Buchempfehlung: Frauen die lesen sind gefährlich
Zu meiner Diplomfeier im Team erhielt ich dieses Buch mit folgenden Worten überreicht: „Ob Frauen die schreiben gefährlich sind, weiß ich nicht, aber Frauen die lesen sind gefährlich."
Es gefällt mir sehr gut und deshalb möchte ich es Euch hier vorstellen und empfehlen.
Frauen die lesen sind gefährlich
Stefan Bollmann (2011)
Elisabeth Sandmann Verlag GmbH, München
ISBN 978-3-938045-64-0
Kapitel: Simone Martini
Seite 10 -11
Darstellungen der Verkündung an Maria waren im 14. Jahrhundert keine Seltenheit mehr. Doch das Geschehen so gezeigt wie der Maler Simone Martini aus Siena hatte keiner vor ihm. Die Gewänder und Flügel des Engels sind in glänzendes Gold getaucht. Er erweckt den Eindruck, gerade niedergeschwebt zu sein. Seine Lippen sind leicht zum Sprechen geöffnet, und was er zu sagen hat, steht auf Schriftbändern; eines davon führt zu Marias Ohr empor: „Sei gegrüßt, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Siehe, du wirst empfangen im Mutterleib. Fürchte dich nicht, Maria." Und Maria, wodurch spricht sie? Schon zeitgenössischen Betrachtern des Bildes ist ihre verschreckte Haltung aufgefallen. Es ist als, ob sie vor der Macht der Worte des Engels in >>ihre<< Ecke ausweicht. In Marias Erschrecken liegt etwas von Abwehr, verbunden mit einer seltsamen Gleichgültigkeit. Fast als wollte sie sich von dem Geschehen abwenden, rafft sie den Mantel vor der Brust zusammen. Das rote Buch, Symbol ihrer Weisheit, in dem sie gerade gelesen hat, hält sie mit dem Daumen einen Spalt an der Stelle offen, wo sie von der Ankunft des Engels in ihrer Lektüre unterbrochen wurde. Format und Ausstattung deuten darauf hin, dass es sich um ein Stundenbuch handelt. Stundenbücher wurden im späten Mittelalter von den Wohlhabenden als individuelle Andachtsbücher für Laien benutzt und dienten oftmals auch dazu, Kindern das Lesen beizubringen.
So sehen wir in dieser Verkündung auch der Geburt von etwas Neuem zu: Martinis Maria ist eine kluge Frau und längst nicht mehr die naive Unschuldige, als die sie die Theologen gerne sahen. Sie beherrschte etwas, das im Spätmittelalter zur Gewohnheit der Gebildeten wird: still zu lesen und sich so das Wissen aus freien Stücken anzueignen - nicht durch Gehorsam, sondern durch Lektüre und Studium. Und wer so vertieft ist in ein Buch wie diese Maria, der erschrickt schon mal, wenn man stört.