Den Zulassungsbehörden weltweit (auch der FAA) muss man nachweisen, dass eine neue Funktion nicht unsicherer als eine alte Funktion ist.
Das ist letztlich ein Überzeugungsprozess, der durch Fakten und Statistik belegt wird. Erst wenn der Beamte in der Zulassungsbehörde davon überzeugt ist, dass die Funktion sicher ist, bzw. nicht unsicherer als vorher, dann unterschreibt er.
Nun ist bekannlich aber die Praxis und die Theorie oft nicht das selbe. Denn auch der Nachweis über statistische Methoden geht von einem Denkmodell aus, das gewissen Annahmen unterliegt. Der Zulassungsprozess setzt daraus, dass Fehler in den Annahmen durch das Viele-Augen-Prizip nicht unentdeckt bleiben. Das kann aber trotzdem auch mal vorkommen.
Ich denke, dass es sich beim MCAS um so einen Fehler handeln könnte. In der Bewertung durch die Behörden ist einfach ein Fehler im Annahmenmodell unentdeckt geblieben, der zur Erteilung der Zertifizierung geführt hat.
Weltweit haben die Luftfahrtbehörden wenig emotionale Bindung an Boeing, im Gegensatz zur FAA. Es wäre also nicht so weit hergeholt, wenn man vermutet, dass Boeing viel zu verlieren hat. Da die FAA die erste Instanz in der Zertifizierungskette sind, dürften die auch nicht erfreut sein, wenn sich herausstellt, dass sie die Sicherheit dieses Systems evtl. falsch bewertet haben.
Mich wundert es also nicht, wenn die beiden Kandidaten, die am meisten "zu verlieren" hätten, erstmal sagen "wir sehen keinen Handlungsbedarf, bis die Gefährdung (!) bewiesen ist". Alle anderen Beteiligten weltweit (Behörden, Fluggesellschaften, etc.) verlieren viel weniger, wenn sie jetzt sagen "wir halten die Maschinen am Boden, bis deren Sicherheit (!) bewiesen ist".
Die USA ist da der eigenen Wirtschaft gegenüber sehr protektiv.
Das ist übrigens nicht das einzige Beispiel, wo die FAA im Zweifel nicht gegen, sondern für den Angeklagten stimmt. In den 70er Jahren gab es an den DC-10 einen Defekt an den Cargo-Türen. Auch hier entschied sich die FAA auch nach dem zweiten Absturz gegen ein Startverbot. Es bedurfte erst eines dritten Absturzes, bis die FAA die Notwendigkeit einsah, den Hersteller durch ein entsprechendes Startverbot zur nachhaltigen Umkonstruktion zu bewegen.