Ehrlich sein?
In erster Linie zu sich selber! Habe heute Morgen im NEON-Magazin einen spannenden Artikel zu genau diesem Thema gelesen, ein Artikel, der mir treffend aus dem Herzen spricht: Selbst-Betrug, das Gift der Untreue.
Er beleuchtet die Gründe, warum wir uns Treue wünschen und erwähnt, warum Treue evolutionstechnisch kein Thema ist. Er listet all die Gründe auf, mit dem wir unser Fremdgehen rechtfertigen. Aber das ist ja nichts Neues. Aber er schreibt auch einmal schwarz auf weiss, welch schwerwiegende Bedeutung Lügerei und Heimlichtuerei in diesem Kontext für einen selber haben: Weil sich die Lust auf andere Körper "zuhause" so schwer erklären lässt, machen die Menschen das, was unserer Art am nächsten liegt, wenn etwas unangenehm ist: lügen, hintergehen, ganze Lebensbereiche vor dem Partner verstecken. Sie sperren ihn aus aus ihrer Welt oder zeigen nur noch eine Kulisse.
Das Schlimme daran: Zerstört wird damit die Möglichkeit, sich gegenseitig zu lieben, wie wir sind, mit all unseren Abgründen.
Ich habe in meinem Leben betrogen*(*ich benutze diese Formulierung, weil sie gängig ist) und wurde betrogen - keine ONS, sondern Aussenbeziehungen, die über mehrere Monate/Jahre andauerten. Das Schlimmste daran war immer die Lügerei! Sowohl während der Zeit der Aussenbeziehung wie dann, als sie aufflogen. Die Positionen verschieben sich zwar, als Betrogene habe ich nur noch gelitten. Als Betrügende habe ich auch genossen. Aber "betrügen" ist und bleibt anstrengend, denn es sind die Geheimnisse (die frau unentwegt für sich rechtfertigt, in denen frau ihre Seele badet, sie hätschelt und zärtelt), diese Geheimnisse belasten die Beziehung schwer, denn man distanziert sich damit von dem Menschen, den man eigentlich gerne in der Nähe hat. Im NEON-Artikel steht dazu: "Das Verwalten unterschiedlicher Wahrheiten und das immer diffizilere Lügen und Täuschen, das der ersten Unwahrheit folgt, wird bald zu einer eigenen Welt, deren Pflege und Unterhalt sehr viel Energie kostet. Man belastet also nicht nur die Beziehung, sondern vor allem sich selber damit."
Dies eine Quintessenz dieses Artikels und für mich der Schluss, zu dem ich nach Jahren gekommen bin. Als Konsequenz daraus formulierte ich gleich zu Beginn (vor zwei Jahren) meiner jetzigen Beziehung den Wunsch um Ehrlichkeit. Denn Ehrlichkeit lässt mir die Wahl der Entscheidung: ich kann entscheiden, mich der Wahrheit zu stellen, sie anzunehmen, mit ihr zu "dealen". Ehrlichkeit lässt mir die Wahl, auch die dunkleren Facetten an meinem Partner zu erkennen, sie lässt mir die Wahl, mich auf ihn einzulassen, ganz und gar. Ehrlichkeit gibt mir die Möglichkeit, mich auf der Basis von Fakten zu entscheiden, meine, wenn ich die Ehrlichkeit nicht aushalte, kann ich auch gehen.
Ich betone, ich richtete den Wunsch um Ehrlichkeit an ihn. Ich kann sie nicht erwarten. Denn auch ich weiss, ehrlich zu sein, ist nicht einfach. Mir stellt sich in diesem Zusammenhang auch immer wieder die Frage: wo beginnt die Privatsphäre, wo endet sie? Aber ich möchte meinen Partner genau so lieben, wie er ist. Umso mehr als ich die Tatsache unglaublich schätze, dass ich mich ihm genauso zeigen kann, wie ich bin. Dazu gehört auch, dass ich meine sexuellen Wünsche und Phantasien vor ihm auslegen und mit ihm geniessen kann.
Ich möchte die Schönheit und Tiefe unserer Partnerschaft nicht durch sexuelles Begehren gefährdet sehen. Ich gestehe: manchmal schlucke ich leer, wenn er mir beispielsweise hier im JC das Profil einer Frau zeigt, die ihm spannend erscheint. Und ihn in seinem Begehren einer anderen Frau live und hautnah zu erleben, kreiert zuweilen ganz schwierige Momente für mich - für ihn ist es wahrscheinlich einfacher, da mein "ausserbeziehliches" Begehren mehr anderer Weiblichkeit gilt und er in den Genuss desselbigen kommt. Aber das sind Momentaufnahmen, in einem, unserem Leben, das erfüllt ist von Zärtlichkeit, Geborgenheit, Fürsorge, einem Leben, das sich aus unzähligen Aktivitäts-Facetten zusammensetzt, einem Leben, in dem wir uns auch gegenseitig trösten, halten, schützen, stützen.
Deshalb plädiere ich für Ehrlichkeit. Denn entweder lerne ich, die Wahrheit zu tolerieren, sie anzunehmen oder gar zu verstehen. Oder sie nimmt für mich eine Tragweite an, die meine Seele bedroht, nicht aushält, dann erlaubt sie mir, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Danke für eure Lesegeduld und das Verzeihen allfälliger Gedankensprünge. Ist mir grad so entsprudelt. Deshalb empfehle ich euch den ausgefeilten, fundierten Artikel. Wie gesagt, in der August-Ausgabe der NEON. Spannendes Lesen wünsch ich!