Erzählungen vom Buchhalter der Präsident werden wollte
Kapitel 1Nach fast 45 Jahren bleibt mir heute die Erinnerung an das frühere Berufsleben, an die vielen Kontakte zu Kunden und Kollegen, Kettenrauchern, Alkoholikern, Cholerikern, an die verschiedenen Büros, mal modern in Hamburg am Alsterufer gelegen, mal neben einer Tabledancebar wo wir uns vom 2. Stock aus die Nasen mit dem Blick auf die nackten, sich im Hinterhof der Bar sonnenden Frauen an der Fensterscheibe platt drückten, ich erinnere mich an die vielen Ereignisse und Begebenheiten.
Ein besonderer Kollege mit speziellen Eigenartigkeiten wird mir immer in Erinnerung bleiben:
Tom McNulty! (*)
Tom McNulty war der Chefbuchhalter aller 12 Filialen eines deutschen Transportunternehmens in den USA, wo ich ein paar Berufsjahre mit einem Auslandsvertrag und USA-Arbeitsvisum verbrachte.
Die ersten Wochen in der neuen, ungewohnten Umgebung fielen mir etwas schwerer als bei den bisherigen Arbeitsstellen, amerikanische Tastatur am Computer, das "Büroenglisch", der Umgang der Kollegen untereinander waren eine Herausforderung, im nachhinein gesehen eine Erfahrung welche ich nicht mehr missen möchte.
Schon am ersten Arbeitstag kam er, Tom McNulty, der Chefbuchhalter, zu mir um sich vorzustellen und zu erfahren wo und was ich bisher gearbeitet habe, was die neue Aufgabe im Büro sei, ob ich nach Amerika eingewandert sei oder "nur" mit einem deutschen Vertrag und entsprechendem Visum arbeiten würde.
Schließlich fragte er frei heraus, ob ich denn schon einen amerikanischen Traum habe.
„H., did you ever dream the american dream?“
Den amerikanischen Traum? Was soll das denn sein?
Tom erläuterte sein Frage und erklärte, dass man als erfolgreicher Mensch einen Traum haben müsse, eben einen amerikanischen Traum.
Wie das?
Wenn ich die Ambition als erfolgreicher Filmschauspieler hätte müsste ich vom Film und der Schauspielerei träumen so erklärte er den amerikanischen Traum, wollte ich Pilot werden müsste ich mit dem Flugzeug bei Träumen entschweben, als berühmter Arzt mich intensiv im Traum mit Medizin beschäftigen und so weiter.
Ich war zunächst verdutzt ob dieser Einstellung, prüfte mich selbst welche Träume ich bisher geträumt habe, fand aber nichts verwertbares in dieser Richtung.
Nicht ganz höflich fragte ich also Tom durch eine Gegenfrage, welches denn sein Traum, sein amerikanischer Traum sei?
Er antwortete wie aus der Pistole geschossen:
"Some day I want to become President of the United States of America!“
Eines Tages möchte ich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden!
Mir blieb die Spucke weg, auf die Idee Präsident zu werden wäre ich nie gekommen, weder in Deutschland, noch in Amerika, politische Ambitionen waren nie Gegenstand meiner Überlegungen, meinen beruflichen Zielen, geschweige denn Träume.
Hat mich Tom nur veralbert, oder meinte er das im Ernst?
Also fragte ich nach, was ihn denn besonders für den Job als Präsident so qualifiziere?
Zuerst einmal habe ich irische Vorfahren, wie der Name McNulty schon sagt, die Ahnen eingewandert um 1850. Dann bin ich römisch-katholisch, studiert, Mitglied der Demokratischen Partei, und, ganz wichtig, ich habe einen amerikanischen Traum, meinen Lebenstraum, nämlich Präsident der USA zu werden. Er verwies dabei auf die Biografie von John F. Kennedy, seinem großen Vorbild, sowie auf Martin Luther King und seiner berühmten Rede "I have a dream".
Ich konnte ihn nicht für ernst nehmen. Präsident der USA? Und als Ausgangsposition die Leitung einer Buchhaltung eines mittelständischen Transportunternehmens mit 12 Filialen in den USA mit seinem Hauptsitz in Chicago am Flughafen?
Meine Zweifel waren mir wohl anzusehen, Tom lachte mich an und versicherte ernsthaft:
"Du wirst sehen, in 40 Jahren wird der Präsident der USA Tom McNulty heißen! Wir werden 4 Jahre zusammen arbeiten, Du wirst selbst feststellen können was in dieser Zeit alles möglich sein wird!"
Na das ging ja gut los, ein spezieller Kollege mit speziellen Ambitionen, da war ich doch sehr gespannt was da so auf mich zukommen würde.
Was seinen Traum vom Präsidenten der USA anging war Tom unerschütterlich, es verging kaum ein Gespräch zwischen uns beiden wo er darauf hinwies.
Kontaktierte er mich konnte man die Uhr danach stellen: jedem Gespräch ging die Standardfrage voraus: "H., did you dream the american dream last night"? Und jedes mal musste ich ihn enttäuschen, nein, ein amerikanischer Traum wollte sich bei mir trotz aller Bemühungen meine Träume zu lenken partout nicht einstellen.
