Lyrik für die Massen?
In einem Forum für Literatur habe ich kürzlich die Frage gestellt: 'Welche Marktchancen hat heutzutage Lyrik? Warum führt diese ein stiefmütterliches Dasein in den Buchhandlungen? Wie könnten die Leser wieder für Lyrik interessiert werden? Wie muss sich Lyrik möglicherweise verändern, um einen größeren Leserkreis zu gewinnen?'Eine repräsentative Umfrage war es sicherlich nicht, aber die Antworten waren dennoch bemerkenswert. Ich muss hinzufügen, dass alle Kommentare von Hobby-Autoren oder auch von professionellen Schreibern kamen. Reine Leser des Forums hatten keine Möglichkeit, einen Kommentar abzugeben.
Manche waren der Meinung, dass schon vieles in der Schule versäumt wird. Dem muss ich beipflichten. Lyrik ist kaum noch ein Thema. Gerade in den Zeiten von 'Pisa' wird stattdessen der Schwerpunkt auf Zeitungsartikel gelegt und mit deren Hilfe Rechtschreibung und Grammatik geübt.
Es kam auch zum Ausdruck, dass die Jugend kaum noch für Lyrik interessiert werden könne. Die Welt wäre reizüberflutet, Computerspiele, Flatrate-Parties, Wandschmierereien und Feiern bis zum Delirium wären die Freizeitbeschäftigung von heute. Hier ist in der Tat ein bedenklicher Trend festzustellen.
Ziemlich erstaunt war ich über einen Kommentar, der so lautete:
* Zitat *
„Sicher, die Lyrik führt ein Schattendasein. Aber das ist doch gar nicht schlimm. Es ist wie mit Blumen - je seltener, um so kostbarer. Orchideen blühen eben nicht an jedem Wegesrand, sondern an den versteckten Orten, an die Wanderer nur mit Mühe gelangen.
Ich glaube, Lyrik soll gar nicht für alle sein, und schon gar nicht für ein großes Publikum. Sie ist eben leise, still, zurückhaltend, und sie erschließt sich eben nur den Auserwählten, denen, welche die Mühe nicht scheuen.
Lyrik ist schwierig. Man muß oftmals nachdenken, um sie zu verstehen; und schlimmer noch: Manche Gedichte muß man nachfühlen. Und das ist oftmals noch schwerer.
Also, Poesie ist nicht massenkompatibel. Auf Fragen der Vermarktung sollen sich die Autoren von Massenware einlassen.
Und das sich Lyrik verändern soll, nur um den Massen zu gefallen, das sollte gleich gar nicht in Frage kommen.
Kunst, ebenso die Poesie, ist dazu da, die Menschen in die Lage zu versetzen, über sich hinaus zu wachsen. Und das kann sie nicht, wenn sie sich, nur um der Publikumswirksamkeit willen, anbiedert, kleiner macht, anpaßt und nivelliert.„
* Zitat Ende *
Das Lyrik nicht für ein großes Publikum sein soll ist ein starker Satz. Lyrik soll also einem großen Publikum vorenthalten werden. Nach dem Motto, nur Reiche sollen sich einen Mercedes kaufen, die anderen dürfen weiter Fiat fahren? Ich hoffe, das ist nicht ernst gemeint. Je mehr Leute man für Lyrik (statt beispielsweise Boxen) begeistern kann, umso besser. Das ist genau die Ansicht, die das elitäre Publikum auf Lesungen vertritt: Wir sind etwas Besonderes. Proletarier, fresst weiter (Bildzeitungs-)Dreck.
Nach diesem Kommentar habe ich mir die Texte und Kommentare der verschiedenen Schreiber einmal genauer angesehen. Danach konnte man die Autoren problemlos in verschiedene Kategorien einsortieren. Es gibt sie doch, die vermeintlich elitäre Schreiberschar, die bewusst oder unbewusst die Massen außen vor lassen möchte. Ich halte diese Ausgrenzung für gefährlich. Statt zu versuchen, eine Brücke zu schlagen, wird der Abstand immer größer. Besonders die Ansicht der Olymp-Dichter, ihre Form von Poesie ist die Alleingültige, alles andere ist keine Lyrik, ist schier unerträglich. Diese Auffassung ist mit ein Grund für das kümmerliche Dasein, dass Dichtung heute in den Regalen der Buchhandlungen führt.
Natürlich kommt noch hinzu, dass viele dieser Dichter ihre Werke für grandios halten und kaum kritikfähig sind. Manches von dem, was so geschrieben wird, ist bestenfalls als Experiment zu bezeichnen. Doch wehe, man erlaubt sich, so etwas in einem Forum zu schreiben. Gesteinigt zu werden ist das Geringste, was einem dann passieren kann.
Man kann Lyrik durchaus einem größeren Personenkreis zugänglich machen. Eine Möglichkeit wäre, die Maschinerie der Lyrik-Lesungen zu durchbrechen. Dort treffen sich stets die selben Leute. Wie die politischen Redenschwinger im Hyde-Park muss man an die Öffentlichkeit gehen. Mitten unter's Volk.
Werbung wäre ebenfalls dazu geeignet, mehr Menschen zu erreichen. Heute wird für jeden Schokoriegel mehr Werbung gemacht. Lesungstermine muss man jedoch mühsam suchen.
Übrigens ging ein Aufschrei der Empörung durch die Reihen der Forumsteilnehmer, als ich anmerkte, für's Volk zu schreiben. Also leicht verständliche Gedichte zu produzieren, die keiner Interpretation bedürfen.
„Lyrik ist schwierig“, meinte der zitierte Elite-Schreiber. Ich vervollständige einmal seinen Satz, um den ganzen Gedankengang dieses Menschen zu zeigen: „Lyrik ist schwierig, die verstehen nur wir. Lest ihr mal weiter Bildzeitung“.
Schon immer wurde versucht, die Massen dumm zu halten. Sie sind dann einfach leichter zu regieren.