Bratwurst and more!
Ihr Lieben,
ganz vielen dank für die vielen unterschiedlichen und ausführlichen antworten, auf die ich gerne kurz eingehen möchte. ich finde es ganz und gar wunderbar, daß dieser thread fahrt aufnimmt. möge der kunst-gott ihn vor zerschredderungen verschonen, auf dass wir noch viel freude mit ihm haben mögen! amen.
@***la: ich habe dem meisten, was du schreibst nichts hinzuzufügen, sehe ich es doch überwiegend so ähnlich wie du. insbesondere die allergischen reaktionen gegenüber blasierten kunstpimpels (siehe Photo
) kann ich sehr gut nachvollziehen - und sie sind es, die einem manchmals den nerv rauben, sich überhaupt auf diese spannende materie einzulassen. leider. aber darüber muß man doch hinwegsehen, letztlich. ich bin sehr froh, in der vergangenheit das glück gehabt zu haben, eine künstlerin kennenzulernen, die selbst so a-typisch für diesen ganzen eitelkeitszirkus ist, daß ich es mittlerweile wieder ganz spannend finde, mich mit der kunst auseinanderzusetzen und über den ganzen ballyhoo drum herum zu lächeln. (die künstlerin, über die ich spreche, wäre übrigens um ein haar zur documenta eingeladen worden, buergel, der leiter, hätte sie gerne gezeigt, aber ihre arbeiten - offene archive, die von den rezipienten benutzt werden sollen - wäre einem solchen ansturm von besuchern nicht gewachsen gewesen; aber das nur am rande)
blasierte kunstpimpels: immer wieder schön, daß es menschen gibt, die ein klischee so vollends bestätigen, als habe loriot regie geführt. hier ist so ein exemplar (siehe photos). ich vermute, es handelte sich um einen kunstkritiker. jedenfalls stolzierte dieser exakt wie eine kopie von wim "ich-bin-intellektuell"-wenders aussehende kunstgockel hochnäsig mit diesem "ach gottchen"-gesicht und dem zusammengekniffenen kritiker-arsch durch die ausstellung. wunderbar! großartig! nur die schuhe, die hätte ich zugegebenermaßen wirklich gerne gehabt...
tilla, mich würde noch sehr interessieren, welche funktion DU der kunst zuweist.
@**na/
@*******rit: klar, das mit den lemmingen ist immer so eine Sache. genau aus diesen gründen mußte ich 39 werden, um endlich mal zur documenta zu fahren. mir sind diese "leistungsschauen" - übrigens ein ausdruck, den peter buergel selbst kritisch benutzt, um sich von den anderen documentas abzusetzen (ob ihm das gelungen ist, weiß ich nicht recht) - meist selbst suspekt, aber ich muß ganz offen sagen, daß dies eher für dieses ritualisierte ausstellungswesen ("moma" usw.) als für die documenta gilt, die summa summarum wirklich spannend war, obwohl in meinen augen nicht der ganz große wurf (dazu später noch mehr).
