M + M. E.
. -Ein Anfang-
Katatonie versteckt in sich die Kakofonie, was vieles erklärt. Die lauten Farben zum Beispiel, wenn du wünschtest sie würden alle zu schwarz und endlich schweigen. Das k führt zum Übel, das t nach unten. Das ist schon das Geheimnis ihrer Komödie der Irrungen und ihrer ganzen Camouflage.
M macht sich so seine Gedanken. Über Gott, die Welt, Blattläuse und am meisten über Wörter. M liebt es auf den Wörtern herumzukauen, an ihnen zu saugen und zu lutschen, wie es die Hunde mit Markknochen machen.
So tat er auch an jenem, für M ex post historischen, enteisenden Dienstagmittag, als es endlich passierte. Das Eis brach und begann zu schmelzen.
Er hatte sich auf die Bank vis à vis zur Bib gesetzt, direkt vor dem stillgelegten runden Brunnen, wo an den Sommerabenden Paare Salsa und Tango tanzen oder diesen anderen Tanz, dessen Namen M sich nicht merken kann. M war schon oft hier gewesen, halb flanierend, halb schleichend, an jenen Sommerabenden.
Er redete sich auf dem Herweg stets ein, an diesem einen Abend, ganz bestimmt, eine der Frauen zu fragen, die dort, in der warmen Musik sich wiegend um das Rondell herum standen, in der augenscheinlichen Hoffnung angesprochen zu werden, um nicht mehr alleine in der Musik sich zu wiegen. Einfach eine zu fragen, ob sie ihm nicht ein, zwei Schritte zeige und zu hoffen, dass dies ihr lieber sein würde, als weiter alleine in der Musik sich zu wiegen oder mit einem der platzhirschigen, protzigen Latino-Travoltas zu tanzen, die am Ende des Tages beides nicht waren, Latinos und Travoltas.
Auf dem Heimweg dagegen redete M sich ein, dass er dies am nächsten oder übernächsten Abend sicherlich wagen würde, mit einem besseren oder frischeren Hemd oder einem Fisherman's Friend.
M macht sich Gedanken und diese Gedanken machen sich dann eigene Gedanken und die denken selbsttätig weiter und so nimmt das Gedenke kein Ende.
M denkt, vis à vis zur Bib am liebsten über Wörter nach. Das erscheint ihm der rechte Platz dafür.
Eben hatte er das Wort fakultativ zerkaut und vor die juristische Fakultät gespuckt. Erschien ihm auch der rechte Platz dafür. Nun spielte er in seinem Mund mit dem Wort Niedertracht herum, als wäre es ein rhetorischer Kieselstein. M bedauerte das Wort, weil es einsam ist, noch einsamer als M, denn die Niedertracht ist ihrer logischen Schwester der Hochtracht verlustigt und steht auch ihren anderen Blutsverwandten nicht besonders nah. Ihre Mutter, die Tracht, will nichts mehr mit ihr zu tun haben, weil sie jetzt nur noch in Mode macht.
Niederträchtig versteht jeder richtig , aber hochträchtig versteht jeder falsch. Das ist die Sache. Obwohl, was heißt hier falsch? Sie verstehen das Wort, wie es gemeint war und das ist das, was der Niedertracht weh tut, sie hat keine Entsprechung mehr und ist einsam und meistens von den falschen Leuten aus den falschen Gründen in den Mund genommen.
"Darf ich mich vielleicht dort hinsetzen?"
M erschrak und schreckte auf. Eine Frau in einer schwarzen Weste, die wiederum unter sich eine weiße Bluse als Geisel hielt und zur Komplizin einen erstaunlich unpassenden, femininen, knallpinken Plisseerock hatte, stand vor M und zeigte mit dem dürren, blassen Arm auf das Ende der Bank. Zum geekigen Ensemble gehörte ein schwarzer und ein dunkelblauer Strickstrumpf, die beide erwähnt gehören.
"Darf ich?"
"Äah, ja, selbstverständlich...", stieß M aus mit einer Stimme, die sich der Tonart nicht sicher war und des Planeten auch nicht.
"Sie müssen schon rutschen", die Frau zeigte immer noch auf das Ende der Bank. "Sie wissen schon. Die Abstandsregeln..."
M hat seine eigenen Abstandsregeln zu Menschen und zur ganzen Welt, lange vor Corona und auch seine eigenen Anstands- und Zustandsregeln.
"Selbstverständlich...", wiederholte M und schob sich sitzend auf der Bank rüber, anstatt aufzustehen, um den Platz ja nicht zu verlieren, denn die, für die meisten merkwürdig, für M bemerkenswert bekleidete Frau, gefiel M. Er nahm mit einer zu hastigen und vermutlich unwirsch scheinenden Bewegung an seinen Beinen eine Krümelsäuberung vor, auch wenn er an diesem Tag gar nicht gegessen hatte auf seiner Bank.
"Bitte sehr...", sprach also M mit einer gewissen hochstaplerischen Galanz und ließ seine Hand die Frau, die sich als Bibliothekarin namens M-E entpuppen sollte, einladen. Aber dazu später mehr...
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