(Verkürzte) Kapitalismuskritik, Systemkrise, Gefahren
Es ist schon wirklich erstaunlich, wie viele unterschiedliche Gruppierung mittlerweile den Kapitalismus berechtigterweise kritisieren bzw. bereits kritisierten!
Heutzutage sind das dann nicht nur Mitglieder der Partei: „Die Linke“, sondern auch Leute wie:
Heiner Geißler ( "Jeder vernünftige Mensch muss heute Kapitalismuskritik üben" - Die Linke Sahra Wagenknecht und der Christdemokrat Heiner Geißler streiten über die Frage, ob und wie der wild gewordene Kapitalismus abzuschaffen ist:
http://www.tagesspiegel.de/p … muskritik-ueben/5971566.html ) aber auch Leute wie: Norbert Blüm, Jean Ziegler, , Stéphane Hessel, David Precht, Robert Kurz (nach Robert Kurz beinhaltet eine zeitgemäße Kapitalismuskritik heute im Wesentlichen drei Bereiche: - Kritik der abstrakten Arbeit (siehe Manifest gegen die Arbeit) ; - Kritik der Warenproduktion (siehe auch: Waren- und Geldfetisch) ; - Kritik des geschlechtlichen Abspaltungsverhältnisses (z.B. Haushalt etc., was zu einer Doppelbelastung der Frauen führt), Roswitha Scholz (Roswitha Scholz wagt den Versuch, angesichts zunehmender Krisenerscheinungen einen neuen theoretischen Ansatz zur Analyse des Geschlechterverhältnisses zu formulieren, in dessen Zentrum das Theorem der "Wert-Abspaltung" steht. Damit ist gemeint, dass die sozialhistorischen Zuschreibungen des "Weiblichen" ? von Hausarbeit, Kindererziehung bis zur emotionalen Zuwendung ? einen von der kapitalistischen Verwertungslogik abgespaltenen Bereich der gesellschaftlichen Reproduktion bilden, der gleichzeitig eine "stumme" Bedingung und Voraussetzung der modernen Gesellschaften ist. Roswitha Scholz setzt sich auch kritisch mit den linksfeministischen Theorien der letzten zwanzig Jahre im deutschsprachigen Raum auseinander und zeigt deren Defizite vor dem Hintergrund eines neuen Marx-Verständnisses auf.), der ehemalige Papst Johannes Paul II., aber auch Papst Benedictus PP. XVI, dann natürlich Karl Marx, Rosa Luxemburg und viele, viele mehr kritisieren bzw. kritisierten den Kapitalismus.
Die katholische Kirche bspw. legte in der Enzyklika „Rerum Novarum“ die Grundlagen der katholische Soziallehre fest.
Schon 1889 sprach Papst Leo XIII. von dem „sklavenähnlichen Joch, das die Besitzer von Produktionsmitteln den Arbeitern auferlegt haben“.
Die Enzyklika „Mater et Magistra“ (1961) strebte eine politische und wirtschaftliche Ordnung an, durch die soziale Gegensätze überwunden werden sollten. Privatinitiative und wirtschaftspolitische Aktivitäten des Staates sollten zusammenwirken. Die Eigentumsfrage wird in der Entwicklungsenzyklika „Populorum Progressio“ (1967) von Papst Pauls VI. behandelt: „Das Privateigentum ist also für niemand ein unbedingtes und unumschränktes Recht. Niemand ist berechtigt, einen Überfluß ausschließlich für sich zu gebrauchen, wenn anderen das Notwendigste fehlt.... Das Gemeinwohl verlangt deshalb manchmal seine Enteignung, wenn ein Besitz wegen seiner Größe, seiner geringen oder unterlassenen Nutzung; wegen des Elends, das die Bevölkerung durch ihn erfährt... dem Gemeinwohl hemmend im Wege steht...“
Und im Islam werden bspw. Bankgeschäfte in Übereinstimmung mit dem islamischen Recht (das Verbot, Zins (riba) zu zahlen oder zu nehmen, weil es nicht mit einer Arbeitsleistung verbunden ist. Zur Umgehung des Zinsverbotes wird eine Vielzahl von anderen Geschäftsformen praktiziert, z.B. mit Beteiligung und Leasing oder es werden „Bearbeitungsgebühren“ genommen) ausgeübt.
Vergl. hierzu:
http://www.wirtschaftslexiko … alismuskritik-religioese.htm
Aber auch Sozialpolitiker fordern eine stärkere „Umverteilung“ der geschaffenen Werte und die stärkere „Reformierung“ des Kapitalismus. Ziel ist es. den Kapitalismus zu „zähmen“, zu gestalten und dadurch zu verändern. Sie gehen davon aus, dass die Ausbeutung abgenommen hat und wir nicht mehr in einer Klassengesellschaft, sondern in einer „Spätkapitalistischen“ Gesellschaft oder auch Informationsgesellschaft oder Mediengesellschaft leben und dass nicht mehr die Kapitalistinnen, sondern die Manager, in Einvernehmen mit den Politikern (die Macher), die Macht haben.
Vergl. hierzu:
http://www.wirtschaftslexiko … itik-sozialdemokratische.htm
Sogar die Nationalsozialisten forderten die „Brechung der Zinsknechtschaft“.
Gottfried Feder gilt als wichtiger Wirtschaftstheoretiker der NSDAP, seine Veröffentlichungen werden in Adolf Hitlers Mein Kampf lobend erwähnt. Feders wirtschaftspolitische Vorstellungen fanden 1920 Eingang in das 25-Punkte-Programm der NSDAP. Unter Punkt 11 wurden hier die „Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens, Brechung der Zinsknechtschaft“ gefordert.
Wie zynisch zumindest an der Spitze die Programmgrundsätze missachtet wurden, erfuhr einer der jungen enthusiastischen Überläufer zur Partei im Gespräch mit Goebbels; auf die Bemerkung, dass Feders Brechung der Zinsknechtschaft doch ein Element des Sozialismus enthalte, bekam er zur Antwort, brechen müsse höchstens der, der diesen Unsinn anhöre.“
– Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie. S. 393
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Feders Arbeiten, darunter sein Hauptwerk Kampf gegen die Hochfinanz, von rechtsextremen Verlagen und Antiquariaten vertrieben, aber nur gelegentlich in der rechtsextremen Szene rezipiert. Im Zusammenhang mit der Wandlung weiter Teile der extremen Rechten hin zu einer antikapitalistischen Ausrichtung etwa seit der Jahrtausendwende wurde Feder insbesondere von Neonazis als „Wirtschaftsreformer“ und Repräsentant einer antikapitalistischen Strömung in der NSDAP „wiederentdeckt“.
Vergl. hierzu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Brechung_der_Zinsknechtschaft
Heutzutage üben auch einige Nichtregierungsorganisation wie z.B. Attac, Occupy Wall Street Kapitalismuskritik!
