Als Sohn eines schwäbischen Landwirts und einer Flüchtlingsfrau aus Sachsen wuchs ich zweisprachig auf, dominierend war dabei die Familie meines Vaters, etwas anderes als sich im schwäbischen Dialekt zu unterhalten war undenkbar.
Die sächsische Komponente meiner Sprachbildung spielte die Familie meiner Mutter, welche weit entfernt wohnte und gegenseitige Besuche nur selten stattfinden konnten. Der Großvater mütterlicherseits war Sachse durch und durch und entsprechend zelebrierte er neben sächsisch auch die sächsischen Gepflogenheiten. Seine Frau, also meine Oma, wurde als „Muddi“ angesprochen, waren wir bei den beiden in den Ferien eingeladen durften wir „ditschen“, zum Abendessen wurden „Bämmen“ zubereitet, der Nachbar, ein Eigenbrötler, wurde intern als „Nieslbriem“ eingeordnet und so weiter.
Gesprochene Dialekte können auch zu Missverständnissen führen, als das Thema „wie soll es nach der Schule weitergehen / Berufswahl“ diskutiert wurde kam der Vorschlag von meinem Sachsen-Opa, an die PH-Pädagogische Hochschule zu gehen. Der Buchstabe „P“ wird bei diesem Dialekt als „B“ ausgesprochen, in seiner näselnden Aussprache hörte sich das in etwa so an: „Vielleicht willste an die BH gehen“. Wie er das wohl gemeint hat?
Übrigens existieren sowohl im schwäbischen als auch im sächsischen Dialekt eigene Worte für Orgasmus:
„Sodele“ sagen die Schwaben und
„Ferdsch“ sagt man in Sachsen.
In der Schule wurde wir angehalten uns möglichst Hochdeutsch auszudrücken, unvergessen die ersten Rechenstunden in der Grundschule, wo uns die Lehrerin während der Lektion addieren von Zahlen dahingehend „behilflich“ war, dass sie ein „zwei und zwei ischd (!) vier“ strikt unterband.
Im späteren Schulverlauf hatten wir sprachlich unterschiedliche Begegnungen, Differentialrechnung auf schwäbisch hatte seinen Charme, alle behandelten Werke im Deutschunterricht ging nur auf Hochdeutsch. Berthold Brecht oder Thomas Mann auf schwäbisch? Undenkbar!
Viele Lehrer hielten ihren Unterricht aus einem Mischmasch von Schwäbisch und Hochdeutsch, dem sog. „Honorationenschwäbisch“. Wilfried Kretschmann, der MP von Ba.-Wü. Ist das beste Beispiel einer solchen Mischsprache, getragen, in seiner dozierend-bräsigen Art hat er in diesen Tagen von allen Ministerpräsidenten wohl ein Alleinstellungsmerkmal.
So wurde ich schwäbisch-sächsisch-hochdeutsch vorgebildet irgendwann zum Wehrdienst nach Traunstein/Oberbayern einberufen, ein Sprach- und Kulturschock! Die Ernüchterung sollte noch am ersten Abend erfolgen als wir gefragt wurden, wem die Bayernhymne bekannt sei. Während die meisten der Gruppe aus Bayern stammten und somit das „Lied der Bayern“ geläufig war mussten wir paar Schwaben in der Truppe passen, nie gehört. Also kam der Befehl: „Die Bayern in die Stuben wegtreten, die Preissn bleiben hier“! Schwaben als Preissn anzusprechen, welch ein Frevel! Egal, so schnell wie an jenem Abend habe ich noch nie einen Liedtext auswendig gelernt nur um endlich in die Stube zu kommen, wo die Schicksalsgefährten aus Bayern schon in ihren Betten lagen und friedlich schliefen.
Die restlichen 3 Monate in Traunstein waren sehr annehmbar, zufällig war auch der Sohn des Inhabers der lokalen Brauerei in dieser Gruppe vertreten, die Abende waren günstig und kurzweilig, ein Maß „Helles“ für 1 D-Mark, Freundschaftspreis, nie wieder erreicht! Und so wurde die freie Zeit genutzt um Freundschaften zu schließen, sich der bayrischen Sprache zu nähern um sich schließlich über den Unterschied von „Schwammerln“ und „Wammerln“ unterhalten zu können.
Nach dem intensiven (Sprach-?)Aufenthalt in Traunstein folgte die Versetzung in die Stammeinheit tief in der schwäbische Heimat, endlich zu Hause, endlich wieder schwätzen können wie einem der Schnabel gewachsen war.
Nach einem Jahr war dann Schluss, was folgte war die nächste Sprach- und Kulturumstellung: hat es am allerletzten Tag der Dienstzeit, wir waren schon entlassen, heftig gefunkt, eine Begegnung mit lebenslangen Folgen, lernte ich doch in Freiburg bei einer Party der dort wohnenden Ex-Kollegen eine Badenerin kennen! Schwabe trifft auf Badenerin! Hat man ähnliches zwischen Kölnern und Düsseldorfern schon erlebt? Oder zwischen Offenbachern und Frankfurtern? Alle in herzlicher Abneigung miteinander verbunden! Unsere Liebe stand über allem und der Rest war uns egal!
