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Lyrik für die Massen?

Lyrik für die Massen?
In einem Forum für Literatur habe ich kürzlich die Frage gestellt: 'Welche Marktchancen hat heutzutage Lyrik? Warum führt diese ein stiefmütterliches Dasein in den Buchhandlungen? Wie könnten die Leser wieder für Lyrik interessiert werden? Wie muss sich Lyrik möglicherweise verändern, um einen größeren Leserkreis zu gewinnen?'

Eine repräsentative Umfrage war es sicherlich nicht, aber die Antworten waren dennoch bemerkenswert. Ich muss hinzufügen, dass alle Kommentare von Hobby-Autoren oder auch von professionellen Schreibern kamen. Reine Leser des Forums hatten keine Möglichkeit, einen Kommentar abzugeben.

Manche waren der Meinung, dass schon vieles in der Schule versäumt wird. Dem muss ich beipflichten. Lyrik ist kaum noch ein Thema. Gerade in den Zeiten von 'Pisa' wird stattdessen der Schwerpunkt auf Zeitungsartikel gelegt und mit deren Hilfe Rechtschreibung und Grammatik geübt.

Es kam auch zum Ausdruck, dass die Jugend kaum noch für Lyrik interessiert werden könne. Die Welt wäre reizüberflutet, Computerspiele, Flatrate-Parties, Wandschmierereien und Feiern bis zum Delirium wären die Freizeitbeschäftigung von heute. Hier ist in der Tat ein bedenklicher Trend festzustellen.

Ziemlich erstaunt war ich über einen Kommentar, der so lautete:

* Zitat *
„Sicher, die Lyrik führt ein Schattendasein. Aber das ist doch gar nicht schlimm. Es ist wie mit Blumen - je seltener, um so kostbarer. Orchideen blühen eben nicht an jedem Wegesrand, sondern an den versteckten Orten, an die Wanderer nur mit Mühe gelangen.
Ich glaube, Lyrik soll gar nicht für alle sein, und schon gar nicht für ein großes Publikum. Sie ist eben leise, still, zurückhaltend, und sie erschließt sich eben nur den Auserwählten, denen, welche die Mühe nicht scheuen.
Lyrik ist schwierig. Man muß oftmals nachdenken, um sie zu verstehen; und schlimmer noch: Manche Gedichte muß man nachfühlen. Und das ist oftmals noch schwerer.

Also, Poesie ist nicht massenkompatibel. Auf Fragen der Vermarktung sollen sich die Autoren von Massenware einlassen.
Und das sich Lyrik verändern soll, nur um den Massen zu gefallen, das sollte gleich gar nicht in Frage kommen.

Kunst, ebenso die Poesie, ist dazu da, die Menschen in die Lage zu versetzen, über sich hinaus zu wachsen. Und das kann sie nicht, wenn sie sich, nur um der Publikumswirksamkeit willen, anbiedert, kleiner macht, anpaßt und nivelliert.„
* Zitat Ende *

Das Lyrik nicht für ein großes Publikum sein soll ist ein starker Satz. Lyrik soll also einem großen Publikum vorenthalten werden. Nach dem Motto, nur Reiche sollen sich einen Mercedes kaufen, die anderen dürfen weiter Fiat fahren? Ich hoffe, das ist nicht ernst gemeint. Je mehr Leute man für Lyrik (statt beispielsweise Boxen) begeistern kann, umso besser. Das ist genau die Ansicht, die das elitäre Publikum auf Lesungen vertritt: Wir sind etwas Besonderes. Proletarier, fresst weiter (Bildzeitungs-)Dreck.

Nach diesem Kommentar habe ich mir die Texte und Kommentare der verschiedenen Schreiber einmal genauer angesehen. Danach konnte man die Autoren problemlos in verschiedene Kategorien einsortieren. Es gibt sie doch, die vermeintlich elitäre Schreiberschar, die bewusst oder unbewusst die Massen außen vor lassen möchte. Ich halte diese Ausgrenzung für gefährlich. Statt zu versuchen, eine Brücke zu schlagen, wird der Abstand immer größer. Besonders die Ansicht der Olymp-Dichter, ihre Form von Poesie ist die Alleingültige, alles andere ist keine Lyrik, ist schier unerträglich. Diese Auffassung ist mit ein Grund für das kümmerliche Dasein, dass Dichtung heute in den Regalen der Buchhandlungen führt.

