Der Fall Edward Snowden
Stück für Stück bahnte sich der Skandal über die totale Überwachung seinen Weg an die Öffentlichkeit. Ein bisschen PRISM, ein wenig Tempora und ein Hauch von Orwell finden den Weg in die Medien. Der Skandal ist so groß, er lässt sich nicht mehr verheimlichen. Die Täter – auch Geheimdienste genannt – dementieren nicht einmal mehr, das alles sei notwendig, um der omnipräsenten Terrorgefahr Rechnung zu tragen. Acht Milliarden Erdenbürger unter Generalverdacht. Die Grenzen zu einem Polizei- und Überwachungsstaat sind weit überschritten. Und Edward Snowden – der all das an die Öffentlichkeit brachte – ist auf der Flucht, gegen die mächtigsten Geheimdienste der Welt.
Aber welche Geheimnisse verriet er denn der Öffentlichkeit bzw. über welche Programme hat Snowden bislang berichtet und wie unterscheiden sie sich? – hier ein Überblick:
Sammlung von US-Telefondaten: Der US-Geheimdienst NSA hat nach Darstellung Snowdens Zugriff auf die Verbindungsdaten des Telekomanbieters Verizon, berichtet der Guardian am 6. Juni. Die Zeitung veröffentlicht die bisher geheime Gerichtsanordnung, die die Weitergabe der Verbindungsdaten anordnet. Hier geht es nicht um die Inhalte der Gespräche, sondern um die Telefonnummern des Anrufers und Angerufenen, den Ort und Zeitpunkt des Gesprächs. Betroffen sind US-Bürger mit einem Telefonvertrag von Verizon. Später berichten weitere Medien, dass auch andere US-Telefonanbieter seit Jahren ihre Daten an den Geheimdienst weitergeben müssen.
PRISM (deutsch Prisma): Ein weiteres Programm des US-Geheimdienstes NSA. Die NSA habe praktisch uneingeschränkten Zugriff auf Daten von großen Internetfirmen, berichten die Washington Post und der Guardian. Der Geheimdienst könne Inhalte von E-Mails, Fotos und angehängte Dokumente von Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, AOL, Apple und dem in Europa wenig bekannten Anbieter PalTalk durchgehen. Die Firmen bestreiten vehement, dem Geheimdienst einen direkten Draht zu ihren Servern gelegt zu haben. Sie übergäben Nutzerdaten nur aufgrund konkreter Gerichtsbeschlüsse. Überprüfen lässt sich alles nur schwer, denn die Anordnungen stammen ebenfalls von einem Geheimgericht.
Tempora: Es ist das bisher umfangreichste Programm, umgesetzt vom britischen Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ). Anders als die NSA hätten die Briten nicht die Datenschränke der Internetfirmen angezapft, sondern die Übertragungskabel. 200 von insgesamt 1600 Glasfaserkabeln habe der Dienst direkt überwacht. Diese Kabel verbinden vor allem Internetknotenpunkte in Europa und Übersee. Der GCHQ zapfe hier stündlich Unmengen von Daten ab, berichtet der Guardian am 21. Juni. Die Verbindungsdaten, auch Metadaten genannt, dürften 30 Tage gespeichert werden, Inhalte der E-Mails, Nachrichten und Gespräche drei Tage. Die Daten teilt der GCHQ den Berichten zufolge mit dem amerikanischen Geheimdienst.
Schnüffeleien in China: Die NSA habe chinesische Mobilfunknachrichten und wichtige Datenübertragungsleitungen an der Tsinghua-Universität in Peking ausspioniert, sagte Snowden der Zeitung South China Morning Post. Außerdem hätten US-Geheimdienste Datenleitungen von Pacnet gehackt. Pacnet betreibt eines der größten Glasfasernetze in der Asien-Pazifik-Region. Hunderte Computer in Hongkong und China seien ausspioniert worden.
Aber was geschah nach diesen Enthüllungen, wie reagierten die Massenmedien auf Snowden?
Wurde Snowden in den Mainstreammedien nun als ein Held gefeiert?
Nein ganz im Gegenteil!
