Arbeiten in Tunesien
In der garstigen Jahreszeit, wenn die Touristenscharen aus aller Welt schütter werden, sind die Hotelmanager froh, wenn sie reisende Techniker der umliegenden Industriebetriebe beherbergen können. So blicke ich aus einem Zimmer mit Meerblick auf den sonntäglichen Sandstrand. Eigentlich stünde dieser Blick nur gut zahlenden deutschen Pauschalurlaubern zu.Zu jedem Urlaubssandstrand gehört auch ein bunt angestrichenes, leicht zur Seite geneigtes Fischerboot. Morgens, ein wenig nach der Zeit, wenn der Imam einen weißen Faden von einem schwarzen unterscheiden kann, und fromme Muslime zum ersten Morgengebet ruft, die Zeit, in der ich mich fertigmachen muss, zu einem weiteren Tag in einer Kreativität tötenden, höllisch lärmenden Werkhalle, sehe ich dieses Boot in der Bucht dümpeln und zwei Männer machen sich darauf zu schaffen. Doch irgendwann am Vormittag wird es auf den Strand gezogen werden und wartet dort bis zum nächsten Tag.
Heute, am Sonntag Nachmittag, flanieren Paare am Strand. Seltsam: es sind nur Paare... ansonsten allgegenwärtig herumtollende Kinder fehlen. Aneinander gedrückt schreitend, genießen die Paare die Ruhe und das Gleichmaß der auslaufenden Brandungswellen. Sonnenstrahlen als Gruß aus wärmeren Tagen dringen durch die winterliche Kleidung, welche vor den kühlen Böen schützt, die über das Meer streichen.
Hin und wieder bleibt ein Paar vor dem Fischerboot stehen.
Die Bordwand des Bootes hat auf der Oberkante eine umlaufende Börde. Diese ist sorgfältig weich gearbeitet. Kein Span steht hervor, kein Schiefer, welcher die Netze, die über die Bordkante ins Boot gezogen werden, verletzen könnte. Diese Kante ist aber auch eine angenehme Sitzbank, welche die Nylonstrümpfe der Geliebten verschont, wenn sie in einem eleganten Schwung von ihrem Liebsten dort hinauf gehoben wird. Ganz von selbst öffnet sie ihre Schenkel, so dass eine weiche Bucht entsteht, gerade so, als ob die Küste ein heimkehrendes Schiff empfangen würde.
Ihr Liebhaber steht kerzengerade vor ihr. Sie umarmen sich und schmiegen sich fest aneinander. Sie sind genau auf Augenhöhe. Keiner muss zum Andern aufblicken, sie sehen sich gerade und direkt in die Augen. Stirnen rollen aneinander, Nasenspitzen berühren sich.
Kuss.
Lippen berühren sich unter leisem Druck, verweilen, und lösen sich nach langer, langer Zeit, um sich gleich wieder zu vereinigen. Die Kusslippen der Frau haben eine leicht cremige Feuchte, so dass die Lippen des Paares noch kurz aneinander haften, am Ende eines Kusses. Wenn sie ihre Lippen zum Kuss schürzt, so bilden sich winzige, sternförmig nach innen verlaufende Fältchen. Sie pulst leicht mit ihren Lippen. Ihm ist, als würde er entlang der Fältchen unwiderstehlich in sie hinein gezogen. Ihr Atem beginnt hörbar zu werden.
Eine Möve rauscht vorbei und macht ein ordinäres Geschrei.
Sie blicken ihr nach.
Doch gleich vereinigen sie sich wieder im Kuss und die Geräusche der Brandung sind die alleinige Liebesmelodie, die sie begleitet. Bei jedem Kuss werden die Lippen der Liebsten voller und kräftiger. Jetzt überrascht sie ihn mit einer heißen, feuchten Zungenspitze, die zwischen ihren Lippen hervorschießt und seinen Lippen entlang fährt. Als er antworten will, ist die Zungenspitze schon lange wieder verschwunden und er stößt mit seiner Zunge gegen das weiche Kissen ihrer Lippen
Ich setze das Fernglas ab, um nicht die Intimität des Paares zu stören. Irgendwann werde auch ich da drunten am Strand vor dem Urlauberhotel sein.