Ein Diskussionsbeitrag...
... den ich schon vor längerer Zeit verfasst habe, weil mir das parteiinterne Gehakele zu diesem Thema einach auf den Senkel ging.
"Warum ich keine Lust mehr habe, mit gewissen „linken“ Feministinnen über
Sexarbeit zu diskutieren -
-eine Polemik von****
Ich bin es leid! Wann immer – gerade auch unter Parteigenoss*innen – das Thema
„Prostitution“ - oder „Sexarbeit“ angeschnitten wird – habe ich es mit den immer gleichen
Argumenten zu tun. Nichts wird hinterfragt, nichts wird reflektiert und die Meinungen
stehen wie einbetoniert. Niemand fragt, warum dieses Thema seit 2013 in den Medien in
mehr oder weniger emotionalisierter Form behandelt wird – und warum immer nur EIN
Aspekt von Wirklichkeit zum Tragen kommt. Niemandem fällt auf, dass es sich hier um
einen Stellvertreterkrieg handelt, der auf Kosten von allen Frauen geführt wird. Ein
Stellvertreterkrieg, der in perfider Weise von den skandalösen Verhältnissen in der
neoliberalen, kapitalistischen Gesellschaft ablenkt. Denn letzten Endes profitieren wir alle
von Ausbeutung und Menschenhandel.
Wir wissen, dass sich die emotional und moralisierend geführte Debatte seit Herbst 2013
in der Öffentlichkeit in einer ebenso unangemessenen wie penetranten Form breit macht.
Aber warum ist das so?
Die „Überarbeitung“ des Prostitutionsgesetzes von 2002 war bereits Inhalt des
Koalitionsvertrages der Groko 2013 – denn die CDU/CSU war schon immer gegen eine
Liberalisierung des Prostitutionsgesetzes gewesen. Entsprechende Initiativen gab es
bereits im Jahr 2007, diese wurden aber damals im Bundestag gekippt. Im Juni 2013 legte
dann die Koalition von CDU,CSU und FDP einen neuen, ebenfalls restiktiven
Gesetzesentwurf vor, in dem – genau wie in der Initiative der CDU von 2007 – die
unzulässige Gleichsetzung „Prositution = Menschenhandel“ vollzogen wurde.
In die Öffentlichkeit kam das Thema dann im Herbst 2013 durch das Buch von Alice
Schwarzer und den von ihr angestoßenen „Apell gegen Prostitution“ .
Jeder, der weiß, dass Schwarzer der CDU nahesteht, wird unschwer den Zusammenhang
erkennen.
Und jeder weiß, wie unsachlich und emotional die Debatte seitdem geführt wird , wie
lebensfremd und ideologiebelastet die Debatte ist und wie wenig Bereitschaft besteht,
Fakten anzuerkennen, die ausserhalb des eigenen ideologischen Horizonts liegen.
Und leider bilden linke Feministinnen hierbei keine Ausnahme – offensichtlich merken sie
nicht einmal, wie sehr sie sich zu Handlangerinnen rechtskonservativer und
rechtspopulistischer Kreise machen. Ich kann das an bestimmten Beispielen belegen.
1. „Links“feministinnen tradieren mehr oder weniger unreflektiert
rechtspopulistische Parolen wie die von „Deutschland , dem Puff Europas“ (ich
verkneife mir bewusst den Ausdruck „hirnloses Nachgeplapper“) .
Ebenso unreflektiert wird die in rechtskonservativen Kreisen übliche unredliche
Gleichsetzung „Prostitution = Menschenhandel“ übernommen.
2. (Links)feministinnen haben häufig eine Art, Sexualität zu betrachten, die ihre
Wurzeln noch im 19. Jahrhundert hat.
Tenor: eine anständige Frau hat keine sexuellen Bedürfnisse, Sexualiät zwischen Frau
und Mann ist nur möglich als Gewaltakt und Sex gegen Entgelt eine Form von
Vergewaltigung. In logischer Folge kann die Prosituierte oder Sexarbeiterin nur als „Opfer“
betrachtet werden. Aber : wenn ich eine Person ausschließlich als Opfer betrachte, dann
entmündige ich sie. Das ist anti-emanzipatorisch.
1Ebenso häufig ist das Argument, dass eine Frau, die freiwillig der Prostitution nachgeht ,
„psychisch krank“ sein muss. Geradezu musterhaft ist in diesem Zusammenhang die
Äußerung einer „Abolitionistin“ die in ihrem Blog folgendes schreibt: „.... Hobbynutten
...nutzen das Einzugsgebiet der Prostitution ... um ihre Sexsucht
auszuleben“
(das Weblog wurde mittlerweile entfernt...d.V.)