Nachfolgende einige Beispiele:
WDR 2 Klartext zu Edward Snowden: Held oder Schuft?“. Natürlich „Schuft“ so der Autor des Beitrags Paul Elmar Jöris. Zusammenfassend heißt es:
„Durch die Spionage der Geheimdienste konnten Anschläge verhindert werden. Edward Snowden brachte nun aber alle Programme ohne Differenzierung in Misskredit und richtete großen Schaden an, …“
Auch auf der Linie der Public Relations Strategie der USA liegt
Deutschlandradio. Dort lässt uns Marcus Pindur vom Studio Washington wissen:
„Bedenken- und gewissenlos
Edward Snowdens bizarre Flucht
Es ist eine bizarre Flucht, und die Geschichte erscheint auf den ersten Blick so spannend wie einfach. Hier der einsame Whistleblower, der seinem Gewissen folgt und Freundin und Familie verlässt, um sein Martyrium öffentlich zu machen. Dort die herausgeforderte, rachsüchtige Großmacht USA, die all ihre Macht zum Einsatz bringt, der Goliath, der alles daran setzt, den kleinen David in seine Fänge zu bekommen.
Aber so einfach ist es eben nicht. Denn Edward Snowden ist kein Whistleblower. Er hat keine einzige illegale Praxis der amerikanischen Regierung enthüllt, keinen illegalen Übergriff der Sicherheitsbehörden belegt. All das, was wir von ihm erfahren haben, passiert innerhalb des amerikanischen Rechtsstaates und amerikanischen Rechts.
(…)
Edward Snowden wird nicht von den amerikanischen Sicherheitsbehörden verfolgt, weil er sich gegen die USA gestellt hat. Sondern weil er sich bedenken- und gewissenlos über den Rechtsstaat hinweggesetzt hat. Mal sehen, wie glücklich er im ecuadorianischen Exil wird.“
Die US-Regierung und andere Verantwortliche in den USA haben sich eine PR Strategie zur Abwehr der Kritik an der skandalösen Überwachung von Millionen Bürgerinnen und Bürger der Welt zurecht gelegt:
• Sie machen aus dem Helden, der das Unheil der Überwachung aufgedeckt hat, einen Schuft und Verräter.
• Und sie diskreditieren ihn, indem sie jene, die ihm bei der Flucht helfen oder zumindest sie nicht behindern als falsche Freunde, als Feinde von Freiheit und Demokratie abwatschen.
So zum Beispiel in der FAZ Matthias Rüb aus Washington:
„Whistleblower auf der Flucht
Edward Snowdens falsche Freunde
24.06.2013· China, Russland und Ecuador: Edward Snowdens Fluchtweg macht es den Politikern in Amerika leicht, den früheren Mitarbeiter von Geheimdiensten als bösen Verräter darzustellen.“
Das ist nahezu identisch mit dem, was wir schon von der Tagesschau hörten. Offenbar hat in Washington ein Briefing stattgefunden. Ihm folgen wichtige Teile der deutschen Medien.
Die kritiklose Übernahme US-amerikanischer Propaganda zeichnet einen gewichtigen Teil deutscher Journalisten schon lange und immer wieder aus.
Sie haben über Jahrzehnte schon die gängige Unterscheidung in Gut und Böse, in USA und Westen auf der einen Seite und die Bösen, die Russen, die Iraner, die Palästinenser, der Islam usw. auf der anderen Seite gemacht und propagiert.
Dass sie jetzt bei diesem unglaublichen Skandal der Schnüffelei durch die USA und Großbritannien nach dem gleichen Schema verfahren und nicht im Ansatz fähig und willens sind, wenigstens zu fragen, ob man Snowdens Tat nicht als etwas Notwendiges und Wünschenswertes bezeichnen müsste.
Sie sind deshalb auch unfähig auf der Basis der Informationen durch Snowden zu fragen und zu recherchieren, was Briten und Amerikaner mittels ihrer Schnüffelei noch erfahren hätten können.
Offensichtlich haben die Briten Diplomaten und Politiker im Vorfeld von Internationalen Konferenzen ausspioniert. Und beide können mit der Abschöpfung von Informationen Wirtschafts- und Industriespionage betreiben. Es gäbe also ausreichend Gründe, sich über die Praxis der USA und Großbritanniens zu beschweren. Stattdessen wird beschönigt.
US-amerikanische und britische Geheimdienste agieren im Internet als die Schnüffelherren der Welt. Das erfordert Widerstand. Von der deutschen politischen Klasse allerdings ist er nicht zu erwarten.
Die Bundeskanzlerin zeigte sich überrascht, jedoch nicht sonderlich beunruhigt. Ebenso ihre Partei. Die Bundesjustizministerin (FDP) sprach von einem „Albtraum“, sie will nicht glauben, dass es die Megakontrolle gibt, nicht wirklich. Die Experten von SPD und Grünen gaben ebenfalls Überraschung öffentlich zu Protokoll und meldeten Kritik an, sie stellen ja Opposition dar. Soviel bisherige Unwissenheit? Und der Bundesnachrichtendienst wusste auch von nichts? Obwohl bei den Partnerdiensten, der US-amerikanischen NSA und dem britischen GCHQ, doch zigtausende von Kollegen tagtäglich mit dem Zugriff auch auf deutsche elektronische Kommunikation beschäftigt sind? Ist bei den vielen Insidertreffen auf der „Atlantik-Brücke“ nie über dieses imposante Kontrollsystem geplaudert worden? Gab es keine milden Informationsgaben des Großen Bruders an die deutschen geheimen Dienste?
