Einfachheit - ein Fach
Herr Hölle fragte:
"Weshalb so kompliziert, wenn es auch einfach geht?"
Eine mögliche Antwort ist:
Weil es einfach nicht so gut geht, sondern eben – einfach irgendwie.
Weil das "Einfache" oft eine Ver-Einfachung ist. Weil das Einfache oftmals banalisiert, bagatellisiert, typisiert und am Ende das Einfältige ist. Weil der Welt mehr als nur ein, zwei Farben hat, und unser Seelenleben auch.
Weil im "einfachen Gang" oft eine Faulheit des Denkens zum Vorschein kommt. Oder eine Anbiederung ans "Volk" (Politiker können das wunderbar).
Herr Hölle fragte weiter:
"Muss denn alles so kompliziert wissenschaftlich durchleuchtet werden,
damit wir uns von hinten durch den Hosenträger erschießen können?"
Damit zeigt Herr Hölle, dass er das Wesen der Wissenschaft nicht verstanden hat.
Denn erstens ist in den Postings dieses Threads keinerlei wissenschaftlicher Anspuch erkennbar (allein die fehlenden Fussnoten!), und zweitens besteht der Zweck von Wissenschaft nicht darin, Mittel zu schaffen, mit denen wir uns von hinten durch die Hosenträger erschiessen können, sondern darin, Wissen zu vermehren. Ob sie diesem Vorsatz gerecht wird, ist eine andere Frage.
Wie einer
fühlt, ist nicht diskutabel.
Was einer
äussert, dagegen wohl, denn indem er dies tut, will er, dass andere ihm zuhören (Falls er sich äussern will, ohne zu wollen, dass andere ihm zuhören, würde ich ihm raten, zu schweigen).. Weil er damit von anderen etwas will, kommen die anderen ins Spiel. Etwa damit, dass sie die Äusserungen
bedenken.
Damit fügen sie der ursprünglichen Äusserung bereits eine
zweite Dimension hinzu (ihr eigenes Denken), und führen die Sache der Äusserung bereits vom Einfachen, Eindimensionalen weg.
Wer das Einfache will, will deshalb im Grunde kein Gespräch, sondern einen Monolog.
Wer das Einfache will, hat oftmals Angst, sich der Vielfältigkeit der Welt zu stellen.
Wir haben es in der Hand, ob dieses Forum aus Monologen von irrelevanten Befindlichkeiten bestehen soll, oder aus guten Gesprächen, die durch Denken zustande kommen und zu weiterem Denken anregen. Wenn wir Letzteres wollen, brauchen wir Mut und Geduld zur Komplexität.
Solch' Komplexität spricht etwa aus Shelley: "Für mich heißt Devotion eben nicht, alles nur der Devotion wegen mitmachen zu müssen." – ein Satz, der so klingt wie: "Für mich ist es eben noch lange nicht Eis, wenn Wasser gefriert." Wohlwollend ausgelegt heisst er: "Mein Gedanke von Devotion wird nicht dadurch erfüllt, indem ich einem Klischeebild von Devotion entspreche."
Solche Spannungen des Begriffs sind nun leider nicht durch das Propagieren von "Einfachheit" aufzulösen, denn sie stammen nicht aus irgendwelchen papiernen Wissenschaftsdiskussionen, sondern aus der Lebendigkeit der Seelenbewegungen der hier Postenden.
Man könnte fragen: Aber wozu überhaupt das ätzende Gerangel um Begrifflichkeiten?
Soll doch jeder nach seiner Façon glücklich werden!
Die Frage übersieht, dass unsere Gefühle
massgeblich durch Begriffe bestimmt werden. Jeder von uns kann mindestens einen Begriff nennen, der ihn in seinem Leben zutiefst verletzt hat und damit sein weiteres Gefühlsleben nachhaltig geprägt hat. Es ist
nicht gleichgültig, welche Bedeutung wir Begriffen wie "devot" beimessen. An Shelleys Kampf um ihr Verständnis des Begriffes "Devotion" allein liesse sich das meisterlich exemplifizieren.
Die Frage des Threaderöffners: "Was genau ist devot?" wird sich im Rahmen dieses Forums nicht abschliessend beantworten lassen. Und das macht nicht nur nichts, sondern es ist auch gut so. Begriffe sind immer in Bewegung, und jeder, der an ihnen herumdenkt und sie mit seinen eigenen Gedanken befruchtet, trägt zu ihrer Geschichte bei. Die sedimentierte Geschichte der Begriffe ist der Boden, den künftige Generationen beackern.
stephensson
art_of_pain