"Ran an die Rampe – und runter mit der Kunst!"
hieß es bei uns damals bei unsrer groß-art-igen Klein-Kunst-Chaoten-Truppe immer.
Nun fehlte mir in letzter Zeit einfach Zeit, Nerv und Muße, um auf die Beiträge, die es allesamt wert sind, hier näher einzugehen. Das möchte ich wie versprochen nachholen, denn dieser Thread liegt mir mehr als jeder andere hier am Herzen – und viele Fragen sind noch offen. Schön auch, daß mittlerweile einige der Gegangenen – wie
@*****tte und @*****ani -wieder unter uns "künsteln". Wäre schön, wenn es weitergeht. Alles kann, nichts muß, gelle?
Ich fange mal irgendwo an...
@***ah (2.9.)
„Die Impression, welche die Impressionisten erzielen, ist diejenige
einer auf den Tasten des Klaviers herumspazierenden Katze oder
eines Affen, der sich eines Farbkastens bemächtigt hat.“
Ich nehme an, daß dies despektierlich gemeint war. Heute lockt man mit so einer niedlichen Miniattacke aber nicht mal mehr den toten Beuys hinter dem Kunst-Fett-Ecken-Sofa hervor, oder?
"Ich sehe (und interpretiere) heute im Gesicht einer bestimmten
alten Dame mehr Kunst, als sie mir manch ein Werk vermitteln könnte."
Das hast du unglaublich schön gesagt – und vermutend, wer diese alte Dame ist, brauche ich dem nichts hinzuzufügen. – Ausser: Würdest du dann aber so weit gehen zu behaupten, daß unser Dasein primär ein ästhetisches Phänomen ist? (Solche Ansätze gibt es ja, wie du sicher weißt)
"Da Kunst veränderbar ist, hat sie meines Erachtens keine Funktion,
denn der Betrachter geht frei auf sie zu."
Das sehe ich etwas anders. Hat sie in deiner Logik dann nicht die Funktion, die Veränderung der Kunst zu zeigen respektive zu reflektieren? Meine Meinung zur Funktion der Kunst findest du weiter unten im Text.
@*****ani (2.9.)
"Wenn jemand also eine Performance als Kunst empfindet, in der jemand eine Reihe Klodeckel mit dem Schädel zertrümmert - tut mir leid, liebe Freunde, dann ist das Kunst, und zwar nicht mehr und nicht weniger als Morbellis "Dämmerung"."
D´accord! Man fragt sich nur, ob man sich das geben muß. Das muß aber – insofern ist die Wahrnehmung, was Kunst ist in der Tat sehr, subjektiv. Ein alter Hut, wie der von Beuys, denke ich... grins Ich für meinen Teil interessiere mich momentan eher für diesen mir gar nicht bekannten Morbelli, denn wenn ich diese intensive Beschreibung hier...
"Die Wirkung des Bildes auf mich war recht intensiv. Ich konnte fast spüren, wie der Staub in den Sonnenstrahlen tanzte, ich konnte das Seufzen und leichte Schnarchen der Männer hören, ebenso die gedämpften Stassengeräusche von draussen, und ich hatte das Gefühl, wenn ich die Hand hebe sehe ich den Schatten meiner Finger im Lichtfleck an der Wand."
lese, werde ich total neu-gierig. Toll geschrieben! Es entsteht ein inneres Bild. Klasse!
@HS (3.9.)
Zitat:
Eben weil Kunst doch subjektiv ist, erscheinen auch vermeintlich sichere Wertmaßstäbe wie "Schönheit" äußerst subjektiv, findest du nicht? Oder meinst du, daß "unsere" europäische Schönheit – sagen wir mal: die Schönheit der alten Griechen und der Renaissance (Florenz: David) – auch diejenige der Japaner, der Chinesen usw. sein müßte?
"@ Luc dem muss ich dir leider widersprechen, für mich hat Kunst nichts mit nationalen Bewusstsein zu tun. Kunst ist für mich Grenzüberschreitend und öffnend. Es ist nicht relevant welche Nationalität hinter dem Kunstwerk steht, für mich ist entscheidend, was will mir der Künstler mit seinem Werk sagen und wie stehe ich persönlich zu diesem Werk. "
Du widersprichst mir nicht, denn genau wie du hatte ich es gemeint. Allerdings denke ich, daß wir viel stärker von einer Ideologie geprägt werden als wir uns das selbst eingestehen. Darauf wollte ich hinaus. Es gibt ein sehr erfrischendes – weil anschauliches – Buch von Terry Eagleton, es heißt "Einführung in die Literaturtheorie". Die "Einleitung" daraus ist in diesem Kontext sehr erhellend. Ich hab jetzt wenig Nerv das abzuschreiben, aber bei Bedarf schicke ich dir die entsprechenden Passagen gerne als Scan. Eagleton relativiert auch sehr stark den von dir vertretenen Begriff der Schönheit, insofern er eben an der Subjektivität auch dieses Begriffs festhält.