Die geheimen Dienste der USA und Großbritanniens sind Betriebseinheiten eines globalen Unternehmens zur Machtausübung, das sich mit der Chiffre NATO kennzeichnen lässt. Ebenso die geheimen Dienste der Bundesrepublik. Die politische Klasse der BRD ist den Zielen dieses Unternehmens verpflichtet. Niemand in ihr spielt auch nur mit dem Gedanken, da aus der Geschäftsdisziplin auszubrechen. Wer dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Geltung verschaffen will, muss auf vielgestaltige Eigeninitiative setzen. „Mastering the Internet – Global Telecoms Exploitation“ sind die dreisten Leitbegriffe, mit denen die Geheimdienstler ihren Job betreiben. Wer dagegen Grundrechte durchsetzen will, hat einen andauernden Konflikt vor sich, epochal kann man ihn nennen.
Und wie reagierte die Masse der Bürger?
“Was habe ich schon zu verbergen” ist die allgemeine Meinung. Immerhin haben die Geheimdienste ja gesagt, man schaut nur bei akutem Verdacht genauer hin? Wollen sie das den Diensten glauben, die bereits seit Jahren im Verborgenen alles abhören und die Bürger darüber im Dunkeln lassen – also eigentlich belügen? Ich denke nicht, es hat sich ein Netzwerk entwickelt, welches alles für den eigenen Erhalt tun wird. Es ging nie um den Schutz der Bürger. Es ging darum, die korrupten Machtstrukturen zu schützen und zu erhalten.
Aber diejenige/derjenige, welcher denkt, dass diese Thematik sie/ihn/es nicht beunruhigen muss, da sie/er/es nichts zu verbergen hat, irrt sich in zweierlei Hinsicht.
Zum einen enscheidet nicht sie/er/es ob er/sie/es was zu verbergen hat oder nicht, sondern diejenigen, welche über die technischen Möglichkeiten und über das Wissen verfügen um an die benötigten Daten zu gelangen, können darüber entscheiden, wessen Daten genau analysiert werden sollen und wessen Daten nicht!
Ob man also etwas verbirgt oder nicht entscheidet sich immer danach, was aktuell als gefährlich, kritisch oder irgendwie verboten definiert wird. Das kann JEDEN von uns treffen.
Und der zweite Irrtum ist der, es gäbe sozusagen eine Grenze, eine ganz feste unüberwindbare Grenze zwischen dem Terroristen, welcher irgendwie definiert ist als eine besondere Spezies und der wird ausspioniert, ausgespäht, überwacht etc. und auf der anderen Seite der gute Bürger der eigentlich gar nicht gemeint ist (dessen Daten aber trotzdem „abgefangen“ und gespeichert werden).
Es wäre zudem nicht das erste Mal, dass ein unbescholtener Bürger unter Generalverdacht gestellt wird, nur weil dieser „merkwürdige Suchbegriffe“ bei einer Suchmaschine eingegeben hat!
Wir sollten also froh sein, dass Snowden mit seinen Enthüllungen diese Problematik wieder in unser Bewusstsein gerufen hat!
Es ist an der Zeit zu verstehen, PRISM oder Tempora sind nur Synonyme für eine totalitäre Überwachung. Bereits jetzt werden Datenbanken zu allen Bürgern angelegt, Big Data bekommt eine völlig neue Bedeutung. Nutzen die Menschen diese Steilvorlage nicht, um sich die Privatsphäre und Freiheit zurück zu erobern, wird es endgültig zu spät sein, um der totalen Überwachung zu entgehen. Die Aktivisten werden sich durch Ausstieg aus der digitalen Welt zum Teil noch für eine Weile entziehen können, aber das Endergebnis wird erdrückend sein.
Politiker aus den Reihen der CSU kritisieren nicht nur Snowdens Enthüllungen, sie rechtfertigen sogar noch die Handlungsweise der NSA und des britischen Geheimdienstes und fordern diese Art der Überwachung auch hierzulande ein!
Allerdings sollten die Bürger ihren Regierungen eine Absage erteilen und das Recht auf Freiheit und Privatsphäre einfordern, sonst werden wir dieses Recht in naher Zukunft verwirkt haben!
Eine Pizzabestellung in naher Zukunft wird dann wahrscheinlich so aussehen: