Freiräume
Danke für das schöne Thema, liebe
sindtreu.
Im Eingangsbeitrag stellt Ihr die Frage
Wie sieht das bei Euch aus, geht Ihr oft getrennte Wege, was für Freiheiten gönnt Ihr dem Partner?
"Freiraum" , der Begriff wurde in den bisherigen Beiträgen, einschließlich Euren eigenen, verbunden mit diesen zusätzlichen Begriffen: Freiheit - Toleranz - Respekt - Wertschätzung - Vertrauen, jeweils verstanden als notwendige Voraussetzungen für Freiräume.
Dem würde ich zustimmen. Der Begriff "Freiraum" triggert bei mir unmittelbar die Vorstellung eines "open space", d.h. "offenen Raumes", der gesellschaftlich, aber auch individuell auf Personen bezogen, erwünschte Funktionen sozialer, kultureller, ökonomischer oder ökologischer Art erfüllt, gleichermaßen Erholungs- und Schutzzwecken dient und ständig einer potenziellen Gefährdung bzw. Veränderung ausgesetzt ist.
Freiräume in einer Beziehung sind quasi "Niemandsländer", deren Nutzungsintensität unterschiedlich stark sein und unterschiedlich verteilt sein kann, und wie bei realen öffentlichen offenen Räumen (Gärten, Parkanlagen, Plätzen, Schutzgebieten, Siedlungsräumen) kann auch in Beziehungen eine Gefährdung durch "Verbrachung" entstehen, wenn diese Flächen brach liegen oder nicht ausreichend genutzt werden. Das bedeutet auch, dass eine dauerhafte Pflege und Instandhaltung der vereinbarten und "gebauten" Freiräume sozusagen einen Dauerauftrag in einer Partnerschaft darstellt, wobei Anpassungen immer wieder erforderlich sein werden, und das ist jeweils genau das, was man dann mit dem Begriff "Beziehungsarbeit" beschreiben könnte.
Auch mein Partner BFlat und ich sind ein Paar, das sich hier im Joyclub vor bald 7 Jahren gefunden hat und seitdem eine Fernbeziehung führt. Sehr glücklich und sehr intensiv. Freiräume sind und waren von Anfang an dabei ein konstitutives Element - unsere Wohnorte liegen dreieinhalb bis sechs Fahrstunden auseinander (je nach Verkehrsmittel) und BFlat ist beruflich bedingt häufig mehrere Wochen, manchmal auch Monate, am Stück im In- und Ausland unterwegs. Wir waren, bereits bevor wie einander kennenlernten, beide gewohnt, unabhängig zu leben und für uns zu sorgen, was uns beiden als wichtige Voraussetzung erscheint, um eine verbindliche Partnerschaft eingehen zu können. Nur wer für sich sein und bei sich bleiben kann, kann unseres Erachtens sich auch bewußt für eine gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe entscheiden und diese erfolgreich leben, aufeinander bezogen, aber ohne symbiotische Verzerrungen, die dem jeweils anderen die Verantwortung dafür aufs Auge zu drücken versucht, dass es einem selbst gut gehe.
Wir sind ja weiterhin nicht eine sondern zwei Personen mit ihren je eigenständigen Identitäten und Besonderheiten, und seine Persönlichkeit gibt man ja mit der Entscheidung für eine Partnerschaft auch nicht an der Garderobe ab. Wir haben hier im JoyClub ganz bewusst kein Paarprofil, dennoch sind wir ein festes Paar. Darauf weisen wir auch beide ganz explizit in unseren Profilen hier hin, schon um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, unter falscher Flagge zu segeln. Wir betrachten und nutzen allerdings den JC auch weder ausschließlich noch überwiegend als Sex Dating Plattform, sondern in erster Linie als Diskussionsforum, wo man sich über Themen mit andren Menschen austauscht und das eigene Wissens- und Meinungsspektum erweitert! Daraus entstehen Kontakte und manchmal auch persönliche Begegnungen. Wir pflegen im JC teilweise unterschiedliche Kontakte und sind häufig an unterschiedlichen Diskussionen mit voneinander abweichenden Akzentuierungen beteiligt. Die unterschiedliche Differenzierung ist uns eine wesentliche Bereicherung der Beziehung.
