Die Not der Selbstbilder
Hank,
ich versuchte es schon zu sagen: es geht nicht darum, wie zwei (oder mehr) Menschen das benennen, was sie miteinander tun. Sagt er zu ihr doch ständig: "Mäuschen", was zweifellos falsch ist, denn sie gehört zur Gattung Mensch und nicht zur Gattung Minimaus. Dennoch verstehen sich die beiden blendend und sie fühlt sich liebevoll berührt, wenn er sie "Mäuschen" nennt. Ruft er jedoch seinen Schwager an und sagt diesem: "ich möchte dein Mäuschen sprechen", kann dieser Kommunikationsversuch in die Hose gehen, weil der Schwager seine Frau nicht "Mäuschen", sondern "Bienchen" nennt.
Das heisst, sobald wir mit anderen kommunizieren wollen, müssen wir uns bemühen, einigermassen zu ahnen, wie der Kommunikationspartner die von uns benutzten Begriffe versteht, wenn wir nicht von vornherein kommunikativen Schiffbruch erleiden wollen. Magdalena hat das an ihrem Apfel-Beispiel erläutert.
Wenn zwei sich lieben und/oder miteinander spielen und das BDSM nennen, ist es wirklich egal, was sie da tun. Aber spätestens dann, wenn sie Mitspieler (etwa in diesem Forum) suchen, wird es wesentlich, was die beiden denn unter "BDSM" verstehen.
Und dasselbe gilt für den Begriff "Sub". Um nichts anderes wird hier diskutiert, und deshalb ist diese Diskussion äusserst wertvoll, weil sie unser Bewusstsein für unsere Sprache und unser Kommunikationsverhalten schärfen kann. Und gerade
weil hier so viele Emotionen hoch kochen, zeigt sich, dass Reden und Verständigung in unserer Spielart der Erotik nicht immer ganz so einfach ist.
Du fragst: "Warum machen viele BDSM an Ritualen wie Dienen und Unterwerfen, Bestrafen usw. fest?". Die Antwort ist einfach: Weil diejenigen, die gedient haben oder Dienen einforderten, weil diejenigen, die bestraft haben oder Bestrafung erduldeten, ein
Wort für ihr Tun und die damit einhergehende die Lust gesucht haben, und sie haben
BDSM erwählt.
Du fragst weiter: "Warum werden passive Subs oder devote Frauen unterschieden?" (Du meintest sicher "und" statt "oder"). Auch hier ist die Antwort einfach: Wir
sehen mehr, wenn wir unterscheiden. Und den Menschen hat es immer danach gedrängt, nicht in dumpfer Unbewusstheit vor sich hin zu leben, sondern die Vielfalt der Welt zu sehen. Die Benennung von feinen Unterschieden (in diesem Fall von submissiven Frauen) lässt uns feinsinniger und gerechter werden. Ich gehe manchmal durch den Wald und sehe nur "Bäume". Und ich denke mir, wie schön müsste das sein, statt "Bäumen" Erlen, Buchen, Eichen, Tannen, Weiden etc zu sehen. Wie viel wunderbarer wäre für mich ein Waldspaziergang! (Doch meine Interessen liegen nicht im Bereich der Botanik).
"Ist das nicht irgendwie egal." sagst du, und meinst das wohl als Frage. Es ist dann egal, wenn du keine Lust hast, genauer hinzuschauen. So wie ich beim Waldspaziergang. Oder so, wie bei der Weinprobe. Durch das Benennen der Unterschiede lernen Weinkenner überhaupt erst die Unterschiede zu schmecken.
"Devot oder Dominant sein sind aus meiner Sicht zwei Dinge, die auch nur zwei oder mehreren vertraute Personen untereinander mit sich ausmachen." Mir scheint, du unterliegst da einer Täuschung. Zunächst müssen sich die Personen, die das "untereinander mit sich ausmachen", gefunden haben, um überhaupt etwas ausmachen zu können. Und viele finden sich, weil sie einen Partner gesucht haben, der mit ihren Wünschen korrespondiert. Dazu müssen sie ihr Befinden, ihre Lust, ihr
Selbstbild kommunizieren können.
Und das
Selbstbild ist der entscheidende Angelpunkt für das, was hier diskutiert wird. Hank, keiner kommt auf die Welt und hat seine Neigungen. Wir alle entwickeln uns in einem
gesellschaftlichen Kontext. Wenn du eigene Kinder hast und sie in der Pubertät beobachten konntest oder dich an deine eigene Pubertät erinnerst, weißt du, wie du den namenlosen wabernden Empfindungen in dir eine
Form gabst, indem du dich von der Gesellschaft (etwa der Jugendszene) bereitgehaltene Schemata bedient hast. Gruppenzugehörigkeit wäre noch eines der einfachsten Prinzipien. So bilden sich Lüste, so bildet sich unser Selbstbild.
Und genau diese Angebote von Identifikationsmöglichkeiten
sind alle sprachlich vermittelt. Und eben deshalb ist die Diskussion um den Begriff "Pseudosub" lehrreich und wichtig zugleich.
Viele Menschen stellen sich die Frage "Bin ich falsch?". Und sie fühlen sich sehr entlastet, wenn man ihnen sagt, dass sie keineswegs falsch seien – "sagt", Hank, - und siehe: schon sind wir wieder bei der Sprache.
Du schreibst: "Es fällt mir wirklich schwer die vielen Erklärungs-, Gruppierungs-, Selbsteinordungs- und Andereverurteilungsversuche ernst zu lesen." Deine Ehrlichkeit ehrt dich. Vielleicht würde es dir leichter fallen, wenn du erkenntest, dass hinter vielen Postings eine
Not steckt: "Bin ich richtig?". Wir Menschen haben ein legitimes Bedürfnis nach Nestwärme. Das tun wir, indem wir uns sozialisieren, etwa als die (nebulöse) Gruppe der BDSM-Liebenden. Da hat eine Frau mit sich gerungen und nach Jahren endlich ihren Begriffs-Hafen gefunden: "Ich bin eine Sub!" und dann kommt so ein Möchtegern-Dom und bezeichnet sie als Pseuo-Sub. Und sie fühlt sich verunsichert. Kann man das nicht ernst nehmen, Hank?
Am Ende, wenn wir alle weise und reif geworden sind, steht tatsächlich die Einsicht, dass es keines Begriffes bedarf, so zu sein, wie wir nun mal sind. Doch bis dahin gilt es einen Weg zu gehen, und wir finden ihn mit Wegzeigern, auf denen – Begriffe stehen.
stephensson
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