache nennen. Ihr entsprechen auch die 1898 getroffenen Ausspracheregeln für das hochdeutsche Theater, die auch in Österreich und in der Schweiz anerkannt werden.
Deutsch ist heute Staatssprache im wiedervereinigten Deutschland, in Österreich, in der Schweiz (neben Französisch und Italienisch), in Luxemburg (mittelniederfränkischer Dialekt "Lëtzebuergesch"), Liechtenstein und Belgien (Minderheitssprache neben Niederländisch und Französisch). Darüberhinaus gab es bis vor kurzem deutschsprachige Bevölkerungsgruppen in der ehemaligen Sowjetunion, in Polen, Rumänien und Ungarn.
Die Geltung und das Ansehen der deutschen Sprache sind durch das Unheil des Nationalsozialismus schwer geschädigt worden. Auch wurde ein Nebenzweig des Deutschen im Zuge der Herrschaft Hitlers und des zweiten Weltkriegs praktisch ausradiert: das Jiddische, das sich im 13./14. Jahrhundert im Rheinland aus dem Mittelhochdeutschen entwickelt hatte und mit der Auswanderung jüdischer Bevölkerung nach Osteuropa zu weiter Verbreitung gelangt war. Wenn Deutsch bis 1933 mit großer Selbstverständlichkeit bei den meisten unserer Nachbarn, in Belgien, Holland, Skandinavien, Polen, Ungarn die erste Fremdsprache war, die gelernt und gesprochen wurde, so sind es dort heute gerade noch 10% der Fremdsprachenschüler, die sich dem Deutschen zuwenden.
Sogar daß das Englische dem Deutschen als europäische Verkehrssprache den Rang abgelaufen hat, ist indirekt eine der Folgen des Krieges: Die heutige militärische und kulturelle Vormacht der USA ist dadurch begründet worden, daß sie in den Krieg einbezogen wurden, seither als "Schutzmacht" von Demokratie und Freiheit an der europäischen Politik beteiligt sind und ihre Lebensart exportieren. Und wie einst lateinische Wörter in allen Sprachen, mit denen die Römer in Berührung kamen, sich einnisteten, so sind heute fast alle anderen Sprachen - einschließlich des Deutschen! - von englischen Ausdrücken durchsetzt.
Zusammenfassend - und damit schließe ich diese kurze Übersicht über die germanisch-deutsche Sprachgeschichte ab - läßt sich der Weg einer Weltsprache als Aneinanderreihung von historischen Zufällen darstellen: Vor 1500 Jahren eroberte eine Schar von Sächsisch sprechenden Germanen aus Deutschland die britischen Inseln. Verstärkt durch wikingischen Abenteuergeist, machten sich diese Auswanderer 1000 Jahre später auf, ein riesiges Kolonialreich zu begründen. Sie eroberten einen neuen Kontinent und entwickelten dort eine neue Staatsform. Die amerikanische Neugründung war so erfolgreich, daß ihre Träger in die Lage versetzt wurden, ihre Sprache über die ganze Erde zu verbreiten. So ist das Idiom der Auswanderer, nun getragen von einem ganz anderen Volk, in neuem Gewand als Eroberer in die alte Heimat zurückgekehrt - nach Mitteleuropa, nach Deutschland.
Quelle: Stefan Jacob, Vom Indogermanischen zum Deutschen
Geschichte der deutschen Sprache von den Anfängen bis zur Gegenwart,
2003