Seltsamerweise werden (wurden) von den unterschiedlichsten Gruppierungen nur gewisse Bestandteile eines kapitalistischen Systems kritisiert – nicht aber das ganze System (der Kapitalismus als solches – mit ein paar Ausnahmen natürlich: Einige Politiker der Partei „Die Linke“, die Anarchisten und natürlich auch (einst) Karl Marx – vergl. hierzu:
http://www.wirtschaftslexiko … ismuskritik-marxistische.htm ).
Und warum der Kapitalismus als solches ein Problem darstellt, soll durch nachfolgende Erläuterungen noch einmal veranschaulicht werden:
Der Kapitalismus ist eine durch das Kapital dominierte prozesshafte Gesellschaftsordnung, die sich als Warengesellschaft manifestiert. Die Prozesshaftigkeit zeigt sich dadurch, daß sämtliche gesellschaftlichen Beziehungen schrittweise der Beurteilung durch ein Kapitalverhältnis untergeordnet werden. Basis dieser Beurteilung bildet ein imaginärer Wert, der sich als Abstraktion unseres Bewußtseins darstellt. ("Es muss sich rechnen...") In diesem Sinne ist Kapitalismus nicht nur eine Wirtschaftsform, sondern auch eine strukturelle Herrschaftsform, weil er die Menschen (zum Zwecke des Lebenserhalts) in ein Abhängigkeitsverhältnis zwingt, woraus sich auch die Antagonie des Anarcho-Kapitalismus ergibt.
Es ist ein Irrglaube anzunehmen, daß Kapitalismus nur dort stattfindet, wo schlechte Arbeitsbedingungen herrschen und hohe Profite erzielt werden, dies führt automatisch zu verkürzter Kapitalismuskritik. Der kapitalistische Verwertungskreislauf findet überall dort statt, wo Güter als Waren gehandelt werden (entsprechend gibt es auch keine "Marktwirtschaft ohne Kapitalismus"), wobei Mensch sich dies auch als Formel Ware = Gut + Wert vorstellen kann. An diesem Punkt setzt die Wertkritik an.
Vergl. hierzu:
http://deu.anarchopedia.org/Kapitalismus
Mit dem Kapitalismus ist dann natürlich auch der Warenfetisch verbunden.
Die Rede vom ”Warenfetisch” besitzt inzwischen eine gewisse Verbreitung, doch wird nicht immer das darunter verstanden, was Marx im ”Kapital” anspricht. Marx meint mit Warenfetisch keineswegs, dass den Menschen im Kapitalismus der Konsum zu wichtig sei, oder dass sie aus dem Besitz bestimmter Waren, die als Statussymbole dienen, einen Fetisch machen würden. Es geht auch nicht um einen Markenfetischismus. Der letzte Abschnitt des ersten Kapitels des ”Kapital” trägt aber den Titel ”Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis”. Hinter dem Besitz teurer Waren als Statussymbol steckt kein ”Geheimnis”, das erst noch zu entschlüsseln wäre.
Vergl. hierzu:
http://deu.anarchopedia.org/Waren-_und_Geldfetisch
Wer also meint, dass es reicht, nur das Finanzsystem zu reglementierten, oder, dass es einfach nur nötig sei Reichtum umzuverteilen, bekämpft die Auswirkungen aber nicht die eigentliche Ursache!
Dies führt dann unweigerlich zu einer verkürzten Kapitalismuskritik!
Mit verkürzter Kapitalismuskritik ist eine Kritik am kapitalistischen System gemeint die nur die oberflächlichen Erscheinungen dieses Systems kritisiert und daraus meist grob falsche "Lösungen" ableitet. Mit den in letzter Zeit für immer mehr Menschen augenscheinlich werdenden Problemen des Kapitalismus wird auch die Verkürzte Kapitalismuskritik zum Problem. Ohne eingehende Analyse suchen die Menschen nach schnellen Lösungen und eingehenden Erklärungsmustern. Gerade rechte PopulistInnen greifen daher gerne auf verkürzte Kapitalismuskritik zurück.
Verbreitet Verkürzungen sind heute:
Auf Zins und Finanztransaktionen fokusierte Kritik der dann ein postiv besetzter produktiver Kapitalismus gegenüber gestellt wird.
Eine Kritik, die durch den Kapitalismus vorangetrieben Globalisierung fixiert ist und dieser eine oft nationalistisch und/oder rassistisch untermauerte "lokale, kleinräumige" Wirtschaft und Kultur entgegen stellt.
Eine Kritik die den Kapitalismus nicht als System begreift sondern hinter allen Phänomenen eine bewusste Verschwörung wittert.
Moralisierende Kritik: Kritisiert wird nicht das kapitalistische System sondern die "Gier des Menschen". Würden sich die Menschen nur "moralisch bessern" wäre der Kapitalismus gar nicht mehr so schlimm.
Bei vielen AutorInnen aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum findet sich oft auch eine bunte Mischung aus diesen Verkürzungen.
Zins und Finanz
In der verkürzten Kapitalismuskritik steht die Unterscheidung in negativ besetztes Finanz- und Börsenkapital auf der einen Seite und positiv besetztes Industriekapital auf der anderen Seite im Vordergrund, die an die nationalsozialistische Unterscheidung in "schaffendes" und "raffendes" Kapital nicht nur erinnert. Aber auch Münteferings "Heuschreckenkapitalismus" folgt dieser Logik: Gutes deutsches Kapital und böses ausländisches Kapital. Durch diese Unterscheidung soll die Einheit von Produktion und Zirkulation auseinander gerissen und der Kapitalismus auf die Zirkulationssphäre reduziert werden. Die Warenproduktion, die Produktionsverhältnisse und die Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln spielen keine oder kaum eine Rolle innerhalb dieser verkürzten Kapitalismuskritik. So richtet sich die verkürzte Kapitalismuskritik gegen die Monopolisierung und gegen die Geld- und Zinswirtschaft, die Brechung der "Zinsknechtschaft" gehört deshalb zu ihren Parolen.
Innerhalb der verkürzten Kapitalismuskritik taucht in Deutschland auch immer wieder der Begriff der "jüdischer Nicht-Arbeit" auf. Der Handel mit Waren und Geld war für Luther "jüdische Nicht Arbeit"; Hitler übernahm von Engels den Begriff der "deutschen Arbeit" und des "Deutschen Kommunismus" und heute geht es immer noch darum von "ehrlicher Arbeit" leben zu können.
Eine verkürzte Kapitalismuskritik finden wir bei Pierre Joseph Proudhon, Silvio Gesell und seiner Freiwirtschaftslehre, dem nationalsozialistischen Theoretiker Gottfried Feder und Otto Strasser und dem von Engels übernommenen "Deutschen Sozialismus". Aber auch bei ATTAC und im klassischen Antiimperialismus der 1970er und 1980er Jahre finden sich solche Tendenzen.
Beispiel: Startseite Attac Homepage:
Finanzmärkte demokratisch kontrollieren!
Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte hat versagt: Die befreiten Märkte erzeugen Hunger, Leid und Umweltchaos. Jetzt sind sie drauf und dran, sich selbst hinzurichten.
Höchste Zeit für grundlegende Veränderungen! Attac fordert ein Finanzsystem unter demokratischer Kontrolle und zu sozialen und ökologischen Zwecken. Infos auf Aktionsseite
www.casino-schliessen.de
weiter heißt es auf einer Unterseite dann dazu:
Die aktuelle Krise ist keine Naturkatastrophe. Sie ist die direkte Folge der Gier und der Skrupellosigkeit der Banker und Fondsmanager und vor allem der Tatenlosigkeit der Politik.
Regierung und Parlament haben stillschweigend zugeschaut oder sogar tatkräftig daran mitgewirkt, wie Banken, Fonds und Versicherungen auf ihrer Jagd nach zweistelligen Eigenrenditen immer größere Risiken eingingen,
Geschäftsfelder betraten, in denen sie nichts zu suchen hatten, und Finanzprodukte handelten, die vor allem eins waren: tickende Zeitbomben, die nun große Löcher ins Weltwirtschaftssystem reißen.
Nationalistische Kritik an der Globalisierung
Die vom Kapitalismus vorangetriebene Globalisierung wird nicht wegen des Kapitalismus kritisiert sondern wegen der Globalisierung. Dagen wird kleinräumige, nationale Wirtschaftsformen als Lösung postuliert. Untermauert wird dies meist mit einer Notwendigkeit lokale "Kulturen" zu bewaren und eine "Vermischung" zu verhindern. Spätestens hier wird das ganze meist mehr oder weniger offen rassistisch. Die Nazis konstruierten hier das Bild des "Volkskörpers" der von "fremden Mächten" "ausgesaugt" wurde. Auch hier ist die verkürzte Kapitalismuskritik strukturellen (und oft auch offen) antisemitisch: "Kosmokraten" und "Globalisierer" sind von Nazis benutzte Chifres für "die Juden". Auch die antiimperialistische Kritik setzt oft an dieser Stelle an und baut auf die "nationale Selbstbestimmung" als "Schutz" vor der "imperialistischen Globalisierung".
Verschwörungstheorien
"Just because you're paranoid. Don't mean they're not after you." (Kurt Cobain). Natürlich gibt es Verschwörungen. Wer aber die Kritik am Kapitalismus auf diese reduziert hat das System nicht verstanden. Auch ohne jegliche Verschwörung zwingt uns der Kapitalismus in Rollen (Marx nennt es "Charaktermasken") die wir zu erfüllen haben. Den/die GeschäftsführerIn eines großen Unternehmens, den ManagerInnen, die BörsenbrokerInnen, die Lohnabhängigen, alle erfüllen die ihnen in diesem System aufgezwungene Rolle. Ganz ohne Verschwörung nimmt der Kapitalismus damit seinen ausbeuterischen und zerstörerischen Lauf. Kriege und Ungleichverteilung sind nicht "hinter den Kulissen" geplant sondern logische Konsequenz des Systems. Wer die Logik des Marktes nicht versteht vermutet hinter allem Übel in der Welt sehr schnell eine Verschwörung. "Dunkle Mächte die im Hintergrund die Fäden ziehen." Auch von hier ist es nicht weit zu strukturellem und auch offenem Antisemitismus.
Moralisierende und personalisierende Kritik
Ähnlich den Verschwörungstheorien wird auch hier "menschliches Fehlverhalten" ins Zentrum der Kritik gerückt. Das System wird nicht hinterfragt sondern die "Gier des Menschen" wird als Ursache allen Übels postuliert: Wenn wir nur "nettere Kapitalisten" hätten wäre das alles nicht so schlimm. Anstatt das System zu kritisieren wird gegen Menschen gehetzt und/oder eine "moralische Erneuerung" gefordert.
Vergl. hierzu:
http://deu.anarchopedia.org/verk%C3%BCrzte_Kapitalismuskritik
Kapitalismus in der heutigen Marktwirtschaft
Zum Kapitalismus heute:
Heute kommuniziert der Kapitalismus z.B. mit dem Hugenberg-Spruch "Sozial ist, was Arbeit schafft!"
Wobei dann die Reallöhne nicht mehr steigen, eher sinken, feste Arbeitsplätze in befristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden, über acht Millionen prekäre Beschäftigungsverhältnisse geschaffen wurden (zur Erinnerung: Sozial ist, was Arbeit schafft!), aufgrund von Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen es in der Zukunft sehr viele Rentner geben wird, deren Einkünfte (Renten) nicht höher als das Existenzminimum sein wird, Vermögende immer noch vermögender werden, dass Handelsabkommen geschlossen werden sollen, welche es einigen wenigen Profiteuren ermöglicht noch mehr Profit aus dem System zu generieren, dass es (wieder einmal) zu einer Banken und Finanzkrise kam, dass Kriege geführt werden, dass mit Rohstoffen (Lebensmitteln) spekuliert wird – was zwangsläufig zur Preissteigerung führt …!
Einer der Mythen der Ökonomie ist, dass die Märkte rational sind, schreibt der US-Ökonom Paul Craig Roberts. Die Reaktion des Marktes auf die Aussage der Federal Reserve vom 19. Juni, dass sie ihre Anleihekäufe auslaufen lässt, wenn ihre dahinterstehende Prognose wahr würde, ist ein gar zu eindeutiger Beweis, dass die Märkte irrational sind, so Paul Craig Roberts.
Paul Craig Roberts hat in der Wissenschaft, im Journalismus und dem öffentlichen Dienst gearbeitet. Er studierte am Georgia Institute of Technology (BS), der University of Virginia (Ph.D.), der University of California in Berkeley und an der Universität Oxford, wo er Mitglied des Merton College war. Er war Mitherausgeber und Kolumnist des Wall Street Journal und Kolumnist für Business Week und dem Scripps Howard News Service. Im Jahr 1992 erhielt er den Warren Brookes Award for Excellence in Journalism. Während seiner Zeit im öffentlichen Dienst war er Staatssekretär des US-Finanzministeriums in den frühen 1980er Jahren. Im Januar 1982 trat er zurück, um der erste Inhaber des William E. Simon-Lehrstuhls am Center for Strategic and International Studies an der Georgetown University zu werden. Er hielt diese Position bis 1993. Er war ein Distinguished Fellow am Cato Institute von 1993 bis 1996 und ein Senior Research Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.
Ferner ist er der Autor / Co-Autor zahlreicher Bücher, darunter “How the Economy Was Lost: The War of the Worlds“ (CounterPunch/AK Press), und zuletzt “The Failure of Laissez Faire Capitalism and Economic Dissolution of the West” (Atwell Publishing). Er hat u. a. Aufsätze veröffentlicht in Journal of Political Economy, Oxford Economic Papers, Journal of Law and Economics, Studies in Banking and Finance, Journal of Monetary Economics, Public Finance Quarterly. Des Weiteren ist er Mitglied der Französischen Ehrenlegion, und er wird im Who’s Who in America und Who’s Who in the World gelistet.