Natürlich kommt noch hinzu, dass viele dieser Dichter ihre Werke für grandios halten und kaum kritikfähig sind. Manches von dem, was so geschrieben wird, ist bestenfalls als Experiment zu bezeichnen. Doch wehe, man erlaubt sich, so etwas in einem Forum zu schreiben. Gesteinigt zu werden ist das Geringste, was einem dann passieren kann.

Man kann Lyrik durchaus einem größeren Personenkreis zugänglich machen. Eine Möglichkeit wäre, die Maschinerie der Lyrik-Lesungen zu durchbrechen. Dort treffen sich stets die selben Leute. Wie die politischen Redenschwinger im Hyde-Park muss man an die Öffentlichkeit gehen. Mitten unter's Volk.

Werbung wäre ebenfalls dazu geeignet, mehr Menschen zu erreichen. Heute wird für jeden Schokoriegel mehr Werbung gemacht. Lesungstermine muss man jedoch mühsam suchen.

Übrigens ging ein Aufschrei der Empörung durch die Reihen der Forumsteilnehmer, als ich anmerkte, für's Volk zu schreiben. Also leicht verständliche Gedichte zu produzieren, die keiner Interpretation bedürfen.

„Lyrik ist schwierig“, meinte der zitierte Elite-Schreiber. Ich vervollständige einmal seinen Satz, um den ganzen Gedankengang dieses Menschen zu zeigen: „Lyrik ist schwierig, die verstehen nur wir. Lest ihr mal weiter Bildzeitung“.

Schon immer wurde versucht, die Massen dumm zu halten. Sie sind dann einfach leichter zu regieren.
*****one Frau
13.323 Beiträge
das...
wird hier auch gerade betrachtet:

Gedichte und Lyrik: Lyrik heute
**********ire21 Frau
2.155 Beiträge
*******ess:
Das Lyrik nicht für ein großes Publikum sein soll ist ein starker Satz. Lyrik soll also einem großen Publikum vorenthalten werden. Nach dem Motto, nur Reiche sollen sich einen Mercedes kaufen, die anderen dürfen weiter Fiat fahren?

Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Die zitierte Person meinte meiner Meinung nach nicht, dass nicht alle Gedichte lesen sollten, sondern dass das Rezipieren der Gedichte durchaus auch mit etwas Mühe verbunden sein sollte. Lyrik sollte sich nicht so verändern, dass sie der Masse verständlich wird. Das wäre der kleinste gemeinsame Nenner, wo dann nicht mehr viel übrig bleibt an Facettenreichtum. So habe ich es verstanden. Sondern die breite Masse sollte sich bewegen und sich bemühen, Lyrik zu verstehen.
@relightmyfire
Sondern die breite Masse sollte sich bewegen und sich bemühen, Lyrik zu verstehen.
Meines Erachtens fehlt es hier schon am Bemühen, Kindern Literatur im Allgemeinen und Lyrik im Besonderen näher zu bringen. Wenn es die Schule nicht mehr schafft, wer dann. Das von mir anvisierte Publikum hat genug mit der eigenen Existenz zu kämpfen (i.d.R.) und häufig keinerlei Beziehung mehr zum geschriebenen Wort (von den großen roten Buchstaben mal abgesehen).
Wenn wir also nur noch die Schule haben zur Vermittlung von Wissen in diesem Bereich, dann sehe ich schwarz. Daher auch mein eigener Ansatz, eben KEINE Gedankenlyrik, welche den Intellekt zu sehr fordert zu schreiben. Die Idee, welche ich verfolge ist über leichte, nicht mehrdeutige Reime (mehr sind meine Machwerke nicht) als Erstes ein Interesse zu wecken. Quasi eine Einstiegsdroge in der Hoffnung, den nächsten Schritt über die Klassiker gehen zu können. Das versuche ich meist über humorige Texte.
Aber das ist ein schweres Thema, über welches man ewig diskutieren könnte. Jedenfalls vielen Dank für Deinen Beitrag.
*******ess:
Wenn wir also nur noch die Schule haben zur Vermittlung von Wissen in diesem Bereich

ja, wenn es nur noch die Schulen dafür gibt, dann sehe ich auch SCHWARZ

ich sehe aber die kleinen Bereiche
zBs

  • Lesestuben im Seniorentreff
  • Lesungen im Kindergarten
  • DichterCafé in den kleinen Gaststuben


nur und ausschließlich es in die Schulen zu geben ist verkehrt
denn Kinder und Jugendliche wollen gern die Zauberei der Wörter erkunden

ich muss dafür meine Zeit geben
dann kommen andere auch mit dazu
******ket Mann
30 Beiträge
Ich danke dir, dass du meinen Intellekt schonst und nicht überforderst. *danke* Wenn man es genau nimmt, sind deine "Schüttelreime" im Moment (seit ungefähr 35 Jahren), die einzige Lyrik, die mich erreicht und begeistert.

Ein Bild-Leser *tuete*
@Leahnah
ich sehe aber die kleinen Bereiche
zBs

Lesestuben im Seniorentreff
Lesungen im Kindergarten
DichterCafé in den kleinen Gaststuben

Senioren sind in der Tat eine dankbar Klientel, und ich gebe Dir natürlich recht. Unzählige Lesungen ind Senioren-Einrichtungen aller Art haben mich in dieser Auffassung bestätigt.
Aber ernsthaft. Alle anderen Vorschläge sind doch bestenfalls geeignet, wenige Einzelne zu erreichen. Ich dachte an die allgemeine Misere und wie man dort den Hebel ansetzen kann. Zu recht werden so gut wie keine Bücher mehr mit Lyrik verlegt. Sie rechnet sich nicht. Wenn also in Buchhandlungen nichts mehr angeboten wird... tja dann.
*******ess:
keine Bücher mehr mit Lyrik

merkwürdig
ich finde immer noch NEUE in den Buchhandlungen
teils von kleinen Verlagen, teils von großen

ist mein Anspruch
im Kleinen zu beginnen doch recht oft zu weiterem bringend

bedeutet
ich lege die kleinen Grundsteine
in meiner täglichen Arbeit, im Gespräch, bei Besprechungen
und schaue mich um
Ja klar,
aber zu fast 100% von Druckkostenzuschuss-Verlagen, wo die Autoren fleißig fürs Verlegen der Bücher bezahlt haben. Soviel ist sicher.
nee, bestimmt nicht

zBs gibt es Verlage, in Ffm kenn ich sogar die genaue Produktion und da wird nichts vorweg an Geld von der Schreiberin verlangt

ist ein schweres Unterfangen für die Verlegerin und bringt mehr als graue Haare
Ausnahmen
bestätigen bekanntlich die Regel, doch grade in Ffm gibt es auch die großen schwarzen Schafe. Namen darf man ja nicht nennen, da man sofort verklagt wird. Jedenfalls habe ich einige solcher Angebote gleich in die Ablage "P" befördert.
*genau*
und die Ausnahmen sind eben schwer am kämpfen

und somit sehe ich meinen Anteil
diese mit zu unterstützen, indem ich eben mich genau vorab informiere und die Info auch weiter gebe
*****one Frau
13.323 Beiträge
lyrik wird nie etwas für die massen sein und war es auch nicht.
allerdings finde ich unterschätzt, dass es viele sehr gute songtexte gibt, die auch ohne musik allerfeinste lyrik sind.
das kommt auch bei jungen leuten gut an.
oder diverse projekte wie "Rilke- Projekt", die sich richtig gut verkaufen lassen.
einen lyrikband zu veröffentlichen ist nicht weiter schwer.
aber damit geld zu verdienen schon.
ich sehe den trend eher in die richtung, die lyrik unter die massen zu bringen.
öffentliche poetry- slams, das internet...es gibt viele möglichkeiten.

gruß

diA
Wahre Worte,
doch dann weg vom elitären "wir-sind-besser-als-das-Fußvolk"-Gehabe. Lyrik-Lesungen können schon ob des Publikums schrecklich und so gar nicht verlockend sein. Wenn dann der Autor nach lebhafter Interpretation seines Vers-Libre-Werkes bemerkt, "Die 4. Interpretation klingt schön. Die nehm ich", dann fühle ich mich schlichtweg vera... (Live genau so erlebt).
*****har Paar
41.020 Beiträge
Kommt drauf an, ob man unter Lyrik auch einfach nur Gedichte versteht.