du - wie viele andere hier - hast einen wichtigen punkt angesprochen: KunstVERSTÄNDNIS (im sinne von begreifen). einer der ganz zentralen prinzipien dieser 12. documenta war die kompromisslose verweigerung der guten alten frage: "was will uns der künstler damit sagen?" kurz: die verweigerung der frage nach der (rational verständlichen) bedeutung der kunstwerke. will sagen: buergel negiert die frage nach dem konkreten sinn ("was soll das?"), gibt zu, daß man nicht alles erklären kann, und rückt eine ganz andere frage in den vordergrund: die nach der KunstERFAHRUNG und - damit verbunden: die nach der KunstVERMITTLUNG. sprich: ihm geht es bei vielen der gezeigten arbeiten eher darum, dass sich der betrachter der ästhetischen erfahrung aussetzt und sich auf sie einläßt. ob der das tut, ist ein wagnis. ich habe bei mir selbst festgestellt, daß ich am sa. - als wir ankamen - nicht wirklich bereit war, mich auf diese "kunstscheisse" (o-ton vom sa.) einzulassen. am sonntag allerdings - nachdem wir uns intensiver auch mit dem konzept beschäftigt hatten - hab ich das ganz anders wahrgenommen. so kommen dann aber eben auch vor-urteile zustande. wäre ich samstag nach hause gefahren, hätte ich wahrscheinlich gesagt, daß das eine entbehrliche erfahrung ist. so aber muß ich sagen, daß es eine tolle erfahrung ist, wenngleich ich nach wie vor ambivalente gefühle habe. um nun eine naheliegende frage zu zerstreuen: die verweigerung der primären frage nach der bedeutung, impliziert nun nicht, daß sich die documenta auf einen formalismus o.ä. zurückgezogen hätte. ganz im gegenteil: sie ist sehr politisch. viele arbeiten rücken alle möglichen politischen konflikte, ungerechtigkeiten, versäumnisse usw. in den zusammenhang - und das ganze mit dem anspruch, welteweise korrespondenzen und zusammenhänge im zeitalter der globalisierung zu zeigen. ob das allerdings gelungen ist: daran habe ich sehr deutliche zweifel. mitunter wirkte der versuch, künstler aus ganz anderen kulturen und zusammenhängen zu präsentieren (mali, china, israel usw. usw; es gibt kaum "big names" à la Beuys, Jeff Koons, Cindy sherman u.ä., sondern die künstler heißen Ai Wei Wei, Davila oder Kelley) und in beziehung zueinander zu setzen - jedenfalls in meinen augen als laie - ein wenig wie drittweltnostalgie. meine meinung.
Sina, das mit dem dosen werfen ist ein herrliches bild. Kunstkirmis, ein neues lieblingswort! - mich würde übrigens noch interessieren, bei welcher kunst denn dein "Bauchgefühl" in rage gerät
@******rit: einige deiner einwände meine ich schon implizit beantwortet zu haben, vor allem den punkt mit der verweigerung von bedeutung. du bringst die idee einer anleitung zum verständnis. kein schlechter ansatz. allerdings gibt es - wie gesagt und etwas überzeichnet - kunst, die konkret politisch bedeutungshaft arbeitet und auch verstanden werden kann (obwohl natürlich jede kunst ein "mehr" hat, was sich eben nicht verstehen läßt) und es gibt kunst, die nur "erfahren" werden kann, nicht aber "erklärt". dementsprechend gibt es auf der documenta arbeiten, die tatsächlich mit erläuterungen ausgestattet sind - und andere, die eben darauf verzichten. in jedem falle aber wird demjenigen, der mehr wissen will, eine ganze palette "seh-hilfen" angeboten. führungen, kunstgespräche, katalog, (ein hervorragender) audio-guide usw. diesbezüglich haben sie den aspekt der kunstvermittlung wirklich ernst genommen, wenngleich - das ist ein fazit - die "ganze chose" (sprich: die documenta) summa summarum letzten endes ziemlich "verkopft" ist. was du zur form schreibst, kann ich sehr gut nachvollziehen, mir fällt es selbst oft schwer, moderner kunst zu folgen, weil mir im gegensatz zur älteren kunst meist die massstäbe fehlen, nach denen ich sie werten/einschätzen kann. bei der älteren kunst steht mitunter ja die technik/das handwerk an zentraler stelle. bei der neueren kunst s c h e i n t das weniger der fall zu sein. ich glaube aber zum einen, dass das täuscht, zum anderen, daß man die uhr einfach nicht zurückdrehen kann (oder wie sina sagte: jede epoche hat ihre kunst, kunst ist ein spiegel geschichtlicher veränderungen, nichts zeitlos gültiges, nichts "klassisches", obwohl es natürlich eine kunst der klassik geben kann, die dann allerdings auch nur wiederum ein historisches segment ist) und die kunst heute eben andere fragen stellen muß. was ja nicht bedeutet, daß es nicht leute geben mag, die nach wie vor gegenständlich/abbildend/photorealistisch arbeiten. die möglichkeiten haben sich eben erweitert - und das finde ich gut so (du erwähnst selbst den Innovationsdruck, den man allerdings auch positiv sehen kann). häufig stehen besucher irritiert vor arbeiten von beuys oder anderen und behaupten: "das könnte ich auch!" das ist m.E. der falsche ansatz. ich fand es großartig, als einmal ein engagierter leidenschaftlicher museumsdirektor darauf reagierte und fragte: "die entscheidende frage ist doch: warum tun sie es nicht!" das ist nicht nur eine hübsche anekdote, sondern das ist m.E. genau der entscheidende punkt!