Chris Floyd, der Autor von “Empire Burlesque“, schrieb über Dr. Roberts:
“I must say there are few people out there today speaking truth about power with the unblinking, unvarnished ferocity of Roberts. (And as I’ve noted here before, it is speaking truth about power — not the old cliché of ‘speaking truth to power’ — that we so desperately need. There’s no point in speaking truth to power — power already knows the truth of its monstrous crimes, and it doesn’t give a damn.) Time and again, I’ve started to write a post about some outrage only to find that Roberts has already been there, laying into the issue with a flaming brand.“
Offizielle website:
http://www.paulcraigroberts.org/
Der Mythos von den rationalen Märkten
von Paul Craig Roberts
Einer der Mythen der Ökonomie ist, dass die Märkte rational sind. Auf dieser Annahme basieren Theorien, und der Glaube, dass die Märkte rational sind, befeuert das Argument gegen die Regulierung. Die Reaktion des Marktes auf die Aussage der Federal Reserve vom 19. Juni, dass sie ihre Anleihekäufe auslaufen lässt, wenn ihre Prognose wahr würde, ist ein eindeutiger Beweis, dass die Märkte irrational sind.
Die Aussage der Federal Reserve, dass sie “derzeit davon ausgeht, dass es angemessen wäre, das Tempo der monatlichen Käufe [von Anleihen] noch in diesem Jahr zu mäßigen”, hängt von einem sehr großen Wenn ab. Das Wenn besteht in der Richtigkeit der Fed-Prognose eines moderaten Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums.
Die Fed hat nicht aufgehört, Anleihen im Wert von $85 Milliarden pro Monat aufzukaufen. Also hat sich nichts Wirkliches geändert. Tatsächlich gab es keine neuen Informationen in der Fed-Erklärung. Es ist seit einiger Zeit bekannt gewesen, dass laut der Fed die Käufe von Anleihen allmählich aufhören werden.
Als Reaktion auf diese Wiederholung alter Informationen wurde an den Aktien- und Rentenmärkten am 19. – 20. Juni im großen Stil verkauft. Diese Reaktion des Marktes auf die Fed-Erklärung legt nahe, dass die Fed-Prognose wahrscheinlich nicht wahr werden wird. Niedrige Zinsen und ein hoher Börsenmarkt sind völlig abhängig von der Liquidität, die die Fed durch $ 1.000 Milliarden gedruckten Geldes pro Jahr injiziert. Wenn diese Liquidität nicht injiziert würde, was würde die Märkte stützen? Wenn die Märkte abstürzen und die Zinsen steigen, wie kann die Fed eine Erholung erwarten?
In anderen Worten, die Teilnehmer an den Aktien- und Rentenmärkten wissen, dass die Märkte Blasen sind, die durch die Druckerpressen erschaffen wurden. Es gibt keine wirkliche Grundlage für die hohen Preise an den Aktien- und Rentenmärkten. Die Preise sind eine künstliche Realität der Druckerpressen. Rationale Märkte würden das Druckerpressen-Element berücksichtigen und Aktien und Anleihen zu einem viel niedrigeren Preisniveau handeln.
Realzinsen von null Prozent bedeuten, dass es keine Risiken gibt. Wie aber kann es kein Risiko in Staatsanleihen geben, wenn die Schulden schneller wachsen als die Wirtschaft?
Normalerweise bedeuten hohe Aktienwerte starke Gewinne durch ein starkes Wachstum der Verbrauchereinkommen und der Einzelhandelsumsätze. Wir wissen jedoch, dass es kein Wachstum der realen mittleren Familieneinkommen und der realen Einzelhandelsumsätze gegeben hat.
Ich vermute, dass der Grund für die Fed, die Ankündigung abzugeben, darin bestand, den Druck, der auf dem US-Dollar lastet, wegzunehmen. Seit einigen Jahren hat die Fed 1000 Milliarden Dollar jedes Jahr neu gedruckt. Es gibt keine Nachfrage nach diesen Dollar. Bislang haben diese Dollar nur die Aktien- und Rentenmarktpreise, statt die Verbraucherpreise aufgeblasen. Aber die Auswirkungen auf den Dollar-Preis oder den Tauschwert an den Devisenmärkten ist klar. Das Angebot erfolgt schneller als der Bedarf zunimmt. Wenn der Dollar schwankt, würde die Fed die Kontrolle verlieren. Steigende Einfuhrpreise würden die inländische Inflation und die Zinsen weit höher steigen lassen, als es den Fed-Zielen entspricht.
Washington ist es gelungen, Japan und die EU dahin zu bringen, Yen und Euro zu drucken, um die Wahrscheinlichkeit der Flucht in andere große Währungsalternativen zum Dollar zu beseitigen. Kleinere Länder mussten ebenso mehr drucken, um ihre Exportmärkte zu schützen. Mit so vielen Ländern, die Geld drucken, lässt die Fed-Aussage, welche implizierte, dass die USA möglicherweise mit dem Drucken aufhören, den Dollar gut aussehen, und in der Tat stieg der Dollar an den Devisenmärkten.
Nachdem die Bedrohung der Währungsalternativen für den Dollar neutralisiert worden ist, arbeiten die Fed und ihre Agenten, die Bullion-Banken, noch immer gegen die Gold- und Silber-Bedrohungen für den Dollar an. Massive Leerverkäufe beim Gold begannen Anfang April. Auch am 20. Juni wurden massive Shorts zu einem gewählten Tageszeitpunkt verkauft, um den Preisverfall zu maximieren. Nur diejenigen, deren Absicht eine Senkung des Preises ist, verkaufen auf diese Weise.
Seitdem QE begann, hat die Fed die Rentner an Zinserträgen beraubt und sie gezwungen, ihr Kapital auszugeben, um für den Lebensunterhalt zu zahlen. Geht man von der ersten Reaktion des Marktes aus, wird die jüngste politische Ankündigung der Fed Anleihe-, Aktien- und Immobilien-Investoren negativ beeinflussen, und die Manipulation der Goldbarrenmärkte wird weiterhin Vermögenszerstörung in dem einzigen bekannten Zufluchtsort für Vermögenssicherung anrichten.
Wie kann eine Erholung stattfinden, wenn die Fed Vermögen zerstört?
Das irrationale Verhalten der Fed könnte als rational betrachtet werden, wenn die Annahme die ist, dass die Absicht der Fed nicht darin besteht, die Wirtschaft zu retten, sondern in der Rettung der Banken. Indem sich die Fed auf die Rettung der “Too big to fail“-Banken verpflichtet, ist es wahrscheinlich, dass die Banken von den Fed-Ankündigungen im Voraus wissen. Mit Insider-Informationen wissen die Banken dann genau, wann sie bei den Aktien-, Renten- und Goldmärkten short gehen müssen. Die Banken machen Milliarden mit den Insider-Informationen. Die gemachten Milliarden helfen dabei, die Bankbilanzen wiederherzustellen.