Ich erinnere an Kristiane Allert-Wybranietz, die in den Achtzigern zweitweise mit ihren drei Gedichtbänden "Trotz alledem", "Liebe Grüße" und "Wenn's doch nur so einfach wär" zum Teil gleichzeitig unter den ersten zehn der SPIEGEL-Bestsellerliste (!) stand und Millionenauflagen (!) erzielt hat.

Die Frage, ob das Lyrik war bzw. ist, lässt sich trefflich diskutieren, doch auf jeden Fall waren es Gedichte. Und die haben seinerzeit die Massen begeistert und eine regelrechte Welle von Gedichtbänden nach sich gezogen (u. a. von Jörn Pfennig, Brigitte Heidebrecht und Hans Kruppa, alle heute noch gern gelesen) - und nicht zuletzt zahllose junge Menschen dazu animiert, selber auch Gedichte zu schreiben.

Und das alles nur, weil es ausnahmsweise Gedichte waren, die jeder verstehen konnte ...

(Der Antaghar)
*****one Frau
13.323 Beiträge
Und das alles nur, weil es ausnahmsweise Gedichte waren, die jeder verstehen konnte ...

dazu ein zitat von Theo Czernik:

"Wenn Lyrik heute nicht weiterhin eine literarische Randerscheinung bleiben soll, weil ein kleiner, aber einflussreicher Kreis von Insidern einer experimentellen und hermetisch verschlüsselten Lyrik den Vorzug gibt, müssten eigentlich nicht einmal neue, sondern altbewährte Wege beschritten werden...Lassen wir den Himmel wieder blau sein und die Liebe rot...."

*****har Paar
41.020 Beiträge
Dem kann ich mich nur anschließen. Danke für das Zitat.

Aber die meisten Lyrikschreiber kommen sich vermutlich besser, intellektueller, interessanter etc. vor, wenn sie so schreiben, dass die Leser erst mühevoll entziffern müssen, was die Autorin/der Autor möglicherweise wohl damit sagen will.

Als ob die Kommunikation zwischen den Menschen nicht ohnehin längst schwierig genug ist, macht man es noch komplizierter nach dem Motto: Warum einfach und verständlich, wenn's auch kompliziert und unverständlich geht?

(Der Antaghar)
*****one Frau
13.323 Beiträge
Als ob die Kommunikation zwischen den Menschen nicht ohnehin längst schwierig genug ist, macht man es noch komplizierter nach dem Motto: Warum einfach und verständlich, wenn's auch kompliziert und unverständlich geht?

ist es nicht mit anderen uns umgebenden dingen auch so?
allein das wahrnehmen der einfachen dinge ist zunehmend schwer oder wir haben es verlernt...
Lyrik für die Massen?
Für wen sonst?

.. oder sollte der Anspruch geringer sein?

Und es ist kein geringer. Allerdings sollte er, in einer Zeit in der die Leute schon bei SMS-Lyrik zu fließen beginnen, auch nicht unmöglich sein zu erfüllen.
Die "deutschen Liedermacher" sind da in meinen Augen beeindruckend. Ich finde es nett .. lila ... es hat so was gender-verbindendes-muuh ... ob Wolkenoderso .. metaphorisch; in einer Zeit mit mehr & mehr doch einfach lila-schön.

Ich denke das Problem liegt im falsch verstandenen "elite"_verständnis, wie auch schon zuvor umschrieben.
Ich sehe in Deutschland ein tief verankertes Bewusstsein für "Handwerk", es ist aber vielleicht der Kreativität und dem Wandel der Zeit nicht dienlich.
Ich mag funktionierende Bremsen, jedoch keine eingefahrenen Schienen.

Es ist zudem vielleicht auch in einer reizüberfluteten UmWelt vonNöten die Intensität zeitgemäß anzupassen, ... dazu gehört ein Bild, ein Effekt ,,, und wenn sich die Lyrik bemüht, dann zukünftig auch noch ein Text.

@ wer soll es lesen?
Für das Schmachten und Achten bedarf es auch der Zeit ... abseits von Arbeitsplatz, etc. pp..

Daher ist das Codieren von Texten bedingt nützlich, ... ist schlicht oder Sudoku besser?