"Ich bin immer noch der Überzeugung, dass Kunst für mich ein Inbegriff für Schönheit ist und ja, ich bin intolerant gegenüber den Werken, die dieses nicht zum Ausdruck bringen."
Das finde ich – gerade aufgrund manch historischer Erfahrung mit Schönheitsbegriffen – ebenso bedenklich wie Kardinal Meissners Entgleisung das neue Kirchenfenster Gerhard Richters im Dom zu Kölle als "entartet" zu bezeichnen. Aber so meintest du es sicher nicht, oder?
@*********eidt (5.9.)
D´accord mit allem!
@*****tte (5.9.)
D´accord. Mit Geometrismus à la Mondrian kann ich auch nicht viel anfangen. Passt mitunter aber ganz hübsch zur eigenen Wohnungseinrichtung. Grins
@*****nja (16.9.)
Ich bin mit fast allem einverstanden, was du schreibst. Die Frage "Was ist Kunst" war natürlich NIE so zu verstehen, daß ich hier einen objektiven Defintionsversuch wollte. Aber das versteht sich von selbst, oder?
Hier
"Bemerkenswerterweise fragt bei einem Buch kaum jemand, ob das Literatur sei oder nicht."
muß ich – unter neuerlichem Hinweis – auf Terry Eagleton widersprechen. Die Literaturdozenten, die ich kennengelernt habe, eröffnen Ihre Erstsemesterveranstaltungen – wie gesagt – gerne mit der "Was ist Literatur?" überschriebenen Einleitung aus Eagleton. Und auch das ist eine Kunst, eine pädagogische in diesem Falle: Das Vertraute erst einmal fremd zu machen...
@****yr
"Eines vorweg, mir fällt die gnadenlose Koketterie auf, mit der sich die meisten hier am „Kunstfuzzitum“, luc’scher Sprachreglung vorbeimogeln wollen, was, mit Verlaub, nicht gelingt, und das ist auch gut so.
Denn allein die Frage, ob man die Frage, nach dem Sinn der Kunst beantworten kann, ohne selbst Künstler zu sein, gibt den Blick auf den deutbaren Abgrund frei, der sich da eröffnet. Sie teilt ein in „vor und auf der Bühne“, in Verbraucher und Anbieter, in Denker und Bedachte, sie trennt und polarisiert. Die Frage wohlgemerkt, nicht die Kunst."
Es ist jetzt keine Koketterie, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dich verstanden habe. Daher bitte ich um Präzisierung, denn ich bin mir nicht sicher, was genau du mit "Kunstfuzzitum, luc´scher Sprachregelung vorbeimogeln" meinst. Ich meine mit Kunstfuzzitum (und Kunstfotzentum) jedenfalls ganz was anderes als eine Distanzierung zwischen Verbraucher und Anbieter, Eingeweihten und Nichteingeweihten HIER, falls es das ist, worauf deine Bemerkung zielt. Ich für meinen Teil sehe hier bei keinem, der schreibt eine solche Tendenz sich zum Eingeweihten zu deklarieren. Wir sind wohl mehr oder weniger alle interessierte Laien mit Meinungen, nichts weiter. Wenn die Tatsache, daß man diese Meinungen hier zum besten gibt, als Arroganz oder was auch immer ausgelegt werden sollte, dann ist das ein Problem. Aber nicht das Problem derjenigen, die hier schreiben. Mir wäre das dann offen gestanden aber auch genauso egal wie die Frage, wer hier wie weit spritzen kann, sei es nun mit Pinsel oder Pimmel. Das interessiert mich einfach nicht. Solltest du mit vorbeimogeln auf (m)eine grundsätzliche ironische Haltung gegenüber dem, was allgemein unter angesagter Kunst fungiert, abzielen, so fände ich das spannend – und fühlte mich – im positiven Sinne – von dir getroffen, denn Kunst hat für mich immer auch mit Humor und Ironie zu tun. Es gibt für mich nichts schlimmeres als unerträglich aufdringliche Betroffenheitskunst einerseits oder hochfahrend-aufdringliches Bedeutsamkeitsgeraune à la häufig erlebtem Vernissagen-Geschwätz andererseits...
