Später Aufbruch, nicht zu spät?
Vielen von uns Älteren wird es schon widerfahren sein: man war als Paar, oft jahrzehntelang, bürgerlich und ohne Sex, befreundet mit einem anderen Paar, dessen einer Teil durch Trennung oder Ableben verloren geht. Es ist nun möglich, dass die Freundschaft mit dem verbliebenen Teil auch zerfällt oder aber intensiver, enger wird, und dass nun sich eine neue, auch erotische Konstellation ergibt. Da können Eifersucht, Irritation und Konflikte entstehen, aber es tun sich auch neue Möglichkeiten auf. Aus gegebenem Anlass habe ich (m) einen Brief geschrieben:„Meine beiden Liebsten, Freundinnen und Lebenspartnerinnen,
keiner von uns Dreien kann es noch verheimlichen: wir sind alt geworden, grau, weiß, knitterig und klapperig - geplagt von Empfindungen und handfesten Anzeichen des mal schleichenden, mal galoppierenden körperlichen und psychischen Verfalls. Der Zeiger unserer Lebensuhr steht günstigstenfalls auf 22.00 Uhr, die Feder zum mitternächtlichen Gongschlag ist schon gespannt.
Seit geraumer Zeit schon erlebe ich mit großer Traurigkeit, wie meine einst schönen, stolzen und erotischen Frauen mehr und mehr sich von negativer Körperlichkeit und Lebenseinstellung überwältigen lassen: der Leib (und die Psyche) ist vorwiegend ein Subjekt von Leiden, Krankheit, Attraktivitätsverlust. Ich nehme mich selbst keineswegs aus von dieser Anfälligkeit, und es ist schon schwierig, sich zumindest gelegentlich aus diesem zähen, saugenden Sumpf des Alterstrübsinns hochzuziehen.
Dabei sind wir doch noch keineswegs so hinfällig und hilflos ausgeliefert, sondern haben durchaus noch rüstige Ressourcen in Geist und Körper, um Gegenkräfte zu mobilisieren. Neben geistiger Beweglichkeit und Neugier ist Kreativität vorhanden, und auch der Körper hat nicht alle wunderbaren positiven Fähigkeiten verloren. Dabei wird ihm bei uns Dreien die schönste, wirkmächtigste derzeit weitgehend vorenthalten: gemeinschaftliche Lust, Geilheit und Ekstase. Der Grund: bürgerliche Konventionen, Verklemmungen.
Ich habe lange gezögert, einen Anlauf zu machen, das zwischen uns bislang etwas ausgeklammerte Thema einer um Erotik und Sex bereicherten Freundschaft einzubringen.
Die Erotik ist ja schon durchaus vorhanden – wunderbar, unsere zärtlichen und intensiven Umarmungen zu Dritt, auch zwischen euch Frauen, unsere Sympathie füreinander, aber auch die freundschaftliche Verbundenheit und Zuwendung seit langen Jahren. Warum nicht das Ganze vervollkommnen durch gelegentlichen Sex zu Dritt? Wir sind in einem Alter, wo der Sex lustvoller Selbstzweck sein kann und nicht mehr an konventionelle „Beziehungs“-Muster und geschlechtliche Rollenklischees gebunden sein muss. Es geht nicht mehr um monopolare Anbindung an einen festen Partner, gar um heterosexuelles Paarungsverhalten, sondern um Sex als freies Spiel, das einzig unbeschwerte, kollektive Lust und Entspannung zum Ziel hat.
Was hindert uns daran? Vermutlich sind es nicht bürgerliche Moralvorstellungen und Prüderie, vielmehr wohl die Angst, durch die Altersdefekte an Attraktivität eingebüßt zu haben: eine neue und falsche ästhetische Scham, die uns hindert, einander unverhüllt und freizügig zu zeigen, gar intim nahe zu kommen. Besonders ihr Frauen scheint unter dieser Belastung noch mehr zu leiden: Falten, Warzen, Pigmente, Deformationen durch Zusammenwirken von Bindegewebsschwäche und Schwerkraft, genitale Trockenheit etc. Und ich „als Mann“: mich zieren inzwischen Krampfadern und Besenreiser, das Bäuchlein wölbt sich, der Schwanz besinnt sich auch nur noch durch fürsorgliche taktile Behandlung seiner früheren, aufrechten Salamihärte, ja, er verhält sich mehr wie eine elastische Bockwurst, was seinem Lustempfinden aber nicht abträglich ist.
Sollen wir deswegen unsere Sexualität abschaffen, auf’s Altenteil schicken? Uns Spaß, Freude, geile Lust, gepaart mit heiterem Spiel versagen – wo es dazu auch noch nachweislich körperlich und mental sooo gesund ist, nichts kostet und keine schädlichen Nebenwirkungen hat???
Wir hätten die große und seltene Chance, unserem Lebensabend statt verhangenem Wolkenhimmel noch etwas wärmenden Sonnenschein hinzuzufügen: gewiss kein Allheilmittel, aber eine wohltätige Aufhellung unserer oft trüben Gedanken.
Zwischen Bangen und freudiger Hoffnung sehe ich, meine Liebsten, euren Reaktionen entgegen....“