Alterslust: Ich fühle mich oft überfordert Wichtiges/Wahres von Unwichtigem/Unwahrem zu unterscheiden.
Ich bin der Ansicht, dass wir alle nicht umhin kommen, selbst zu entscheiden, was uns jeweils besonders wichtig ist und wo wir unsere Prioritäten setzen und unsere Kräfte bündeln.
Ein afrikanisches Sprichwort lautet: "Wenn viele kleine Menschen viele kleine Dinge an vielen kleinen Orten tun, können sie das Gesicht der Welt verändern." Ich fand das immer tröstlich, wenn ich mal wieder Anfälle von Resignation hatte, angesichts der immensen Anzahl von offenen "Baustellen" weltweit und meinen begrenzten Kräften.
Ich bin eine Alt-68erin, d.h. ich habe in dem Jahr Abitur gemacht und mein Studium begonnen, erstmals alleine außerhalb des Elternhauses in einer mir gänzlich fremden, neuen Umgebung, und habe damals politisch denken gelernt und mich seither immer in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen engagiert, die mir wichtig waren. Die Themen und Gruppierungen haben sich über die Jahre verändert, bestimmte Grundstrukturen und Prinzipien, die mir damals wichtig waren, sind es heute immer noch.
Und je älter ich werde, desto wichtiger finde ich es auch, sich immer wieder klar zu machen, dass viele gesellschaftliche Veränderungen längst nicht so schnell vonstatten gehen, wie ich mir das manchmal wünschen würde. Und darauf zu vertrauen, dass manche Kämpfe weiter getragen werden von den nachfolgenden Generationen - wenn auch möglicherweise in anderen Formen, mit anderen Mitteln und anderen Akzentuierungen.
So war es für mich unglaublich inspirierend und berührend, zu sehen, wie kürzlich in den USA junge Schülerinnen und Schüler diesen beeindruckenden Protestmarsch in Washington gegen die liberalen Waffengesetze in den USA binnen gerade mal vier Wochen nach einem weiteren Amoklauf an einer Schule auf die Beine stellten, und mit welcher Ernsthaftigkeit sie vor die Kameras traten und darauf verwiesen, dass es ihnen Ernst damit ist, hier etwas zu verändern. Ihr Argument: in zwei Jahren dürfen wir wählen und dann werden die Politiker, die sich so sehr gegen entsprechende Regelungen schärferer Waffengesetze wehren, eben von uns nicht gewählt, ist eben so simpel wie einleuchtend.
Und der letzte, der vor ihnen in der Lage war, einen ähnlichen Protestmarsch nach Washington zu organisieren, war Martin Luther King jr., der für die gewaltfreie Verwirklichung der allgemeinen Bürgerrechte aller US-Bürger eintrat, und dessen Ermordung sich vor wenigen Tagen zum 50sten Mal jährte.
Unsere Generation hat unter anderem die wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die nachfolgenden Generationen unserer Kinder und Enkel diese gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang sehen können und dass wir ihnen glaubhaft vermitteln können, dass Zivilcourage und persönliches Engagement wichtig sind und tatsächlich Unterschiede bewirken.
Ob wir uns persönlich dabei um die Integration der Geflüchteten Menschen in unsere hiesige Gesellschaft engagieren oder um den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum oder bessere Bedingungen in der Altenpflege oder in der Nachbarschaftshilfe oder wo sonst auch immer ist vollkommen gleichgültig, sofern wir es mit Überzeugung und verlässlich tun und in der Lage sind, unsere Einstellung und Haltung auch anderen Menschen gegenüber zu vermitteln, und zwar ohne jeden konkreten Hintergedanken, den Gesprächspartner ebenfalls für die jeweilige Sache, für die wir brennen, begeistern und "missionieren" zu wollen, denn das geht erfahrungsgemäß schief. Es genügt, wenn wir die Haltung vermitteln, aus der heraus wir handeln.
Ich halte es da mit Vaclav Havel, dem ehemaligen tschechischen Bürgerrechtler, Schriftsteller und Staatsoberhaupt, der einmal in einer Rede sagte: " Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht. "
Dieser Teil fällt mir persönlich nicht allzu schwer. Hilfloser fühle ich mich hingegen auf dem Feld, Jugendlichen klar zu machen, wie sie angesichts der modernen Kommunikationsmittel und der Informationsflut, die uns von allen Seiten überrollt, sich wenigstens einigermaßen vor Fake News schützen bzw. diese identifizieren können. Der aktuelle Facebook-Skandal ist mir insofern höchst willkommen, ganz einfach weil er als Aufhänger dienen kann für einen Austausch über die Risiken und Gefahren dieser einerseits so wundervollen Kommunikationstechniken, die wir alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, inzwischen nutzen und teilweise schätzen gelernt haben.