Unbeschadet der Tatsache, dass die Verfasserin in diesem Zusammenhang den
pejorativen Begriff „Nutte“ verwendet, was meines Erachtens schon per se eine
Unverschämtheit ist – scheint die Auffassung von Johann Gottlieb Fichte durch, nach der
das „normal empfindende“ Weib überhaupt keinen Geschlechtstrieb hat und somit
Sexualität allenfalls als passiv Erduldende, wenn nicht gar Erleidende erlebt – andernfalls
liegt ein psychischer Defekt vor („Sexsucht“).
Hier wird allen Frauen pauschal das Recht auf Sexualität abgesprochen – unter dem
Deckmäntelchen der Emanzipation! Genossin, Du hast Verspätung!
3. Der („Links“-)feminismus ist anti-emanzipatorisch, autoritär , dogmatisch und
paternalistisch.
Gängige Haltung im („links“-) feministischen Lager: „Was Feminismus ist, bestimmen
WIR“.
Da gab es zum Beispiel im Frühjahr 2015 den Plan für ein Seminar mit dem Titel
„Feminismus in High Heels“, geplant von Mitglieder*innen des Berufsverbandes
erotische und sexuelle Dienstleistungen, unter anderem einer Transgenderfrau . Dieses
Seminar unterblieb, weil der Bildungsträger, in dessen Räumen es stattfinden sollte, mit
einem solchen Shitstorm aus feministisch-abolitionistischen Kreisen eingedeckt wurde,
dass er es als unmöglich erachtete, das Seminar stattfinden zu lassen. Offensichtlich
gefiel es manchen Leuten nicht, dass jemand anders als sie selbst die
Deutungshoheit für den Feminismus-Begriff beanspuchte.
Ebenso bezeichnend die Haltung gegenüber der Resolution von Amnesty International
zum Thema „Prositution“. Als diese Resolution, die bezeichnenderweise in der
DEUTSCHEN Sektion mit dem Mäntelchen der Nächstenliebe zugedeckt wurde, erschien,
kommentierte „Die Welt“ ebenso unverschämt wie unreflektiert: „Amnesty International
hilft den Zuhältern“.
Und es hat innerhalb des feministisch-aboltionistischen Lagers etliche gegeben, die so
schamlos waren, diese Unverschämtheit unreflektiert zu übernehmen.
Dass es in der Resolution vor allem um die Länder geht, in denen Prosituierte nach einem
Outing nicht „nur“ ihr Ansehen in der „bürgerlichen“ Gesellschaft oder ihre materielle
Existenzgrundlage aufs Spiel setzen, sondern ihr Leben riskieren, weil sie z.B. gesteinigt
werden – das ist dem bornierten und eurozentristischen Weltbild der selbst ernannten
Abolitionistenvon Rechts UND Links total entgangen.
4. der („Links-“) feminismus ist betriebsblind , argumentationsresistent und
lebensfern.
Alles, was nicht der in bürgerlich-reaktionären Kreisen üblichen Putophobie
(Hurenfeindlichkeit) frönt, vielleicht gar – Gottbehüte – der Auffassung ist, dass Sexarbeit
eine Dienstleistung ist und keine Sklaverei, wird pauschal als „Handlanger der
Sexindustrie“, „Mitglied der Zuhälterlobby“ etc. bezeichnet – egal ob es sich um die
Vertreter*innen von Beratungsstellen handelt, die in unmittelbarem Kontakt mit
2Sexarbeiterinnen stehen, oder um Frauen, die diesen Job freiwillig und selbstbestimmt
ausüben.
Dabei ist es den Eiferern offensichtlich total entgangen, dass der Unterschied zwischen
dem Betreiber eines Großbordells und einer frei arbeitenden Hure, die sich mit mehreren
Kolleginnen eine Wohnung mietet um dort auf genossenschaftlicher Basis zu arbeiten,
genau so groß ist wie der Unterschied zwischen einem Lebensmitteldiscounter und dem
Tante Emma Laden an der Ecke, zwischen einer Großbäckerei und einem selbständig
arbeitenden mittelständischen Bäcker oder zwischen McDonalds und dem bürgerlichen
Speiselokal.