Sofern es um den Besuch von Swingerclubs oder erotisch-sexuelle Veranstaltungen oder Begegnungen mit anderen und deren Anbahnung geht, agieren wir allerdings ausnahmslos gemeinsam, da gibt es keine Alleingänge, das ist uns beiden zentral wichtig. Korrespondenzen in diesem Zusammenhang werden dem jeweils anderen in Kopie zugeschickt, so dass wir beide zu jeder Zeit voll umfänglich in jeder Phase des Prozesses einbezogen sind. Unsere Paarbeziehung ist Dreh-und Angelpunkt und für uns prioritär, auch wenn wir ab und zu unsere Sexualität für einen weiteren Mitspieler öffnen. Es geht immer darum, anschließend gemeinsam zu reflektieren, was eine solche Begegnung mit Dritten jeweils mit uns je einzeln, aber gleichzeitig auch als Paar, macht. Darüber tauschen wir uns extensiv aus. Das ist also ein Stück Freiraum, dessen Nutzung wir gemeinsam betreiben, den in unseren vorherigen Partnerschaften und Beziehungen war es uns beiden verwehrt gewesen, auch auf diesem Gebiet -selbstverständlich mit der gebotenen Behutsamkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme - gemeinsame Paar-Erfahrungen zu sammeln und sich den jeweiligen Partnern gegenüber rückhaltlos bezüglich seiner erotisch-sexuellen Wünsche und Phantasien, aber auch Abneigungen, offenbaren zu können. Das ist also ein laufender Kommunikationsprozess, der dem Schutz dieses gemeinsamen Freiraums dient.
Und wo gehen wir getrennte Wege? Nun, zwangsweise immer dann, wenn wir uns nicht zusammen am selben Ort befinden. Wir sind beide kulturell interessiert, besuchen gerne Konzerte, Ausstellungen, Kleinkunst, Vorträge, Lesungen etc. Gerne gemeinsam, aber eben auch gerne alleine, wenn es sich terminlich eben so ergibt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Berichten über das jeweils einzeln Erlebte das eigene Auffassungsspektrum meist zusätzlich erweitert oder wenigstens differenziert. Auch Freundschaften und familiäre Beziehungen werden mal getrennt, mal gemeinsam gepflegt. Und die eher unangenehmen Dinge wie Steuererklärung und sonstiger Papierkram, Putzen der beiden Wohnsitze erledigen wir getrennt - auch das sind Freiräume, die sich bewährt haben.
Wir achten auch darauf, dass jeder genügend Zeiten hat, um für sich sein und der Muße pflegen zu können, ohne sich deshalb rechtfertigen zu müssen, ebenso wie Unterschiedlichkeiten der Personen und ihrer jeweiligen Herangehensweisen an Aufgaben und Pflichten stehen lassen und auszuhalten - auch das sind Freiräume, die wir einander bewusst gönnen und gegenseitig respektieren.
Freiräume in der Beziehung sind meiner Ansicht nach immer Ausdruck der Würdigung der persönlichen Bedürfnisse des jeweils anderen Partners und des wechselseitigen Respektierens der persönlichen Intimsphäre, in die kein ungebetener Zutritt erfolgt, aber wo jeweils die Möglichkeit besteht, dorthin zu Besuch eingeladen zu werden. Sie dienen der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems, in diesem Fall der Partnerschaft, durch das Zulassen der individuellen kulturellen und sozialen Bedürfnisse, sei es nun die Gestaltung der Wohnsituation, des Kleidungsstils oder anderer Unterschiedlichkeiten. Dies ermöglicht gleichzeitig Handlungsspielräume in Bezug auf Grenzen und Übergangszonen zwischen verschieden genutzen "Freiflächen" sowie für andere Interpretationen, wie ein bestehender aber mglicherweise dysfunktional gewordener Freiraum zukünftig genutzt werden soll.