Der Jeh Wagen
Ein Beitrag von BFlat, der nachträglich hierhin verschoben wurde.
Am Rande eines beruflichen Aufenthalts wurde mir klar:
Wien hat den Jeh-Wagen abgeschafft!
Bis vor einiger Zeit waren die Straßenbahnlinien in Wien mit Buchstaben bezeichnet. Da die 26 Buchstaben des Alphabets nicht ausreichten kamen numerische Koeffizienten dazu, wie z.B. A2. Etc. Nun hat man sich also ein Herz gefasst und das alte alphanumerische System durch Zahlen zu ersetzen.
Zusammen mit dieser Bereinigung hat man auch den "O-Wagen" abgeschafft. Diese Linie fuhr ausschließlich der Wiener Ringstraße entlang; immer rund herum. So erhielt man für ein Spottgeld eine wahre Stadt-RUND-fahrt, an vielen Wiener Sehenswürdigkeiten vorbei. Obendrein konnte man sich, gemütlich im O-Wagen sitzend, ohne über einen krächzenden Lautsprecher von einem profilsüchtigen Fremdenführer dauerbelästigt zu werden, ein Bild von der weltbekannten Wiener Ringstraßenarchitektur machen. Die O-Linie hatte -wie eben auch ein geometrischer Ring- keinen Anfang und kein Ende. So konnte man sich die vielen Blickachsen wieder und immer wieder angedeihen lassen, ohne an einer Endstation aussteigen zu müssen.
Diesen Luxus wollte ich mir wieder gönnen, und dabei fiel mir die Neuerung auf.
Die Neuerung hat allerdings auch diesen, sich gelegentlich wiederholenden, Zwischenfall beseitigt:
Ein polyglotter Gast aus Norddeutschland frägt im vermeintlich besten zackigen Deutsch Wilhelminischer Kasernenhöfe: "Wie komme ich bitte zum Schloss Belvedere?" Darauf antwortet ihm der freundliche Wiener im Geiste seines besten Burgtheater Deutsch: "Da nehmen Sie am besten den Jeh-Wagen". Der Gast aus Norddeutschland bedankt sich, und steigt bald darauf in den Justav-Wagen ein. Er sollte das Belvedere Schloss nie zu Angesicht bekommen!
Das kommt daher, dass wir, offenbar immer noch Wilhelminisch geprägte Bundesrepublikaner (zu welchen auch ich mich zähle), so buchstabieren:
…-Geh-Ha-Ihh-Jott-Ka-…
Während die Österreicher, deren sprachliche Wurzeln nicht in Märkischen Sänden vertrocknet sind sondern tiefer im Germanischen Ursumpf gründen, so Buchstabieren:
…-Geh-Ha-Ihh-Jeeh-Ka-…
So sind also aufmerksame Berliner in den G-Wagen gestiegen, anstatt den empfohlenen J-Wagen zu nehmen, welcher die Prinz-Eugenstraße hinauf gerumpelt ist, am Schloss Belvedere vorbei.
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Nochmals: Dieser Beitrag stammt von BFlat