In jedem Fall ist der Vertreter des Monopols der geschworene Feind kleiner Stukturen –
und es ist genau diese Zuhälterlobby, der das Ministerium Schwesig in guter neoliberaler
Manier Zuarbeit leistet. Denn wenn demnächst kleine Wohnungsbordelle unter dem
Deckmäntelchen des Baurechts dicht gemacht werden, haben die dort arbeitenden Frauen
nur die Möglichkeit, sich an einen Monopolisten auszuliefern – sofern sie nicht in den
Untergrund gehen wollen.
Aber die wertneutrale Betrachtung des Gewerbezweigs „Prostitution“ bzw. „Sexarbeit“
unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist den Sexarbeitsgegner*innen genau
so fremd, wie der Blick über den eigenen Tellerrand, wenn es darum geht, die
gesellschaftliche Realität außerhalb der ideologisierten Sichtweise in den Blick zu
nehmen:
Faktum ist:
a) Ein Gesetz zur „Regulierung von Prostitution ist überflüssig wie ein Kropf. Alles, was in
diesem Bereich einer genauen Prüfung und gegebenenfalls auch Reglementierung
unterzogen werden muss, kann schon jetzt mit dem vorhandenen juristischen
Instrumentarium erledigt werden.
• Schon jetzt hat die Polizei jederzeit und ohne Ankündigung das Recht, in als
Prostitutionsstätten ausgewiesenen Betrieben Razzia zu machen – und macht auch gern
und häufig Gebrauch davon.
Wenn in Zukunft -und und hier werden Datenschützer hellhörig – schon auf den
bloßen Verdacht der Ausübung von Prostitution hin in jeder Privatwohnung Razzia
gemacht werden kann, dann ist das ein Angriff auf bürgerliche Freiheitsrechte – nämlich
das Aushebeln der Unverletzbarkeit der Wohnung auf kaltem Wege. Deshalb ist
Schwesings Gesetzesentwurf bei der diesjährigen Verleihung des „Big Brother Award“
vom Verein „Netzcourage“ öffentlich gerügt worden.
Und was sagen dazu die Sexarbeitsgegner*innern von Rechts bis Links? NICHTS!
• Schwarzarbeit kann immer und jederzeit durch entsprechende Razzien seitens des
Zollamtes festgestellt werden – so wie Großbaustellen überprüft werden, kann man auch
Bordellbetriebe überprüfen. Für alles andere gibt es bereits jetzt die einschlägigen
Paragraphen im Strafgesetzbuch:
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung vgl. §232 StgB
Zuhälterei vgl. §181a StgB
Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung vgl.§177 StgB...
b) Opfern von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung wäre wesentlich besser
gedient mit einem verbesserten Opferschutzgesetz, das den Frauen, die bereit sind, in
einem Prozess gegen ihre Peiniger auszusagen, ein unbegrenztes Bleiberecht garantiert
3– verbunden mit der Möglichkeit des Identitätswechsels und einer WIRKLICH
FUNDIERTEN Ausstiegsberatung.
Wenn man aber in Diskussionen unter („Links“-)feministinnen auf diesen Tatbestand
hinweist, kommt allenfalls die Entgegnung, „das betreffe ja das Asylrecht und sei hier nicht
Thema...“ (sic!)
c)
Auch die Tatsache, dass Sexarbeit ungeheuer vielfältig ist, wird von den Eiferern
geflissentlich ignoriert. Sie haben nur die Frauen von Straßenstrich und Laufhaus im Blick,
ignorieren aber die Frauen, die vor der Webcam arbeiten, Telefonsex anbieten oder in
Pronofilmen mitwirken.
Auch die Bereiche Sexualassistenz, Tantra-Massage und Dominanz werden geflissentlich
übersehen. Die frei arbeitende Domina kommt – wenn überhaupt – nur als „Vertreterin der
Zuhälterlobby“ vor. Kunststück – eine Domina wird sich auch dagegen verwahren, als
„Opfer“ bezeichnet und entmündigt zu werden, genauso wie eine Sexualassistentin, eine
Tantramasseurin oder eine Escort, die im Hochpreissegment arbeitet.
DIESE Frauen, die sich nicht übersehen lassen und teilweise äußerst handfest auf ihre
Existenz hinweisen, werden kurzerhand pauschal als „psychisch krank“ oder als
„Handlanger der Zuhälterlobby“ abqualifiziert und als „nicht repräsentativ“ marginalisiert
(denn sie können ja lesen, schreiben und selber denken...).
Aber DAS gehört schon seit Beginn der Debatte zu den Tricks rechtskonservativer Politik –
und wird ebenfalls unreflektiert übernommen.