Die Liebe entwickelte sich, anfangs konnten wir uns nur an Wochenenden treffen wo wir zwischen Schwaben und Baden hin- und her pendeln mussten. Wir erinnern uns heute noch gerne an ihren ersten Besuch in Schwaben wo mein Vater und mein Bruder beim Mittagessen, es gab „Gaisburger Marsch“, miteinander das Programm der restlichen Arbeiten eines Samstagnachmittags auf dem Bauernhof besprochen haben. Die Feststellung der neuen Freundin, wonach sich die beiden im derben breiten Schwäbisch unterhielten war nicht von der Hand zu weisen, ähnlich muss sich wohl eine Fahrt in einem chinesischen Nahverkehrszug anhören. Nix verstehen.
Mein Bruder behauptet, außer Schwäbisch keine andere Sprache zu sprechen, auch kein Hochdeutsch. Nach seiner Überzeugung haben diejenigen ein Problem welche ihn nicht verstehen würden. Somit nicht seines. Auf die Frage wie er sich während der Reise zu seinem in Kanada lebenden Sohn verständigt habe kam die lapidare Antwort: „Dia schwätzat alle Schwäbisch!“ Gut zu wissen, wir haben das jedoch in anderer Erinnerung.
Wenige Jahre nach unserem Kennenlernen und der Übereinkunft zukünftig unser Leben gemeinsam zu gestalten sind wir in die Nähe von Hamburg gezogen. Wieder ein neuer Kultur- und Sprachbereich! Unsere Vermieter unterhielten sich nur auf Platt und wir lernten langsam einen neuen, für uns unbekannten Dialekt kennen, Holsteiner, oder genauer gesagt: Reinfelder Platt. Der „Pissmickelhupen“ in unserem kleinen Garten war eines der ersten Worte welches gelernt wurde.
Die Kollegen am neuen Arbeitsplatz in Hamburg waren sehr geduldig und haben mich sanft mit Plattdütsch vertraut gemacht. Fast obligatorisch war beim morgendlichen Kaffee auf NDR „Hör mal'n beten to“ zu lauschen, es fühlte sich für mich wie ein Sprachkurs an, nachdem verschiedene Worte und Begriffe durch Erklärung in Hochdeutsch verständlich gemacht wurden. Punkt 12 Uhr war im Büro „Mahltied“ zu vernehmen, „Klai mi ann Mors“ soll an dieser Stelle nicht ins Hochdeutsche übersetzt werden, verdeutlicht aber, dass auch in feinen hanseatischen Kontoren geflucht werden kann.
Über eine Umweg verschlug es uns vor über 30 Jahren nach Hessen in die Nähe von Darmstadt. Wir hatten uns vorher weder mit diesem Land, noch mit dem dort gesprochenen Dialekt beschäftigt und wurden auf Grund einer sehr kurzfristigen Entscheidung (neuer, interessanter Arbeitsplatz) dorthin geworfen.
Lediglich die Samstagabendunterhaltung „Zum blauen Bock“ mit Heinz Schenk stellte einen Bezug zum hessischen her, der Lieblingssendung meiner Eltern, für mich die Ausgeburt an Kitsch und Spießigkeit. Mit so vielen Vorurteilen beladen zogen wir also hierher und lebten uns, wie an unseren vorherigen Wohnorten in Deutschland, schnell und unkompliziert ein.
Der Chef am neuen Arbeitsplatz sprach ausschließlich Hessisch, unvergessen der erste gelernte Begriff „dunnse mol“, frei übersetzt „vielleicht wollen Sie sich mal drum kümmern“. Nach der Mittagspause ging es wieder ins Büro „enuff“ an die „Aaweid“, damals war rauchen am Schreibtisch noch erlaubt, neben Telefon, Schreibmaschine und Kuli gehörte der „Aschebescher“ zur wichtigsten Büroausstattung.
Während wir uns hier sehr wohl fühlen liegt uns die Benutzung des hessischen Dialekt fern, wir sprechen ihn nicht! Ihn in allen Ausformungen zu verstehen ist kein Problem, aber zu sprechen? Nein! Unser bisheriger Sprachhintergrund würde bei Anwendung des hessischen Dialekts gestellt und aufgesetzt und somit lächerlich wirken.
Wir betrachten uns heute als „Hessen mit schwäbisch-badischem Migrationshintergrund“, fallen bei Freunden beim geselligen Beisammensein trotz aller Bemühungen regelmäßig durchs „Hessenabitur“ und geben uns keine Mühe die Wiederholungsprüfung endlich zu bestehen! Es ist aber auch schwer erlernbar, dass mit „Scherz“ nicht Scherz gemeint ist sondern Schürze, „Fieß“ keine Widerlichkeit ist sondern die Füße gemeint sind und „Wermer“ kein Druckfehler des männlichen Vornamens Werner ist, sondern Würmer gemeint sind.
Mit unserem angeschliffenen Schwäbisch oder Alemannisch gab und gibt es keine Verständigungsprobleme, wir sind in Deutschland überall gut durchgekommen ohne selbst den jeweiligen Dialekt zu sprechen. Es genügt ihn zu verstehen.
Genug gebabbeld, „ich mach ford“– nein, ich kehre nicht ins Berufsleben zurück um Geld in der Produktionshalle des gleichnamigen Automobilherstellers in Köln zu verdienen.