@**********dream/
@**s: ich denke, daß ich einige gesichtspunkte eurer beiträge schon implizit oder explitzit beantwortet habe. expliziter kann ich auf das kriterim "laie" nochmals eingehen. ich bin selbst ein kunstlaie, obwohl ich mich auch nicht als kunstbanause sehe. ich weiß für mich einfach nur, daß ich hier zwar den eindruck erwecken mag - so mag es dem einen oder der anderen erscheinen - als ob ich hier bazon brock-gleich "doziere"
, aber eben ziemlich genau weiß, daß ich kein kunstexperte bin. definitiv nicht. es gibt gebiete, in denen ich mich besser auskenne - und da markiere ich dann gerne auch mal mein expertentum, allerdings meist nur, wenn ich den eindruck habe, daß laien sich meinungen anmaßen und nun mal erwiesenermaßen auf dem holzweg sind. das scheint mir sowieso ein problem zu sein: daß leute immer viel zu schnell meinungen absondern (diesbezüglich ist der joyclub doch ein spiegel der gesellschaft), anstatt fragen zu stellen oder sich in frage stellen zu lassen. so ist das häufig leider auch mit der (modernen) kunst. kein mensch würde auf die idee kommen, meinungen über physikalische zusammenhänge zu verbreiten, wenn er sich auf diesem Sektor nicht auskennt. Bei der Kunst (Literatur usw.) ist es aber anders. Da maßen sich viele Leute an, beurteilen zu können, was sie sehen, obwohl ihnen die Schulung/Auseinandersetzung mit der Materie fehlt. Kunst erscheint manchen immer als ein - prestigeträchtiges - Zubrot zu den angeblich wirklich wichtigen Dingen des Lebens (wie Geld usw.). Und viele, die beglückt mit ihrer Prestigetrophäe "Kunstkatalog" von der documenta schleichen, werden wiederum felsenfest ihren unqualifizierten Quark produzieren und den Freundinnen und Freunden zuhause beim Golfen erzählen: "documenta, mußt du unbedingt gesehen haben. dezidiert wichtige blablabla"...
Die Kunst kann das allerdings ab! Letztlich! Und um ein Mißveständnis auszuräumen: Ich bin keineswegs ein Befürworter eines Kunst-Elitarismus à la George-Kreis oder was es für Pendants in der Bildenden Kunst geben mag. Keineswegs bin ich dagegen, daß sich jeder Betrachter - egal wie vertraut mit der Materie - ein (Vor-)Urteil zur Kunst bildet, das erhält überhaupt erst die Kunst, denn ohne Publikum ist sie tot. Ich bin allerdings immer dafür, daß man seine (Vor-)Urteile mitreflektiert - und sich ggf. eines besseren belehren läßt. Ach ja, und für Expertentum bin ich sehr zu haben, insbesondere, wenn sie mit Bescheidenheit einher geht. Das ist Größe...
@**s: A propos "die wichtigen Dinge" wie Geld usw. Ich bin ganz deiner Meinung, daß es nicht ehrenrührig ist, mit Kunst Geld zu verdienen, seine Bekanntheit zu steigern usw. Bin kein Anhänger dieser "DerArmeKünstlerNostalgie", denn ich habe grundsätzlich auch Respekt davor, wenn sich Menschen vermarkten können - auch das ist eine Kunst. (Z.B. der Kaufmannssohn Goethe, der alte Pfennigfuchser.) Allerdings mag es mitunter so sein, daß Erfolg (finanzieller) eben schneller sättigt. Daher: im Zweifelsfalle doch der Nostalgie anhängend? Ich weiß es nicht. Komplexe Zusammenhänge. Ich kann nur sagen, daß mir die Gesetze des "Kunstmarktes" im großen und ganzen ziemlich wurscht sind, und daß mich daher auch Verkaufsschauen wie die Art Basel oder die Art Cologne eher weniger interessieren. Insofern vermutlich mentalitätsmäßig doch tief im 18. Jahrhundert steckend?
