Tati eröffnete den Thread „Gedanken über Emanzipation und BDSM“ und erklärte eingangs, dass es durchaus Überschneidungen mit dem Thema hier gebe. In guter alter Tradition von Bad Weisheit springe ich hier nochmal zurück zum „Nässenden Sexvermittlungsthread“ und nutze die Gelegenheit, meinen (zugegebenermaßen nicht enden wollenden) Gedanken zu Ende zu führen (Sorry!), ohne hierbei den Anspruch zu erheben, dass dies der Weisheit letzter Schluss sei.
Ich glaube in der Tat, dass
MITUNTER ein Zusammenhang zwischen fortgeschrittener Emanzipation und der steigenden Anzahl von Menschen mit devoten/masochistischen Neigungen besteht:
Im Allgemeinen habe ich den Eindruck, dass viele Menschen mit dem Leben in unserer postindustriellen Gesellschaft überfordert sind. Immer mehr Menschen scheinen unter Depressionen, Burn Out oder anderen psychischen Erkrankungen zu leiden. Auf den Bestsellerlisten der Ratgeberliteratur ringen Glücksforscher, Esoteriker und Work-Life-Balance-Autoren um die Vormachtstellung.
Beispielsweise war die Arbeitswelt im Industriezeitalter lange Zeit davon geprägt, dass es einen Unternehmenspatriarchen gab, der autoritär durchregierte. Der Mitarbeiter hatte kaum EntscheidungsFREIHEITEN. Lange Zeit kämpften Arbeiter und Gewerkschafften für mehr MITBESTIMMUNG. Heute hingegen ist die Arbeitswelt mitunter so komplex geworden, dass das erforderliche Wissen, um einen Betrieb aufrechtzuerhalten kaum noch in einer Person abgebildet werden kann. D.h. Mitarbeiter haben nun deutlich mehr FREIHEITEN, MITBESTIMMUNGSRECHTE und EINFLUSS. Aber es ist nicht so, dass sie nur mehr VERANTWORTUNG übernehmen dürfen – Nein, sie
MÜSSEN es! Und damit kommen viele nicht zurecht.
Und was hat das mit unserem Thema zu tun? Nun, ich lese hier immer wieder, dass der Reiz an BDSM mitunter darin läge, sich einfach mal fallen zu lassen –
VERANTWORTUNG abzugeben. Und an diesem Punkt sehe ich Schnittstellen zu unserem beruflichen Alltag. Frauen waren über Jahrhunderte den Männern unterworfen und haben berechtigterweise dagegen aufbegehrt. Sie haben nicht nur für Gleichberechtigung und Gleichstellung in der Gesellschaft gekämpft, sondern auch um sexuelle Selbstbestimmung. Heute verfügen Frauen über mehr Freiheit hinsichtlich des Auslebens ihrer Sexualität – und das als Gleichgestellte! Doch es scheint, dass viele mit dieser gewonnenen Freiheit und mit der damit einhergehenden
VERANTWORTUNG für die eigene Sexualität (noch) nicht zurechtkommen und diese nun häufig freiwillig und selbstbestimmend an den Mann zurückgeben wollen. Das klingt emanzipiert – ist es aber m.E. nicht!
Und wie verhält sich das bei Männern? Die Emanzipation hat dazu geführt, dass viele Frauen selbstbewusster geworden sind und ihre sexuellen Wünsche, Präferenzen etc. mitunter freimütig äußern und Anforderungen an einen potentiellen Liebhaber stellen. Das scheint viele Männer einzuschüchtern und am Ego zu kratzen. Einige reagieren nun damit, sexuell aufgeschlossene und selbstbewusste Frauen (wie bisher) abzuwerten oder zu „unterdrücken“. (Gerade Letzteres scheint nicht ausschließlich negativ bei allen Frauen anzukommen). Andere hingegen verfallen offenbar in ein ähnliches Muster wie weiter oben beschrieben. Hierzu ein kleiner Dialog, der sich vor kurzem im BDSM-Forum ergab:
********************ste) Frau:
Und ich behaupte ganz frech, dass viele Männer gar nicht richtig vögeln können und vielen Männern macht es einfach Angst, dass sie diese Wünsche der Frauen nicht erfüllen können oder auch wollen.
*********Mann:
Jo,ich gebs zu,ich bin Sklave,weil ich nicht weiss,wie ich ne Frau sexuell wirklich befriedigen kann-mir mangelt es an Erfahrung, ganz klar. Und irgendwann hab ich aufgegeben, den Mann zu spielen, und geb mich halt als Sklave …
Auch viele Männer kommen offenbar mit den neuen Rahmenbedingungen nicht zurecht. Aus Angst davor, den weiblichen Anforderungen nicht zu genügen, geben sie die
VERANTWORTUNG ab und suchen ihre Befriedigung in der Sklavenrolle.
********1970:
Ich glaube, dass Männer, die sexuell aufgeschlossene Frauen als "Schlampen" bezeichnen, in erster Linie ein Problem mit sich selbst haben - der klassische Konflikt von Alter Ego und den Trieben. Und da es (mal ausnahmsweise völlig unabhängig vom Geschlecht) immer einfacher ist, die Schuld (in diesem Fall die moralische) bei Anderen zu suchen als bei sich selbst, werten sie Frauen ab.
Auch bei einigen Frauen besteht ganz offensichtlich dieser klassische Konflikt. Mit der „selbstbestimmten“ und „freien“ Einnahme der devoten Rolle jedoch, bietet sich nun die Möglichkeit, „zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“.
Denn nun müssen sie weder Verantwortung für die Erfüllung ihrer sexuellen Wünsche (und der des Partners) - noch für den eigenen inneren (moralischen) Konflikt übernehmen. Bei anonymen Sex, bei dem Männer als reine
„Wunscherfüller“ fungieren, kann wohl ein ähnliches Muster zu Grunde gelegt werden.
So verständlich dieses Verhalten auch sein mag, so sehr führt es aber m.E. auch den Gedanken der Emanzipation ad absurdum. Selbstbefreiung, Selbstbestimmung und Mündigkeit erfordern nämlich allen voran
SELBSTVERANTWORTUNG. Das gilt nicht nur - aber auch und insbesondere - für die eigene Sexualität.