*blume*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Manche Autorinnen und Autoren von Lyrik kommen mir vor wie all diese Frauen, die ihre Wünsche, Sehnsüchte und Träume nur sehr codiert, teilweise geradezu kryptisch äußern, also indirekt, versteckt und rätselhaft - und sich dann bei ihren Freundinnen darüber ausheulen, dass sie von ihren Partner einfach nicht verstanden werden.

Ich kann mich da nur an den Kopf fassen. Warum sagen sie nicht klar, einfach und direkt, was sie wollen? Dann würden ihre Partner sie vielleicht auch mal verstehen ... Aber dann würden sie sich selbst vielleicht nicht mehr 'ach so interessant' vorkommen, schätze ich mal.

Ich werde, wenn ich schreibe, im Zweifelsfall lieber von Millionen verstanden, kann all ihre Herzen berühren, sie alle vielleicht zum Nachdenken anregen, sie geistig und emotional ansprechen etc., als nur von zehn oder meinetwegen auch hundert vermeintlich Intellektuellen oder eingebildeten Literaturkritikern notdürftig verstanden zu werden, denen es vielleicht nach zehnmaligem Lesen gelungen ist, meine doppelt codierten und verschwurbselten Texte mühselig zu entziffern.

Wollen wir nicht alle, wenn wir schreiben, auch gerne gelesen und verstanden werden?

(Der Antaghar)
*****lnd Mann
27.765 Beiträge
Als
einer, der mit jungen Gliedern der Gesellschaft zu tun hat und weiß, dass außer in Gymnasien und hin und wieder in Realschulen keine Lyrik mehr auftaucht, weil sie nicht nur oft zu verschlüsselt ist, sondern einfach auf einen Panzer stößt, der sich aus dem zusammensetzt, was der Gesellschaft, sagen wir hier "dem Mainstream" wichtig
ist, behaupte ich, dass neben etwas Gebrauchslyrik für Liedtexte und Anlässe (Muttertags-, Geburtstagsgedichte, auch so etwas wie das: http://www.blinde-kuh.de/wei … he-snow-falls-wunderbar.html) Lyrik etwas für kulturellell entsprechend Interessierte, nicht aber für das Gros der Bevölkerung ist. Ich als Opernfan würde auch nicht erwarten, dort "Masse" anzutreffen.

Wir hatten einen Lehrer, der uns jedes Gedicht einmal abschreiben ließ, wenn man beim Vortrag einmal stecken blieb, zweimal wenn...., egal ob es die Glocke oder die Bürgschaft war. Auf diese Weise konnte man dann Gedichte hersagen, aber man hasste sie zugleich. Es bedurfte ziemlich langer Zeit des Verdrängens, um wieder aufnahmebereit zu werden.

Aber ich habe so viele schlimme Herz- Schmerz- Reime zu lesen bekommen, dass ich meinen Maßstab inzwischen sehr weit oben ansetze, wenn es um gute Lyrik geht. Prosa zu schreiben ist schon schwer genug, aber Lyrik außerhalb des Trallala-Bereichs nur ganz wenigen Genies gegeben. Hier noch das Beispiel meines absoluten Lieblingsliebesgedichts, das nicht verschlüsselt daherkommt (Lyrikbegeisterten empfehle ich die Rilke-Werkstatt im Internet):


Liebeslied

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

Rainer Maria Rilke


Als Fan literarischer Parodien darf ich gerade jetzt vor Weihnachten das nicht fehlen lassen, das absolut Genialste (Vicco von Bülow alias Loriot):

http://vimeo.com/2630386
*****har Paar
41.020 Beiträge
Da muss ich auch mal an diese herrliche Satire auf experimentelle Lyrik erinnern, die einst Hape Kerkeling mit seinem "Hurz!" so trefflich vorgetragen hat:



(Der Antaghar)
Ich bin beeindruckt,
denn mit solch einer Diskussion auf meinen kleinen Beitrag hatte ich nicht gerechnet. Jedenfalls freue ich mich darüber. Vor Jahren habe ich mal eine Kolumne geschrieben, die ein wenig meine eigene Meinung widerspiegelt:

Der Gedanke kam mir beim lesen in einem Internetforum für Literatur. Im Nachhinein betrachtet weiß ich heute nicht mehr, was mich damals geritten hatte. Aber ich musste es unbedingt feststellen. Wollte wissen, was an den Antworten der Verlage dran war.

