Verzeihen können
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"
Ja, diesen Satz sagte Jesus. Er bittet seinen Vater, dies zu tun. Also jemanden Dritten - nicht Jesus vergibt im eigentlichen Sinn.
Verzeihen und verzeihen - hier gibt es ja einen thread schon dazu.
Natürlich kann ich dem Anderen verzeihen, für seine Art und Weise wie er handelte, weil er es für sich nicht besser wußte.
Gut - versuch ich nochmal zu erklären, was ich gestern so dachte - ich bin sehr ärgerlich, dass das Leben von Beginn an, mir die Möglichkeit verwehrte, Vertrauen/Bindung zu lernen. Diejenigen, die dafür sorgten, dass mir mit Eintritt in das Leben diese existenziellen Grundlagen entzogen wurden, habe ich durchaus verziehen bzw. nicht mal so richtig Vorwürfe gemacht. Sie wußten es eben alle nicht besser.
Bei dem Verzeihen geht es meist darum, sich selber zuerst zu verzeihen. Denn viele Wege, die man ging, waren ja Umwege - bis man endlich bei sich selbst angekommen war. Da hat man schon einen großen Rucksack voller Schuldgefühle. Man hat andere Menschen verletzt, oft sich selbst, Unrecht getan, aber auch viel Gutes. Das muss ja erst mal sortiert werden.
Vor gut sieben Jahren fing ich (aufgrund einer Krankheit) an, Orte und Menschen aufzusuchen, mit denen ich noch was zu bereinigen hatte. Für vieles gesagte, schämte ich mich, wollte um Verzeihung bitten. Hierbei habe ich zwei sehr seltsame Geschichten erlebt.
Eine Kollegin, über die ich mal sehr gelästert habe (ich war aber auch sehr jung damals), hatte mir mal direkt ins Gesicht gesagt: "Mrs. Love, wer sowas sagt, der tut es selber." Dieser Satz hatte sich bei mir eingebrannt, 15 Jahre später sah ich sie zufällig wieder. Ich musste sehr überlegen, wie ich mein Bedauern für meine Lästerei ausdrücken konnte. Sie selber aber kam auf mich zu, verlor kein Wort über die damalige Geschichte, es war wie ein "Schwamm drüber - vergeben und vergessen."
Die zweite Geschichte war, dass sich ein Ehemaliger bei mir meldete. Aus heiterem Himmel. Ich war jahrelang der Meinung gewesen, ich hätte mich von ihm getrennt, weil ich jung war, keinen verheirateten Mann mit Kindern haben wollte. Wir sprachen über vieles, ich gab mir einen Ruck und wollte das mal klarstellen. Statt dessen kam heraus: er hatte sich von mir getrennt und hatte sich wieder zu seiner Frau begeben. Er hatte sich jahrelang mir gegenüber schuldig gefühlt.
Na so was: da waren wir beide jahrelang der Meinung gewesen, wir hätten dem anderen Schuld zugefügt. Wir haben uns darüber ausgesprochen und konnten nunmehr gut, weiter unserer Wege gehen.
@******nos: da ich ja nicht so persönlich an manche Person herankommen kann, sei es, weil sie tot ist, sei es wegen zu großer Differenzen. Ich schreibe daher entsprechende Briefe. Lese sie 72 Stunden später nochmal und tüte sie ein. Sie werden einfach dann abgeheftet, aber vieles konnte ich mir von der Seele schreiben, mich zumindest entschulden, mir verzeihen.
Könntest du jemandem verzeihen, wenn er eins deiner Kinder willentlich und bösartig töten würde? Würde das VaterUnser dann noch für dich gelten, weil du ja diesen Mörder als deinen Schuldiger betrachten müsstest, um ihm zu vergeben?