Tom residierte in seinem kleinen Arbeitszimmer auf der anderen Seite des Gebäudes, es gab Tage an den wir uns nicht begegneten, wenn dies jedoch der Fall war dann ging es meistens um geschäftliche, also buchhalterische Angelegenheiten.
Ich war als Sachbearbeiter eingestellt, neben Dingen wie Marketing, Absprachen zu Angeboten und Transportabwicklungen für Luft- und Seefracht war die Verbindung zu den deutschen Büros zu halten. Dazu gehörte auch Probleme und Unregelmäßigkeiten und andere Dinge gemeinsam zu lösen und zu meinem großen Leidwesen fiel die deutsche Buchhaltung in der Zusammenarbeit mit der amerikanischen Buchhaltung unter dieses Kapitel. Ausgerechnet die Buchhaltung welche mir so fremd war wie einem Maulwurf das Sonnenlicht!
Mit der Zeit wurde es mir leid zwischen den jeweiligen Buchaltungskontoren als Mediator zu wirken, wobei ich den Eindruck hatte, dass sowohl Tom, als auch Herr Werner (*) von der Zentralbuchhaltung der deutschen Büros in Hamburg vorsätzlich an einander vorbei kommunizierten und dabei einen Kleinkrieg gegeneinander führten.
Es zählte nicht zu meinen eigentlichen Aufgaben Fehlern in der Buchhaltung nachzuspüren und Falschbuchungen im SOLL oder HABEN zu finden, Zahlendreher ausfindig zu machen oder jeweils falsch zu Grunde liegende Wechselkurse US-Dollar zu D-Mark herauszufinden, welche bei der monatlichen Kontoabstimmung für teilweise erhebliche Differenzen sorgte. So war ich in diesem für mich fremdem Gebiet auch mäßig erfolgreich.
Wäre das nicht das einzige Problem gewesen waren sich Tom und Herr Werner in tiefer gegenseitiger Abneigung mit einander verbunden, die kleinen persönlichen Sticheleien und das vorsätzliche missverstehen ließen mich manchmal an meinem Verstand zweifeln ob man es hüben wie drüben mit wirklich mit Erwachsenen, studierten Männern zu tun habe.
Herr Werner schickte seine Unterlagen per FAX in die USA, jedes Begleitschreiben war schon notorisch mit "to the attention of Mr. McNulty, book-keeping department" gerichtet.
Diese Titulierung brachte Tom auf die Palme, zum einen heißt Buchhaltung "accounting" klärte er mich auf, zum anderen belehrte er mich, dass er "chief-accountant" sei, also Chefbuchhalter. Tom reagierte wiederum mit Nachrichten, welche an den "Buchhaltungsboss" gesendet wurde, eine Ansprache welche ich ihm ins Ohr gesetzt hatte ohne an die Folgen gedacht zu haben.
So ging es zwischen den beiden hin und her, einmal nötigte mich Tom in der deutschen Zentralbuchhaltung Herrn Werner anzurufen um ihm ein für alle mal klar zu machen, dass er der "chief accountant" sei, was Herr Werner wohl nur müde lächelnd zur Kenntnis nahm und sich nicht zurückhalten konnte die nächste Nachricht wieder an den "boss of book-keeping department" zu senden. Es war zum Haare raufen und Mäuse melken, unglaublich!
Eines morgens kam Tom an meinen Schreibtisch, ein dickes Buch unter dem Arm geklemmt, nach seiner üblichen Frage, ob ich in der vorherigen Nacht den amerikanischen Traum geträumt habe, kam er ohne Umschweife zur Sache: "I am the book-keeper" ich bin der "Buch-halter". Damit war klar warum er sich den dicken Schmöker unter den Arm geklemmt hatte.
Als ob dem nicht schon genug sei knallte er mir die letzte Nachricht auf den Schreibtisch der zu entnehmen war, dass Herr Werner geneigt war seine Spielchen durch aktives Handeln weiter betreiben zu wollen, es war, wie zuvor schon, an den "chief of book-keeping department" gerichtet.
Tom wollte, dass ich jetzt und sofort wieder Herrn Werner anrufe um ihm klipp und klar und ein für allemal klar zu machen, dass es so nicht weiterginge. "Please call your squareheaded Germans to tell them"... - bitte ruf deine deutschen Betonköpfe an um ihnen zu sagen...
Nein, ich wollte nicht mehr. Es war nichts anderes als Zeitvergeudung im Kleinkrieg zwischen den beiden Männern zu vermitteln, und das ohne zählbares Ergebnis. Mir schwebte schon seit längerem eine Lösung des Problems vor, von Tom kam schließlich der Vorschlag: "Let us go to the manager..." - "lasst uns zum großen Chef gehen"...
Nichts lieber als das dachte ich bei mir, in diesem Spiel bin ich schließlich der Unschuldigste von allen Beteiligten. Und ein Gespräch mit dem "big boss" sollte der erste Schritt zur Lösung des Problems sein wie ich es mir vorgestellte.
Der Weg zum ganz großen Chef war kurz, er "bewohnte" ein üppiges Büro ein paar Türen weiter, mit direktem Blick auf den geschäftigen Flughafen und den vielen Flugzeugen dort. Vielleicht hatte er auch Träume, nämlich eines Tages Pilot in einem dieser Flugzeuge zu werden.
Fortsetzung folgt.
(*) Namen geändert
paarausda_di / m