„Sehr geehrter Herr Müller-Lüdenscheidt. Wir bedanken uns für die Einsendung Ihres Manuskriptes, müssen Ihnen jedoch leider mitteilen, dass wir Lyrik schon seit Jahren nicht mehr verlegen. Die Nachfrage ist so klein, dass es wirtschaftlich keinen Sinn macht. Betrachten Sie bitte diesen negativen Bescheid nicht als Wertung Ihrer Texte, doch ...“ usw. Die Briefe ähnelten sich alle. Sauber zusammengefügte Textbausteine, die so gesetzt nur einen Sinn ergaben: Du hast Lyrik geschrieben? Vergiss es!

Ich verstand zwar, dass meine Gedichte offensichtlich zu wenig Niveau hatten, aber hier wurde ja verallgemeinert. Alle zeitgenössischen Autoren, von ganz wenigen Größen abgesehen, blitzten bei den Verlagen mit ihrer Lyrik ab. Dabei rechne ich bewusst die Autoren nicht mit, die für die Veröffentlichung bezahlten. Bist Du Kunde, wird natürlich (fast) alles gedruckt.
Gab es sie denn nicht mehr, die Roths oder Buschs, ganz zu schweigen von Goethe, Schiller, Heine und Co.? Ich musste es herausfinden.

Nun wohne ich in einer größeren Stadt mit einer entsprechenden Auswahl an Buchhandlungen. Also nahm ich mir eine der Großen als erstes vor. Dort angekommen versuchte ich mich zunächst zu orientieren. Auf einem Wegweiser fand ich schnell den Begriff Lyrik. 3. Etage stand dort, zusammen mit Märchen, Postkarten und Kalendern. Also nahm ich die Treppe und kam auf Grund meiner fehlenden Kondition etwas außer Atem oben an. Dort sah es ein wenig so aus wie in einem Supermarkt. Die Regale für Hunde- und Katzennahrung (hier Märchen) waren ellenlang, gleiches galt für Toilettenpapier (hier Kalender und Postkarten). Ich ließ mich jedoch nicht beirren und fand schließlich etwas verschämt in einer Ecke ein schmales Regal mit Feinkost (Lyrik).

Die Auswahl war schon recht dünn, was ich zwar nicht ganz verstand, aber die Schreiben der Verlage gleich in einem anderen Licht erscheinen ließ. Tatsächlich, Lyrik Fehlanzeige. Über die Hälfte der Regalfläche füllten zudem die Klassiker. Ich war jedoch auf der Suche nach zeitgenössischen Werken. So begann ich zu zählen und war bei 12 schon fertig. 'Schande über die Verlage', dachte ich nur. Wahllos griff ich nach einem schmalen Band in Taschenbuchgröße und Softcover. Es war recht aktuell, erst 2006 erschienen. Mit dem Seitenplatz im knappen A6-Format waren die Layouter recht großzugig umgegangen. Ich zählte 136 Seiten, und auf jeder ein vielleicht vier bis sechs Zeilen langes Gedicht. Vielleicht hatte der Autor die überwiegend weißen Flächen des Papiers für Notizen vorgesehen. Keine Ahnung. Aber schließlich begann ich zu lesen.

'Wolkengeblätter
ziegenfarbig auf einsamen Lenden
bewacht
bedacht
ohne silberne Erkenntnis'

Hm, die Erkenntnis fehlte mir in der Tat. Noch einmal las ich die Zeilen, ließ den Worten die Chance, sich in mein Großhirn zu brennen, doch außer etwas Rauch blieb nichts davon übrig. Naja, dachte ich, das Nächste ist bestimmt gut. Schließlich ist das Buch ja gedruckt worden. Wahrscheinlich hat der Verfasser seinen Hintern auf dutzenden Lesungen plattgesessen und musste intellektuell anstrengende Fragen beantworten. Und wirklich, das nächste Gedicht war besser. Zumindest fehlten hier nicht die Satzzeichen.

'Mondige Wärme umspielt uns,
Leiber blass tünchend.
Geruchsvoll,
geschmacksvoll,
zuckersüß-salzige Umschlingung.
Extatische Schreie,
der Nacht geschenkt.