Guy Lawsons Buch “Octopus“ (2012) zeigt, dass das Front-Running auf der Grundlage von Insider-Informationen seit jeher die Quelle finanziellen Vermögens ist. (1) Um die Banken zu retten, liefert nun die Fed die Insider-Informationen.
Wie wird sich das wohl ausspielen? Ich vermute, dass die Erholung, obwohl es offiziell eine schwache ist, nicht wirklich existiert. Doch dank statistischer Artefakte, die die Inflation und Arbeitslosigkeit unterbewerten und das BIP-Wachstum überbewerten, denken die Fed und die Märkte, dass eine Art Erholung im Schwange wäre und das beispiellose Gelddrucken durch die US-Notenbank bei der Verlagerung der Wirtschaft in den höchsten Gang erfolgreich sei.
Nichts dergleichen wird wahrscheinlich geschehen. Stattdessen wird, indem das Jahr 2013 fortschreitet, ein weiterer Abschwung durch die orchestrierten Statistiken sichtbar werden. Dieses Mal wird die Fed das gedruckte Geld an den Banken vorbei direkt in die Wirtschaft pumpen müssen, und dann wird die Inflation explodieren. Der Dollar wird kollabieren, und die Einfuhrpreise – indem die Globalisierung aus den USA eine Import-abhängige Wirtschaft gemacht hat – werden eine hohe Inflation in eine Hyperinflation verwandeln. Störungen bei bei den Nahrungsmittel- und Energie-Lieferungen werden weit verbreitet sein, und eine entwertete Währung wird nicht mehr als Mittel der Wechselkurse verwendet werden.
Ich würde mein Leben nicht auf dieser Vorhersage verwetten, aber ich denke, sie ist so wahrscheinlich wie die Fed-Vorhersage einer vollständigen Genesung, die der Fed die Einstellung ihrer Käufe von Anleihen und des Geld-Druckens bis Juni 2014 ermöglichen würde.
Die Amerikaner, die seit den späten 1940er Jahren ganz oben in der Welt gewesen sind, sind auf die Anpassungen, die sie wahrscheinlich tätigen müssen, nicht vorbereitet. Noch ist es ihre Regierung.
Anmerkung:
(1) Beim sogenannten Front Running nutzen Börsenmakler und -händler vertrauliche Informationen über bevorstehende Kundentransaktionen im Vorhinein zum eigenen Vorteil aus, während sie zugleich den Preis zum Nachteil ihrer Kunden ändern. Beispielsweise handelt es sich um Front Running, wenn ein Makler auf eigene Rechnung einen Vermögenswert kauft, bevor er eine bedeutende Kaufempfehlung eines Kunden platziert, die ihm zuvor bekannt ist.
Richard Heinberg sagte einst:
“Unser derzeitiges Geld-System erfordert ein ständiges Wachstum, um so die Rückzahlung der Zinsen auf die Schulden zu ermöglichen, die das Geld am Beginn geschaffen haben, also kann es im Rahmen der allgemeinen
Ressourcenknappheit und des wirtschaftlichen Abschwungs nicht gut funktionieren.”
Und, dass die Verknappung zentraler Ressourcen absehbar sein wird verdeutlicht nachfolgendes Interview:
„Der geplünderte Planet“ - neuer Bericht an den Club of Rome
Mehr als 40 Jahre nach dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ stellte der Club of Rome nun seinen neuen Bericht vor: „Der geplünderte Planet“.
Autor Ugo Bardi erläutert im Kontext-TV-Interview, welche Folgen der Raubbau an der Erde hat und warum es in den kommenden Jahrzehnten zu Ressourcen-Knappheiten kommen wird. Neben Öl könnte es auch bei Uran und Kupfer bald zu Engpässen kommen.
Noch gravierender aber sind laut Bardi die Umweltfolgen des Raubbaus: Radioaktive Materialien und Schwermetalle vergiften die Erde, der wachsende CO2-Ausstoß führt zu einem katastrophalen Klimawandel.
UGO BARDI, Professor für physikalische Chemie an der Universität Florenz, Autor des Berichts an den
Club of Rome "Der geplünderte Planet"
Interview: Fabian Scheidler
Fabian Scheidler: Herr Bardi, was sind die Hauptergebnisse Ihres Berichts?
Ugo Bardi: Der Tenor des Buchs ist, dass wir mit dem Rohstoffabbau der letzten paar hundert Jahre - eine Aktivität, die bereits seit Jahrtausenden von Menschen ausgeübt wurde - eine gewisse Grenze erreicht und unseren Planeten völlig transformiert haben. Unser Planet ist nicht mehr, was er vor 50, vor 100 Jahren war. Es ist ein Planet, in der die grundlegenden Ressourcen, Mineralienvorkommen und Erze, die wir ausbeuten, um unsere Zivilisation oder die Welt, wie wir sie kennen, aufzubauen, verbraucht und über das gesamte Ökosystem verteilt worden sind. Das erzeugt zwei Probleme. Eines ist die Erschöpfung der Vorräte in dem Sinne, dass der Abbau von Rohstoffen immer teurer wird. Bisher ist noch nichts wirklich völlig aufgebraucht worden, aber der Abbau wird immer aufwändiger, was die Energiekosten betrifft. Und da wir unsere Energie vor allem aus mineralischen Ressourcen gewinnen, ist das ein Problem. Das zweite Problem, die Umweltverschmutzung, ist wahrscheinlich noch schlimmer; denn diese ganze gewaltige Masse von Material - wir sprechen von Billionen Tonnen - wurden extrahiert und verarbeitet und muss irgendwo hin. Diese Materialien sind nun über die Erde verteilt, in Formen, die sich unmöglich zurückgewinnen und in den industriellen Kreislauf reintergrieren lassen. Wir haben Schwermetalle, radioaktive Materialien, Schutt und vor allem Kohlendioxid, das heute vermutlich das größte Übel ist, denn es verursacht ein kleines Problem, das Globale Erwärmung oder Klimawandel genannt wird - obwohl wir es eigentlich katastrophalen Klimawandel nennen sollten, denn genau das riskieren wir, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Fabian Scheidler: Welche wichtigen Mineralien werden als erste knapp werden?
Ugo Bardi: Wir haben einige kritische Ressourcen, zum Beispiel Uran. Uran ist ein interessanter Fall, denn es gibt keine ausreichenden Uranvorräte. Seine Produktion reicht nicht aus, um die existierenden Kernkraftwerke zu versorgen. Wie werden die Kraftwerke dann betrieben? Sie werden durch Uran betrieben, das von alten nuklearen Sprengköpfen stammt. Man könnte denken, dass das gar keine so schlechte Idee ist, aber das ist eine sehr begrenzte Ressource, die natürlich stark politisch verwaltet wird. Die Verträge, die es möglich machen, diese Sprengköpfe zu demontieren und in Brennstoff für Kernkraftwerke umzuwandeln, sind sehr heikel. Und bei dieser Knappheit wäre ich nicht überrascht, wenn Uran die erste Ressource mit einem krisenhaften Verfügbarkeitsproblem werden sollte.