Alles in allem bietet sich hier ein desaströses Bild, eine unheilige Allianz von Eiferern, die
in keiner Weise zu einer sachlichen Lösung des Problems beitragen. Denn: niemand
streitet ab, dass es in der Sexarbeit Ausbeutung und Misshandlungen übelster Art gibt und
dass Frauen und Mädchen die unter entwürdigenden Umständen arbeiten jede verfügbare
Hilfe brauchen, um sich daraus zu befreien. Aber das wird nicht erreicht durch total
überflüssige Reglementierungen und die Verbannung der Sexarbeit in den Untergrund.
Nur durch gesellschaftliche Akzeptanz und die Anerkennung als freiberuflicher Tätigkeit ,
durch das Herausholen aus der Grauzone lässt sich dieses Problem lösen.
In dem Augenblick, in dem Sexarbeit kein Tabuthema mehr ist und die Hure nicht mehr
gesellschaftlich stigmatisiert wird, die Situation der Huren also generell verbessert wird,
lassen sich diese Probleme langfristig lösten. Und NATÜRLICH ist es machbar – bei den
Schwulen hats ja schliesslich AUCH geklappt!
Also: Sexarbeiter*innen brauchen das offziell anerkannte Recht auf Organisation in einem
Berufsverband, mit allen Pflichten wie zum Beispiel der Pflicht zu Weiterbildung und dem
Einhalten von Qualitätsstandards , einer allgemein geltenden Gebührenordnung und einer
Besteuerung, wie sie für andere freiberufliche Tätigkeiten wie z.B. Heilpraktiker und
Therapeuten gilt. Unter SOLCHEN Prämissen ist die Registrierung über den
Berufsverband durchaus sinnvoll. Aber auch NUR dann!
Im Gegenzug ist die Aufhebung der Sondersteuern zu fordern, die zur Zeit in jeder
Kommune nach dem Gutdünken des Kämmerers erhoben werden kann und die
Sperrbezirksverordnungen haben zu verschwinden, denn sie bedeuten die Enschränkung
der Gewerbefreiheit. Das klappt in Berlin im übrigen schon seit Jahrzehnten. Und last but
not least sollte für die Sexarbeit genau wie für alle anderen Wirtschaftszweige das
Gewerberecht gelten – und nicht das Polizeirecht.
Damit wäre schon viel gewonnen, um das Gewerbe langfristig aus der Grauzone
herauszuholen – aber DAS ist politisch nicht gewollt, denn
4In der Debatte um die Prostitution agiert die Beaugeoisie ihr latent vorhandenes
schlechtes Gewissen aus.
Wir alle profitieren mehr oder weniger von Ausbeutung und Menschenhandel - schon bei
der Nutzung eines PCs oder eines Smartphones (oder wollen wir immer und in jeder
Situation daran erinnert werden, unter welchen Umständen die Rohstoffe gefördert und
wie und unter welchen Produktionsbedingungen die Mikrochips hergestellt werden?)
Etliche der finanziell gut situierten Mittelstandsdamen, die öffentlich Krokodilstränen
vergießen über die „armen Sexsklavinnen aus Südosteuropa“ , die die Social Communities
mit sehr merkwürdigen Vorstellungen über die Arbeit einer Hure zuspammen – wobei ich
mich immer frage, woher die Verfasserinnen ihre profunden Detailkanntnisse haben –
beschäftigen eine Putzhilfe, die sich „illegal“ in Deutschland aufhält und setzen sichnach
vollbrachter Tat am PC in ihren SUV, fahren Shopping zu KIK, um sich dort mit dem
neuesten Chic made in Bangladesh einzudecken – und beim Wochenendeinkauf kann es
an der Fleischtheke im Supermarkt AUCH nicht billig genug sein.
Aber freilich: um HIER konkret gegen Misstände vorzugehen, muss man verdammt dicke
Bretter bohren. Einfach nur in wohlfeiler sittlicher Entrüstung machen, reicht DA nicht aus.
Hier bietet sich die Diskussion über Sexarbeit als Stellvertreterkrieg an.
Fazit : Eine Diskussion über Sexarbeit muss geführt werden ohne ideologische
Vernebelung und in dem Bewusstsein, dass sie ein Stellvertreterkrieg ist, mit dem
von den wirklichen Skandalen in unserer Gesellschaft abgelenkt wird. Und die heißen
immer noch: Neoliberalismus, Austeritätspolitik und Hartz IV.