Das war sogar um Vieles besser. Immerhin, nicht nur Satzzeichen, sondern auch Sinn zu erkennen. War zwar in 'vers libre' geschrieben und Gedankenlyrik, aber doch. Ja - nicht so übel. Meine Erwartungen wurden allerdings rasch wieder zunichte gemacht. Ab dem dritten Gedicht hatte der Autor wohl schon zuviel dem Roten zugesprochen. Das wurde nichts mehr. Immerhin schaffte ich es noch, nach dem Verlagsnamen zu suchen. Aha, dachte ich's mir. Ein Dienstleister, dessen 'Angebot' ich selbst vor Monaten schnellstens zum Altpapier degradiert hatte.

Doch aufgeben kam nicht in Frage. Gezielt suchte ich nun nach Verlagen, die in der Branche nicht als sogenannte Druckkostenzuschussverlage verschrien waren. Und siehe da, ich fand schließlich einen. Leider hatte das Buch noch keine ISBN, musste also demnach schon etwas älter sein. Anscheinend stimmte es. Die Verleger hatten wohl schon länger die Notbremse gezogen und den Gedankenlyrikern, Impressionisten und Dadaisten der schreibenden Zunft ihr Veto gezeigt. Allenthalben fand sich ein kleines Heftchen mit einer Aphorismensammlung, das war's dann auch schon. Ich hatte noch die Kraft für den Besuch zweier weiterer Buchhandlungen. Mit gleichem, niederschmetterndem Ergebnis.

Wie ein geprügelter Hund schlich ich aus dem letzten Geschäft. Erst an der frischen Luft fand ich schließlich die Kraft, das Thema einmal von einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Es fielen mir Lesungen ein, die ich besucht hatte. Ich sage Ihnen, geneigte Leser, kaum etwas ist anstrengender, als einem Autor zuzuhören, der Gedankenlyrik vorträgt. Wenn überhaupt, entstehen Bilder und Gedanken bei mir im Kopf erst, wenn ich ein solches Gedicht selbst lese. Und das mehrmals, auch laut. Kenne ich ein Gedicht jedoch noch nicht und höre es nur einmal durch Schwaden von Zigarettenrauch und Bierdunst, dann muss ich passen. Der Sinn, wenn es denn einen gibt, will sich mir Minderbemitteltem einfach nicht erschließen.

Doch halt, einen Sinn hat es natürlich immer. Und sei es nur, dass die Autoren solcher Wortsalat-Sammlungen sich einen Scherz mit der sogenannten intellektuellen Oberschicht erlauben. Oder die Verlage verdienen an der Eitelkeit der Autoren. Sich gedruckt zu sehen scheint Manchem tausende Euro wert zu sein.
*****lnd Mann
27.765 Beiträge
Quintessenz
Bleiben wir lieber prosaisch und warten auf ein neues Genie. Bis dahin lohnt es sich auch Faust zum 888. Male zu hören oder zu lesen. Sätze wie der Mephistos zu M. Schwertlein "Ihr Mann ist tot und lässt Sie grüßen" erfreuen mein naives Herz mehr als jede Gedankenlyrik.

Und was meinte ein gewisser Herr Busch zu all den Versuchslyrikern?

Wenn einer, der mit Mühe kaum
Gekrochen ist auf einen Baum,

Schon meint, daß er ein Vogel wär,

So irrt sich der.

*****one Frau
13.323 Beiträge
Bleiben wir lieber prosaisch und warten auf ein neues Genie. Bis dahin lohnt es sich auch Faust zum 888. Male zu hören oder zu lesen. Sätze wie der Mephistos zu M. Schwertlein "Ihr Mann ist tot und lässt Sie grüßen" erfreuen mein naives Herz mehr als jede Gedankenlyrik.

Und was meinte ein gewisser Herr Busch zu all den Versuchslyrikern?

Wenn einer, der mit Mühe kaum
Gekrochen ist auf einen Baum,

Schon meint, daß er ein Vogel wär,

So irrt sich der.

womit der gute W. Busch recht hat.
schreiben ist arbeit und handwerk ( im übertragenen sinn).

vergesen wir aber nicht, dass auch die heute grossen mal klein angefangen haben und durchaus belächelt wurden.
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