Fabian Scheidler: Sie haben schon über das Energiedilemma gesprochen. Viele Menschen glauben, dass Ressourcen irgendwann einfach aufgebraucht sein werden, dass gar nichts mehr von ihnen übrig ist. Aber Sie argumentieren, dass wir bereits nicht mehr genug von ihnen haben werden, bevor die Ressourcen tatsächlich erschöpft sind. Und zwar weil wir nicht mehr über genug Energie verfügen werden, um die Materialien aus Erzen mit immer geringerer Konzentration zu extrahieren. Was hat es mit diesem Energiedilemma auf sich?
Ugo Bardi: Das ist ganz einfache Physik. Vor langer Zeit haben Leute Kohle mit Pickhacken geschürft. Das ist einfach, man brauchte dazu nur Muskelenergie. Aber heute benutzen wir gigantische Maschinen, um Kohle zu extrahieren. Und um diese Maschinen - die größten landgestützten Maschinen, die je geschaffen wurden - auch nur herzustellen, brauchen wir Stahl, und um Stahl herzustellen, brauchen wir Eisen, und um Eisen herzustellen, brauchen wir Eisenerz. Um also eine Maschine für den Kohlebergbau herzustellen und zu betreiben, braucht man viel Energie - und das ist teuer. Das ist das Konzept des Energieertrags oder des Energy Return on Investment, auch „Erntefaktor“ genannt. Es geht auf eine Idee aus den Wirtschaftswissenschaften zurück: das Gesetz von der sinkenden Kapitalrendite. Das Problem ist, dass man zuerst in die profitabelsten Bereiche investiert; wenn sie erschöpft sind, wird in die weniger profitablen investiert - und so entsteht das Problem der sinkenden Erträge. Das gibt es überall. Im Moment ist das Problem nicht, dass wir bald gar keine Ressourcen oder gar keine Energie mehr haben. Es ist, als ob wir einen Pfad entlanggehen, der immer mehr ansteigt. Erst merkst du gar nicht, dass es nach oben geht, denn der Pfad steigt nur sanft an. Beim Weitergehen merkst du, dass es immer steiler wird, und du fängst an, erschöpft zu sein, aber du kannst immer noch weitergehen. Und dann merkst du plötzlich, dass der Pfad richtig steil ansteigt, und du musst plötzlich anfangen zu klettern und dich mit den Händen festhalten, und an einigen Stellen kannst du nicht mehr weiterklettern. Wir sind noch nicht an diesem Punkt, aber wir müssen beginnen zu verstehen, dass die Steigung irgendwann so steil werden wird, dass wir nicht mehr weiterklettern können und anhalten und wieder heruntergehen müssen.
Fabian Scheidler: In Ihrem Buch haben Sie das Beispiel Kupfer benutzt. Als die Kupferausbeute begann, enthielt Kupfererz 15 Prozent Kupfer, und jetzt sind es nur noch 0,3 Prozent?
Ugo Bardi: Ja, nur noch etwa 0,5 Prozent. So lange wir noch Energie haben, können wir Kupfer vielleicht noch zehn, zwanzig Jahre gewinnen, dann wird es ohnehin kritisch werden. Das Problem ist aber, dass wir vermutlich weniger Energie zur Verfügung haben werden, und in diesem Fall wird es sehr schwer werden, die Kupferproduktion aufrechtzuerhalten - und dieser Punkt könnte bereits in ein paar Jahren eintreten.
Fabian Scheidler: Viele Ökologen befürchten, dass es eine Renaissance der Kohle geben wird, wenn das Öl knapp wird. Was sind die Konsequenzen für die Umwelt, wenn es eine Kohle-Renaissance gibt?
Ugo Bardi: Die Ökologen liegen leider vollkommen richtig. "Leider" nicht nur wegen der Ökologen, sondern wegen uns allen. Es gibt schon jetzt eine Renaissance der Kohle. Der Kohleabbau steigt, besonders in China. Die Kohleförderung ist dabei, das Niveau von Öl zu erreichen. Öl hatte Kohle als eine Energieressource in den 50er oder 60er Jahren überholt, aber jetzt bleibt Öl mehr oder weniger konstant, während Kohle ansteigt. Und was passieren wird? Das System passt sich an, wie ich schon sagte. Da Öl immer schwerer zu produzieren ist, müssen wir zu einer weniger befriedigenden, teureren, problematischeren Ressource, nämlich Kohle, übergehen. Und das tun wir, denn unser System ist auf kurzfristige Profite ausgerichtet. Zum jetzigen Zeitpunkt bringt Kohle kurzfristige Profite. Allerdings gibt es da ein kleines Problem. Bei all diesen Herausforderungen gibt es das Element, das wir Umweltverschmutzung nennen und von dem viele Leute glauben, dass es eigentlich nur diese Grünen, diese Umweltschützer wirklich interessiert. Aber Umweltverschmutzung ist nicht nur etwas für Umweltschützer, sondern gehört zu den Produktionskosten. Es gehört zu den Dingen, die man später bezahlt - man bezahlt sie nicht gleich. Und man hofft, dass sie jemand anderes bezahlen wird und rechnet sie in die Produktionskosten gar nicht richtig ein. Und man denkt, man macht ein gutes Geschäft, indem man Kohle ausbeutet. Die Industrie jedenfalls macht vermutlich ein gutes Geschäft dabei. Aber irgendjemand anderes macht ein sehr, sehr schlechtes Geschäft, denn irgendjemand wird später dafür bezahlen müssen, den Dreck wieder wegzumachen. Es ist dasselbe beim Uran. Man kalkuliert, wie viel mit Uran produzierte Energie kostet. Und im Rahmen bestimmter Annahmen ist das naheliegend und ein Geschäft für bestimmte Leute. Wenn man aber die Kosten, den Dreck später wieder wegzumachen, miteinberechnet - was Hunderte von Jahren dauern wird -, dann ist das Geschäft nicht mehr so gut. Aber wenn die Kosten erst in hundert Jahren bezahlt werden müssen, dann werden viele sagen, das ist deren Problem, nicht meins. Und wir menschliche Wesen neigen leider dazu, auf diese Weise zu kalkulieren.
Fabian Scheidler: Hier in Deutschland gibt es ziemlich viel Widerstand gegen neue Kohlekraftwerke. Gibt es in Ihren Augen eine Möglichkeit, die Kohle-Renaissance zu verhindert? James Hansen, Klimawissenschaftler der NASA, zum Beispiel hat gesagt: Wenn wir es jetzt nicht schaffen, den Bau neuer Kohlekraftwerke zu verhindern, dann wird ein katastrophaler Klimawandel unausweichlich.