@*******chen: Hmmm, ich wäre vorsichtig mit dem Vorurteil bezüglich Kassel. Klar, das ist echt Provinz. Dort läuft außer Eishockey-Bundesliga und ein recht passables Theater nicht allzu viel. Aber alle 5 Jahre wird Kassel nun mal zur Kunstmetropole, was man auch immer davon halten mag. Ich finde es eigentlich ganz spannend, daß die documenta an der peripherie (ehmals: (kunst)zonenrandgebiet) läuft und nicht im zentrum wie berlin z.b. vermutlich wäre die von dir und anderen bemängelte vermarktung dort noch wesentlich perfektionistischer! also: gib kassel eine chance, ok?
ähm, meine liebe, ich habe ein gewisses problem mit deiner gleichsetzung von beuys und ha schult. siehst du den professor und den kunstclown - ja, jetzt schlagen meine vor-urteile mal voll durch - wirklich auf einem level? also, ich habe mich mit ha schult nie ernsthaft beschäftigt. das wird auch - a propos vorurteile - so bleiben, denn das was ich kenne finde ich rundum richtig - pardon - plakative "scheisse". beuys ist für mich ein ganz anderes kaliber. dass er meinte, mit kunst terroristen "heilen" zu können, ist mir neu. wo steht denn das? in welchem kontext? beuys ist für mich eigentlich eine gallionsfigur, die alle die fragen berührt, die ihr und ich hier aufgerufen haben. insbesondere, daß man meint, den wert seiner arbeiten beurteilen zu können, stelle ich bei den meisten, die sich über ihn äußern in frage, scheint beuys doch eher ein symbol für die ressentiments gegenüber moderner kunst zu sein, mit der man dann schnell fertig ist, wenn man in abrede stellt, daß beuys der vielleicht größte künstler des 20 jahrhunderts ist (um mal eine gewagte gegenthese zu dir aufzustellen). was ich meine: ich bekenne wiederum mein absolutes laientum in bezug auf beuys. aber: ich hatte das glück, nicht nur die biographie von heiner stachelhaus zu lesen, sondern auch von einer kunsthistorikerin mal demonstriert zu bekommen, wie raffiniert und durchdacht das system beuys funktioniert. und ich kann nur sagen: das ist einfach großartig (für mich!). zum beispiel, wurde mir gezeigt, wie man die ganze symbolsprache seiner bilder auf die klassische ikonographie zurückführen kann (die konsequenz: beuys ist traditionalist!). die art und weise, die dinge dann anders wahrzunehmen: das war wirklich SEX FÜR DIE AUGEN!!! "Iss so!", würde
@**sc jetzt sagen!
In diesem Sinne: Auf die Kunsterfahrung - und diesen Thread!
Luc
EDIT:
@***ah, nicht weil ich des dozierens nun müde wäre, nachdem ich deinen beitrag gelesen habe, sondern weil ich ihm schlichtweg nichts hinzuzfügen habe, werde ich jetzt einfach türkisch - schweigen...
nicht, ohne allerdings noch mehrere im weiteren und engeren sinne hierher gehörige leseempfehlungen auszusprechen:
1) peter ustinov: achtung! vorurteile. taschenbuch
2) heiner stachelhaus: joseph beuys. taschenbuch
3)
http://www.documenta12.de/
EDIT II: Ach, noch was. Wer überlegt hin zu fahren, sollte abends unbedingt ins Restaurant "Postillon" gehen. Kassel hat kulinarisch nicht allzu viel zu bieten (sagte uns eine Kasselerin), aber das "Postillon" ist wirklich großartig! Und die Kellnerinnen wunderbar und nett - und treotz Stress so zuvorkommend, daß man ihnen gerne einen Averna spendierte... zum Stressabbau...