Don Juan de la Mancha
...gerade schrieb mir ein weltenumsegelnder Freund, dass ihm immer noch mein Abreisegeschenk im Kopf herumspuke und die Szene mit dem Chili, und... und.....
Deshalb hier mein Lesetipp:
Robert Menasse
Don Juan de la Mancha
Aus der Rezension der Süddeutschen:
Erste Sätze sind erste Eindrücke, und sie entscheiden darüber, ob man geneigt ist, sich der Fantasie eines Schriftstellers anzuvertrauen. Erste Sätze geben Aufschluss über Thema und Stil, machen neugierig oder fallen mit der Tür ins Haus. Der Österreicher Robert Menasse hat sich für die letztgenannte Möglichkeit entschieden, um Appetit auf seinen neuen Roman zu wecken. Anders als sein Landsmann Adalbert Stifter, der seinen "Nachsommer" denkbar gemächlich ("Mein Vater war ein Kaufmann") beginnen ließ, geht Menasse in die Vollen und eröffnet mit einer Geschlechtsverkehrsvariante, die hier aus Dezenzgründen nicht zitiert werden soll.
Chilischoten spielen dabei keine unerhebliche Rolle, und die Akteure des scharfen Stellungsspiels - die verheiratete Altphilologin Christa und der verheiratete Journalist Nathan - schicken sich an, auf diese Weise ihren Lustgewinn effektvoll zu steigern. Mehr als zweihundertfünfzig Seiten später, als Christa einen Ruf nach Berlin erhält, tauschen sie in einem erotischen Abschiedsfest die Rollen, ersetzen den Chili durch eine solide Meerrettichstange und wollen die Frage beantworten, welches Geschlecht in actu größere Lust empfinde.
So viel ist nach diesem Auftakt klar: Robert Menasse, Jahrgang 1954, hat einen Roman geschrieben, der auf prüde Leserreaktionen keine Rücksicht nimmt und sich ums gesellschaftlich Korrekte wenig schert. Im Zentrum des freizügigen Geschehens steht Nathan, der bis zu seiner Entlassung das Ressort "Leben" einer Wiener Zeitschrift leitet und mit einem Mal an Lustlosigkeit leidet, die freilich keine geringere Sexfrequenz nach sich zieht. Wie der Romantitel verheißt, haben wir es mit einer modernen Don-Juan-Figur zu tun, die indes - so der Don-Quichotte-Zusatz - von eher mickriger Gestalt ist.
Der krisengebeutelte Eroberer flüchtet schließlich auf die Couch der Therapeutin Hannah. Sie leitet ihn dazu an, den Ursprüngen und Grenzen seines Liebeslebens nachzuspüren, und inspiriert ihn zu mitunter ins Leere laufenden Exkursen.
Die "Lehrjahre der Lust" (so die Anspielung auf Gustave Flauberts "Lehrjahre des Gefühls") durchlief der gescheiterte Publizistikstudent einst in einer Wiener Kellerwohnung - oder auch nicht, denn schon bald zeigt sich, dass dem Erzähler nicht zu trauen ist und dass er sich, wie sein Vater, ein bekannter High-Society-Reporter, die Wahrheit zurechtzubiegen weiß, um sie schmackhafter erscheinen zu lassen. Was sich damals, im Keller oder in der Beletage, abspielte, lässt Nathan komisch und anekdotenreich Revue passieren. Wir sehen diversen jungen Damen zu, die Helga, Martina oder Alice heißen, wie sie sich auf seiner ärmlichen Matratze ausbreiten, wie es zur ersten vorschnellen Ehe kommt, wie sich der Student Nathan in eine Frau verliebt, die ihn wegen eines Künstlers vom Balkan stehenlässt, und wie er, Jahre später, bei einem Vortrag des hochbetagten Alfred Sohn-Rethel seine zweite Frau Beate kennenlernt.
Nathans Geschichte ist nicht zuletzt eine Geschichte vom Älterwerden, eine Reflexion darüber, dass mit dem Erreichen des fünfzigsten Lebensjahres der "Todesstreifen" überschritten und das Erwachsenwerden nicht mehr aufzuschieben sei. "Ist es das Alter, Hannah, dass ich in letzter Zeit immer wieder an erste Male denke?" fragt sich der zweifelnde Homme à Femmes und gibt seiner Neigung zu Kalauern und Sentenzen hemmungslos nach: "Erwachsen zu sein heißt Herrschaft antreten. Den Anspruch und auch gewisse Möglichkeiten zu haben, das gesellschaftliche Leben so zu gestalten, dass es einem entspricht."
Dieses Nachdenken zieht auch die Gegenwartsliteratur in Betracht, neue Werke von Martin Walser und Philip Roth etwa. Dessen Romanwendung "Sie sah aus wie Eleanor Roosevelt" empfindet Nathan als amerikanische Anmaßung. Keinem österreichischen Autor ließe man es durchgehen, eine Figur derart zu charakterisieren. "Sie sah aus wie Herma Kirchschläger", das würde, da haben Nathan und sein Autor recht, wohl nicht den Segen des Lektorats erhalten.
Als Ressortleiter besitzt Nathan eine Zeit lang die Möglichkeit, Macht auszuüben, bis er merkt, dass die Anforderungen der Chefredaktion mit seinem Verständnis von Journalismus kaum mehr in Einklang zu bringen sind. Er zieht sich in die innere Emigration zurück und vermag es am Ende nicht zu verhindern, dass eine gescheiterte Paris-Reportage zu seiner Demission führt. Auf dem Land versucht er zur Ruhe zu kommen und pflegt seinen geschundenen Körper in Badelotionen, die vorgeburtliches Fruchtwasserfeeling simulieren - eine der amüsantesten Stellen des Romans.
"Die Befriedigung wäre der Tod der Begierde", diese Erkenntnis bildet den Kern jeder Don-Juan-Existenz. Allein mit "Erlösung" wäre Nathan & Co. gedient, doch diese stellt sich im Irdischen selten ein. Menasse belässt es nicht dabei, einen unerfüllten erotischen Reigen vorzustellen; Nathans Biografie spiegelt auch eine politische Entwicklung, die an der Universität, als er und seine Freunde alternative Seminare begründeten, ihren Lauf nahm. Liebe und Ideologie hingen damals eng zusammen; die "Weltrevolution" erschien dem Helden als "Voraussetzung für einen Orgasmus", und seine Lebensabschnittsgefährtin Alice vermittelte einst überzeugend, dass "Liebe und Penetration" als "Widerspruch" zu verstehen seien.
Wie und warum aus dem aufbegehrenden Studenten ein nach und nach resignierter leitender Redakteur wurde, das bleibt im Roman interessanterweise ausgespart. Schleichend rutscht Nathan in diese Rolle; die kapitalistischen Triebkräfte unterminieren alle revolutionären Ansprüche, und am Ende steht die Regression im Planschbecken des urmütterlichen Fruchtwassers.
Robert Menasses "Don Juan de la Mancha" ist ein sehr vergnüglich zu lesender, kluger Roman, dessen freche Provokationen virtuos mit Lesererwartungen spielen. Und, wer weiß, vielleicht ist dieser Alpen-Don-Juan ja eine Figur, die aktuelle Gefühlszustände genauer trifft, als es Chili und Meerrettich auf den ersten Blick vermuten lassen.