Einige Bemerkungen
1. An die Aussage von Gesundheitsminister Seehofer kann ich mich gut
erinnern. Für mich damals wie heute ein Bankrotterklärung der
Demokratie -was sonst?
Der gewählte Volksvertreter kapitulierte vor der Lobby, einer kleinen
Minderheit. Unabhängig von der sachlichen Bewertung -Fehler werden
Politiker immer machen und müssen sie auch machen dürfen, denn das
bringen Entscheidungen so mit sich. Sie haben nur die Pflicht, die
Fehlerquote zu minimieren -wie jeder Entscheider.
2. Bei der Entscheidung zum ESM bekamen die Abgeordneten erst wenige
Stunden vor der Abstimmung das Werk von ca. 700 Seiten, über das es zu
entscheiden galt. Wer also nicht am Entstehungsprozeß direkt beteiligt
war, konnte also gar nicht wissen, worüber er abstimmt. Da hilft dann
auch kein Sachverstand.
Wie kann da ein Demokrat anders reagieren als mit Enthaltung?
3. Was nützt Sachverstand der Minderheit im Bundestag, wenn er nicht gehört
wird -gerade bei so gravierenden Fragen? Wie ist das mit dem Verantwortungs-
bewußtsein aller Parlamentarier vereinbar?
4. Das Bauchgefühl der Masse sehe ich auch kritisch -aber so in wie Punkt 2
hätte dies keinen Unterschied gemacht -und das bei einer solchen Entscheidung!
5. Natürlich ist auch die Masse käuflich: Durch Wahlversprechen vor jeder
Wahl wobei ja schon ein Spitzenpolitiker die Dreistigkeit besaß, sich nach
der Wahl darüber zu beschweren, daß er nach der Wahl daran gemessen
wird.
6. Viele Bürgerrechtler aus der DDR mussten erkennen, daß im ausgeklügelten
System der Bundesrepublik ein Individuum nichts erreichen kann.
(So zB. Bärbel Boley in ihrem Tagebuch.)
Schon bei der letzten Wahl in der DDR spielten die Bürgerrechtler praktisch
keine Rolle (mehr), denn gegen die etablierten Parteien (auch Blockparteien)
waren sie chancenlos.
7. Das Wahlrecht selbst ist auch undemokratisch. Wer nicht die "richtigen"
wählt (5% -Hürde), dessen Stimme ist einfach wertlos.
Parteien, die in einem wesentlichen Punkt von der Linie der großen
Volksparteien abweichen, werden einfach als "regierungsunfähig"
abgestempelt. Dies ist maßgebend, da bisher nur diese beiden Parteien
eine realistische Machtoption im Bund hatte.
8. Dies macht demokratische Reformen nicht unbedingt realistisch. Eine 3.
Partei mit realistischer Machtoption wäre ein echter Prüfstein für die
Demokratie -ist jedoch bisher nicht in Sicht. Wie schwierig das ist,
zeigt das Beispiel der Piraten.
9. Zuletzt ein kleines Gedankenspiel:
Diktator A stellt sich zur Wahl
Diktator B stellt sich zur Wahl
Beide vertreten die gleiche Grundrichtung (zB. eine neoliberale Wirtschaftspolitik,
unterscheiden sich also nur in Nuancen.
Das Volk hat die freie Wahl. Demokratie oder nicht?
PS: Ich reibe mir manchmal die Augen, welche Ansprüche wir gelegentlich an
eine freie Wahl stellen, zB. auf der Krim. Ich kann mich nicht erinnern,
schon mal meinen Stimmzettel in eine transparente Urne geworfen zu
haben (was auf der Krim der Fall war).