Ugo Bardi: Leider kann es sein, dass er Recht hat. Hansen schlägt eine Strategie vor, nämlich zu versuchen, den Bau neuer Kraftwerke zu stoppen. Das ist vermutlich unabdingbar. Um es klar zusagen: Wir riskieren die Zukunft der Menschheit, wir riskieren Auslöschung, wenn wir weitere Kohlekraftwerke bauen. Wir tun, was wir können, um das zu verhindern. Aber konfrontiert mit den Schwierigkeiten, die wir erleben - der Verweigerung, die Informationen zur Kenntnis zu nehmen -, sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Eine Sache ist allerdings wichtig. Manche sagen, Widerstand ist zwecklos. Aber so sollten wir nicht denken. Wir müssen sagen: Widerstand ist fruchtbar. Wir wehren uns, wir tun, was wir können. Vielleicht werden wir erfolgreich sein.
Fabian Scheidler: Zum Thema Fracking: Viele feiern Schiefergas und Fracking als einen Ausweg aus der Krise der fossilen Energie. Können Sie etwas über Fracking und Schiefergas sagen? Welche Bedeutung haben sie und was sind die Auswirkungen?
Ugo Bardi: Die Auswirkungen sind enorm, was Umweltzerstörung angeht. Fracking ist eine Technologie, die teuer, aufwändig, zerstörerisch und im Großen und Ganzen nutzlos ist, aber: sie hat diesen großen Vorteil, dass sie einen Profit generieren kann. Und das ist der Grund, weshalb sie angewandt wird. Wenn Leute zum Beispiel in Wohnungsbau investieren, gehen sie davon aus, dass es möglich ist, Häuser zu bauen und damit Geld zu erwirtschaften, indem man die Häuser verkauft. Das ist eine Investition. Bei Fracking oder Schiefergas gilt das gleiche: Man weiß, dass man Schiefergas produzieren kann. Also investiert man in Anlagen und hofft, dass man dann Geld damit machen kann, dass es dafür einen Markt geben wird. Das liegt aber nicht auf der Hand. Ebensowenig wie es auf der Hand liegt, dass es einen Markt für Häuser geben wird, die heute gebaut werden, liegt es auf der Hand, dass es zu den Kosten, zu denen Schiefergas produziert wird, auch einen Markt geben wird. Es ist teuer. Im Moment ist es in den Vereinigten Staaten so, dass das meiste Schiefergas mit Verlust produziert wird. Es ist eine finanzielle Blase. Man investiert Geld in etwas in der Hoffnung, dass es später mehr Geld abwirft, aber jetzt geht das ganze den Bach runter, weil Leute Geld dabei verloren haben. Fracking kostet eine Menge Geld. Und der Markt kann nur eine bestimmte Menge absorbieren. Ich glaube, dass man sich an die ganze Sache mit dem Schiefergas oder Fracking in der Zukunft als eine riesige Blase erinnern wird, die eine Unmenge von Ressourcen verschwendet hat, die wir dringend für andere Dinge gebraucht hätten, die aber bedauerliche Weise auf diese Weise vergeudet wurden.
Fabian Scheidler: Welche Auswirkungen haben Fracking und Schiefergas für die Umwelt und die menschliche Gesundheit?
Ugo Bardi: Man versucht, Schiefergas als eine umweltfreundliche Technik zu verkaufen, aber die Daten, die wir haben, zeigen, dass sie tatsächlich nicht sonderlich umweltfreundlich ist. Erdgas produziert theoretisch zwar weniger Treibhausgase pro Energieeinheit als Kohle. Das ist ein Punkt zugunsten von Fracking oder Schiefergas. Aber in der Realität ist die Technik nicht sehr verlässlich, und beim Betrieb, beim Fördern, beim Bohren gibt es immer Verluste von Gas. Und dieses Gas, das verloren geht - Methan -, ist ein sehr starkes Treibhausgas. Die Daten sind zwar nicht sehr klar, weil der Prozess so neu ist. Niemand weiß, welcher Anteil von dem Gas verloren geht, wie es mit der Effizienz des Vorgangs aussieht. Dinge sind im Allgemeinen nie so effizient, wie man sie gern hätte. Aber einige Daten sagen, dass Fracking mehr Treibhausgase freisetzt als Kohle. Andere Daten sagen, dass es nicht so schlimm ist. Im Großen und Ganzen aber können wir sagen, dass Fracking nicht sauber ist, absolut nicht.
Fabian Scheidler: Es gibt, auch in Deutschland, eine große Diskussion über die Verschmutzung von Grundwasser durch Fracking.
Ugo Bardi: In den Vereinigten Staaten haben sie die Wasserressourcen riesiger Landstriche bereits zerstört. Hier in Europa haben wir ein noch größeres Problem, denn die Bevölkerung ist hier bedeutend dichter. Daher wird Fracking hier Probleme erzeugen, die in den Vereinigten Staaten wahrscheinlich weniger schlimm wären. Das ist ein weiterer Grund, weshalb wir damit sehr vorsichtig sein sollten.
Fabian Scheidler: Andere „unkonventionelle“ Quellen fossiler Brennstoffe sind Teersande und Schieferöl. Können sie etwas zu den ökologischen Auswirkungen dieser Ressourcen sagen?
Ugo Bardi: Es ist dasselbe wir mit Schiefergas. Alle diese neuen Ressourcen sind teuer und umweltverschmutzend. Teersande, Schieferöl, Schiefergas, "tight gas" im Allgemeinen - es ist immer dasselbe: Wir sind nicht gezwungen, diese Ressourcen auszubeuten. Besonders wenn wir einsehen könnten, wie teuer sie wirklich sind. Aber der finanzielle Mechanismus, der Investitionen an bestimmte Stellen lenkt statt an andere, sorgt für eine tragische Situation. Denn eigentlich sind wir nicht gezwungen, diese extrem teuren und zerstörerischen Ressourcen zu verwenden. Wir könnten dieselben Summen in erneuerbare Energien investieren, und wir hätten dieselbe Menge an Energie für einen bedeutend niedrigeren Preis, wenn wir die Umweltzerstörung miteinrechnen. Unglaublich niedriger. Aber das System ist nicht darauf ausgerichtet, diese Art von Entscheidungen zu treffen. Und die Leute suchen den kurzfristigen, sofortigen und lokalen Profit. Und so machen wir diesen immensen historischen Fehler, der die Zukunft der Menschheit jahrhundertelang begleiten wird. Aber es ist sehr schwer, diese Dynamik zu stoppen, denn die gesamte fossile Industrie hat eine ungeheure finanzielle Macht - und sie neigt dazu, die Sachen weiter zu betreiben, die sie kennt. Eine gewisse Zeitlang haben sie in erneuerbare Energie investiert, aber jetzt haben sie damit aufgehört. Sie sind in einer angespannten Situation, aber sie können mit fossilen Ressourcen noch Geld verdienen. Auf der einen Seite ist es vollkommen verständlich, aber auf der anderen zerstört es den halben Planeten. Wir können nur hoffen, dass es nicht so schlimm kommt, wie es kommen kann, aber ich fürchte, das wird es tun.