Wenn ich deinen Beitrag weiter lese, dann fällt mir auf, daß ich dich vermutlich wirklich falsch verstanden haben könnte. Denn deine Ansichten zur Documenta teile ich voll und ganz – und damit komme ich gerne auch zu einem Bekenntnis, welche Funktion der Kunst ich derzeit – aus ganz subjektiven Gründen – für spannend halte...
Was mich im Nachgang der Documenta sehr geärgert hat, ist die Tatsache, daß Bürgel von den Medien z.T. als intellektuell-überheblicher Depp dargestellt wurde, der eben mit den Bedürfnissen "der Leute" nichts am Hut hat, sondern eine eben verkopfte Leistungsschau gemacht hat. Das bedeutet nicht, daß es das nicht war, denn teilweise – siehe meine vorigen Postings – hatte ich auch das Gefühl, aus diesem Intellektuellenzirkus aussteigen zu wollen und die einfachen Fragen des Lebens wie "Zu dir oder zu mir?" stellen zu wollen... zwinker Mit dieser blasierten Kritiker-Sicht der Dinge wird man der Sache aber eben nicht gerecht, ging es doch tatsächlich darum, die Kunstvermittlung in den Vordergrund zu stellen, auch wenn Theorie und Praxis weit auseinanderklafften, was unter anderem auch am Format der Documenta als Spektakel bzw. Leistungsschau liegt. Es lag aber schlichtweg auch daran, daß man der Documenta angemerkt hat, daß Bürgel einfach die Zeit gefehlt hat, sein Konzept wirklich umzusetzen. (Klar, jetzt kann man über fehlendes Zeitmanagement reden, aber das steht auf einem anderen Blatt.) Ich habe teilweise das Gefühl gehabt, in einer schlechten Kunstperformance wie weiland im Jugendzentrum zu stehen. Teilweise aber fand ich es – wie gesagt – hoch spannend, insbesondere deshalb, weil es – wie du schreibst – sehr politisch war. Gerade die von dir genannten Arbeiten fand ich auch die spannendsten – und hätte mir gewünscht, daß die Documenta aus einem Guß gewesen wäre, damit das bornierte Kritikergelaber ein Ende gefunden hätte. Was mich in meinem eigenen (kokettierendem) "Kunstdilettantentum" sehr bestärkt hat, ist die Meinung eben jener eingangs erwähnten Künstlerin – namens Sigrid Sigurdsson -, die selbst in der allerletzten Auswahlrunde von Bürgel eine Absage bekam, weil er ihre Arbeit zwar sehr schätzt, aber im Rahmen der documenta nicht für ausstellbar hielt. Großartig an Sigurdsson finde ich, daß sie ihrerseits nun nicht wie manch anderer narzißtisch gekränkter Künstlerfuzzi von dannen zog, sondern eben explizit die Stärken, aber eben auch die Schwächen der Ausstellung benennt - und zwar als Profi. Das nenne ich Größe – und das ist die Form von Größe der Kunst, die mich zwischen all den Möchtgernkünstlern, die vielleicht mehr Bilder verkaufen, interessiert. Es ist der Kontext von Kunst und Engagement, weshalb ich für mich momentan die Funktion der Kunst darin sehe "politisch" und "kritisch" zu sein (wohlgemerkt: nicht parteipolitisch, nicht notwendigerweise inhaltlich-politisch, aber eben auch!). Mein Credo. Ein subjektives.
Wie seht ihr das?
Ist Kunst politisch?
Was bedeutet Euch Engagement im Kunst-Kontext?
Ich mach jetzt mal einen Punkt und kommentiere die anderen Beiträge vielleicht ein ander Mal noch zuende, denn es gibt ja nichts Schlimmeres als Kritiker-Monologe... *zwinker
Übrigens: Wer sich für die Arbeit Sigurdssons interessiert, kann sich hier – oder falls die Links gelöscht werden bei Google - einen ersten Einblick verschaffen...
http://www.faz.net/s/RubCC21B04EE95145B3AC877C874FB1B611/Doc~E944414C6BC5E4C36B02A9DF2C9BA217F~ATpl~Ecommon~Scontent.html
http://www.keom.de/kuenstler/a_z/sigurdsson.html
Art-ig grüßend,
Luc