Zahlenspielende Spekulationen
Das Thema Prostitution ist komplex, da die Debatten pro / contra Verbot immer auch auf der Ebene der persönlichen Moralvorstellungen geführt werden und weil es - so auch von staatlicher Seite benannt - keine valide Statistik über die Anzahl der Prostituierten, geschweige denn die Anzahl der in die Prostitution gezwungenen Menschen gibt. Die auch hier aufgetauchte Zahl von 700.000 ist nur eine der nicht bestätigten Zahlen, die im Diskurs kursieren.
Der Grunddissenz liegt aus meiner Sicht in den nicht vereinbaren Haltungen, das Anbieten sexueller Dienstleistungen sei ein Geschäft wie andere auch versus der in der laufenden Emma-Kampagne vertretenden Haltung, Prostitution verstoße gegen die Würde der Frau. By the way: der Markt der männlichen Prostituierten mag zahlenmäßig weitaus geringer sein, existent ist er dennoch.
Wie steht Ihr zur Kriminalisierungsdebatte?
Aus meiner Sicht wird Prostitution durch ein Verbot nicht verschwinden. Auch eine Kriminalisierung nur der Freier verschärft die Situation der Anbieterinnen, da sie im Verborgenen agieren müssen, um ihrem Geschäft nachzugehen. Ich bin gegen ein Verbot der Prostitution, stattdessen für eine Nachbesserung des Prostitutionsgesetzes bzw. Präzisierung der rechtlichen Möglichkeiten, Zwangsprostitution und Menschenhandel aufzudecken und zu ahnden. Eine wichtige Forderung ist die Entkopplung der Verfolgbarkeit von der Aussage einzelner mutiger Frauen, die Forderung nach einem effizienten Zeugenvhutz und nach einem Bleiberecht für ausländische Zeuginnen. Die Umsetzung der EU-Richtlinie gegen Menschenhandel ist in Deutschland noch immer ein Desiderat.
In den Beiträgen des TE ist mir besonders unangenehm dies aufgestoßen:
Wir sprechen eben auch nicht von studierten, gelangweilten Frauen, die sich abends die Weiterbildungsprogramme downloaden können. Sondern von Menschen ohne jede Ausbildung, deren Adoleszenz (und damit die ganze Sozialisierung) innerhalb eines Systems stattfand, dass sie jeden Tag mehrfach überzeugt hat, nichts wert zu sein. Und im Verlauf kommen dann die Komorbiditäten dazu, Depression, Substanzmissbrauch, alles eine schlechte Basis, um sich einfach mal für eine Umschulung zu bewerben und das dann durchziehen zu können.
Deine Sicht auf SexarbeiterInnen, bezogen aus dem Buch einer Einzelperson, vermengt mit den Erweiterungen deiner nicht überprüften Vorstellung von der Wahl der Tätigkeit Sexarbeit zum Lebensunterhalt. Prostituierte sind lebensuntüchtige, problembehaftete Menschen aus deiner Sicht. Eine verkürzte, einseitige Sicht, die dem Thema nicht gerecht wird, meine ich.
und dies:
Wir sprechen hier von einer erniedrigenden, von stetem Ekel begleiteten, in der Regel übergriffigen und mit Gewalt durchsetzten Tätigkeit, die eben kein "Job" ist, sondern eine Aufgabe der letzten Bastion des selbst, nämlich der Integrität des eigenen Körpers. Dies aus einer Situation heraus, die offensichtlich keine andere Möglichkeit mehr bietet zum Überleben, als genau das aufzugeben.
Die Männer, die diese "Dienstleistung" in Anspruch nehmen, sind nicht die hübschen, netten etwas Untervögelten. Es sind die hässlichen, ekelhaften, bösartigen Männer, die aus gutem Grund auf dem ersten Markt keine Frau finden.
Du sprichst auf der Basis der Lektüre eines Buches, nicht für die Arbeitswelt aller Prostituierten. Und provokant gefragt: wenn die Freier alle Adonisse wären, wär deine Haltung zum Gewerbe Sex gegen Geld eine andere? Ich mag hier einfach daran erinnern, dass Menschen, die sich prostituieren, nicht per se ihre Würde, auch nicht ihre Person, sondern eine sexuelle Handlung gegen Geld anbieten. Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied in der Debatte, der den Focus von Art. 1 des GG auf den wie ich finde förderlicheren Art 12 (u.a. Recht auf freie Berufsausübung) lenkt.