Fabian Scheidler: In Ihrem Buch sprechen sie auch über die Bedeutung von Metallen und Bergbau für Imperien. Wie hängen Metallverarbeitung, Bergbau, Waffen, Kriege und Imperien in der Geschichte zusammen?
Ugo Bardi: Das ist ein sehr interessanter Punkt. Wenn man an diesem Thema arbeitet, findet man immer wieder neue Dinge heraus. Und wenn man so ein Buch schreibt, lernt man wahrscheinlich mehr, als wenn man 100 Bücher lesen würde, denn man muss forschen und all diese Geschichte verdichten. Dabei haben wir die enge Beziehung entdeckt, die es bis vor kurzem noch zwischen Edelmetallen und dem Finanzsystem gegeben hat, dem monetären System, das ziemlich primitiv begonnen hat, aber dann wuchs und dieses enorme Ding wurde, das es heute ist, auch wenn es nicht mehr auf Metallen basiert. Imperien wurden einst auf der Verfügbarkeit von Gold gegründet, denn Gold war eine militärische Waffe. Es wurde benutzt, um Soldaten zu bezahlen. Das Wort Soldat selbst kommt von einem lateinischen Wort für Münze. So wurde das gemacht: Wenn du Gold hattest, konntest Du Soldaten bezahlen, schufst ein kleines Königreich, stahlst noch mehr Gold, bezahltest noch mehr Soldaten, vergrößertes dein Königreich, das dann ein Imperium wurde. So hat das funktioniert. Bis Gold seine Bedeutung als militärische Waffe verlor, weil die Technik an seine Stelle trat. Denn dann gab es wirksame Waffen wie Kriegsschiffe zum Beispiel, und Kriegsschiffe brauchten Kohle. Kohle wurde das Grundelement von Imperien. Das British Empire wurde auf der Kohle errichtet. Es war das erste globale Imperium. Es dauerte so lange, wie die britische Kohle ausreichte. Als die britische Kohle zur Neige ging, verschwand auch das British Empire. Auch heute basiert unser Imperium vor allem auf der Basis von fossilen Brennstoffen. Wer die Kontrolle über die fossilen Brennstoffe hat, regiert die Welt. So einfach ist es.
Fabian Scheidler: Was sind unsere Optionen? In Ihrem Buch beschreiben Sie verschiedene Szenarien. Eines ist extremer Klimawandel, bei dem sich die Menschen in entlegene Gegenden wie die Antarktis zurückziehen. Ein anderes Szenario sagt, dass wir in eine Agrargesellschaft wie die des Mittelalters zurückfallen könnten. Welche Optionen haben wir?
Ugo Bardi: Es gibt viele Möglichkeiten, von denen Sie einige genannt haben. Was sich nicht verändern wird, ist, dass wir ganz grundlegend Bergleute sind. Wir begannen zu Beginn der Steinzeit, Bergleute zu sein, und wir werden Bergleute bleiben. Es ist fast unmöglich, sich eine menschliche Gesellschaft vorzustellen, in der wir nicht irgendetwas aus dem Boden herausholen. Für zehntausende von Jahren, selbst wenn wir zu einer Agrargesellschaft zurückgehen, werden wir weiterhin den Abfall, den unsere Gesellschaft hinterlässt, als Ressource abbauen, zum Beispiel um Eisen zu gewinnen. Das ist sehr wahrscheinlich. Wenn wir kluge Bergleute sind, werden wir unsere Gesellschaft am Leben erhalten, aber wir werden unsere Ressourcenquellen verändern müssen. Bisher haben wir abgebaut, was die Erde über hunderte von Millionen von Jahren in einem geologischen Prozess produziert hat. Das alles wird gerade zerstört. Also brauchen wir neue Minen. Und wir können keine neuen Minen auf diesem Planeten finden, denn es gibt keinen Ort, wo wir uns vorstellen können, die Art von leicht zugänglichen Ressourcen zu entdecken, wie wir sie bisher hatten. Die neuen Minen werden daher Teil des industriellen Kreislaufs sein. Wenn wir es schaffen, eine industrielle Gesellschaft zu erhalten, was durchaus möglich ist, dann können wir, solange wir Energie haben, unsere Abfälle als Ressourcenquelle verwenden und den Kreislauf schließen und damit weitermachen. Ich weiß nicht, ob für immer, aber jedenfalls für eine lange Zeit. Das erfordert aber einiges an Anpassung. Denn in einer Welt, in der mineralische Ressourcen nicht aus Minen stammen, die billig sind, musst du an deinem Abfall arbeiten, du musst ihn organisieren. Wenn man einfach alles zusammengemischt wegwirft, dann wird es schrecklich teuer, Dinge wieder zu trennen. Daher muss der Abfall gemanagt werden. Wenn wir das tun - womit wir mit einiger Mühe schon begonnen haben -, dann zerstören wir das, was wir verwenden, nicht physisch. Wir haben vorhin über Kupfer gesprochen. Kupfer wird abgebaut, es wird gebraucht, aber wir zerstören es nicht, es existiert noch irgendwo. Wenn wir es klug gebrauchen, können wir es wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen lassen und es weiter verwenden. Das ist die große Herausforderung, der wir heute gegenüberstehen.
Ein profitorientiertes Wirschaftsystem, welches ausnahmslos auf Wachstum aufgebaut ist und somit den Menschen als solches nicht nur zum schnöden Produktionsmittel „degradiert“, sondern hierdurch auch Rohstoffe geplündert werden und die Umwelt verschmutzt wird, muss irgendwann kollabieren.
Ein weltweites Umdenken diesbezüglich wäre deshalb, rational betrachtet, angebracht. Dass ein rigoroser Systemwechsel eventuell am vernünftigsten wäre, würden einige wenige begrüßen, aber die Mehrheit kann sich wohl so schnell nicht mit einem solchen Gedanken anfreunden.
Allerdings können auch kleine „Kursänderungen“ langsam zum Erfolg führen.
Um diesbezüglich hat jeder Bürger in einem einigermaßen demokratischen System noch die Möglichkeit durch Petitionen Druck auf Politiker auszuüben.
Dies zeigt das Beispiel der (zumindest vorerst) Vereitlung der Pläne der EU die Wasserversorgung zu privatisieren.
Wer bspw. der Ansicht ist, dass es eine Kehrtwende hin zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Europa der Vielen nötig sei, kann dies mit seiner Unterschrift selbstverständlich bekunden:
Europa geht anders. Verhindern wir die 'Troika für Alle' - Nein zum Wettbewerbspakt http://www.europa-geht-anders.eu/
Aber auch durch das alltägliche (Konsum)Verhalten können VIELE eine etwaige Veränderung herbeiführen.
Allerdings ist die Voraussetzung für jede Veränderung, dass die Gesellschaft sich darüber klar werden muß, wie die Zukunft aussehen soll – denn etwaige Veränderungen können nur viele aber meist nicht der Einzelne alleine herbeiführen!