Vieles, was die „anarchische Beziehungsform“ ausmacht, kann ich unterschreiben:
Offenheit und Ehrlichkeit, Freiwilligkeit, jedem seinen ganz eigenen Bereich zugestehen, natürlich Respekt vor den Eigenheiten, keinen Anspruch auf "Erlösung, Freundschaft, Loyalität dem Liebespartner gegenüber, keine ständigen ritualisierten Gesten.
Eine Partnerschaft besteht für mich im Idealfall kurz gesagt aus erotischer Beziehung, loyaler Freundschaft und dem Gewähren von eigenständigen Außenkontakten.
In der Allgemeinheit ist es keineswegs eine exklusive Besonderheit einer „anarchische Beziehungsform“ und sollte m. E. Grundlage jeglicher ernst zu nehmenden Beziehung(sform) sein. Spannend wird es, wenn man sich einzelne Attribute genauer ansieht, also von einer 100% Forderungen abweicht.
Ich nehme mal exemplarisch die Loyalität. Nehme an Du hast das Adjektiv loyal im Sinne von, die Interessen anderer achtend, benutzt. konkret, wann verhält man sich loyal? Nehme mal ein Beispiel aus meinem Leben. Meine seinerzeitige Partnerin hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Herkunftsfamilie. Die Familie hat mich allerdings abgelehnt, was teilweise wirklich groteske Züge angenommen hat. So wurde ich von einer Feierlichkeit, in unserer gemeinsamen Wohnung, explizit von der Familie ausgeladen. Begründung ich gehöre nicht dazu. Versetzt dich kurz in diese Situation, was wäre hier deine Vorstellung von Loyalität? Den Kontakt zur Herkunftsfamilie abbrechen, unter Protest mit dem Partner zusammen den Kontakt zur Familie halten, oder noch was anderes? Wo verläuft der Übergang von loyal zu illoyal?
Oder wie Du schreibst „Gewähren von eigenständigen Außenkontakten“. Wann ist das erfüllt? Selbstständig zum Friseur gehen zu können, selbstständig die Freundin/den Freund besuchen zu können, mit Übernachtung, oder Urlaub. In vorheriger Absprache oder ganz spontan?
Es ist ganz sicher auch eine Frage des Alters, was als selbstverständlich und was als besonders angesehen empfindet. In unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft ist es noch nicht so wirklich lange her, dass Frauen halbwegs eigenständige Dinge machen durften - jedenfalls formal und offiziell. Bis 1997 war die Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar. Bis 1977 musste Frau noch um Erlaubnis des Mannes fragen, wollte sie arbeiten. Erst ab 1969 galt eine verheiratete Frau als geschäftsfähig. Bis 1958 hatte der Mann das alleinige Bestimmungsrecht über Frau und Kinder inne.
... Damit habe ich eine Grundrichtung, die mein Leben bestimmen sollte, bereits ein wenig vorweg genommen.
Damals beschloss ich, nie zu heiraten. Das habe ich bis heute so gehalten,
Hast Du es Dir nicht zugetraut es „besser“ zu machen als die „Alten“? In meiner damaligen Vorstellungswelt war das jedenfalls so, ich fühlte mich um so vieles schlauer als die Alten. Eins war klar, so wie die wollte ich nie werden.
Für mich ist die Ehe in erster Linie ein Bekenntnis eines Paares an seine Freunde und die Herkunftsfamilien, ja wir wollen es ernsthaft miteinander versuchen. Für mich hat das erst mal nichts mit dem Staat und erst recht nichts mit Kirche zu tun.
Eigentlich würde ich bis hierher daraus schließen, Du hast dies in Deinem Leben anders erlebt und lehnst deshalb eine formalisierte Partnerschaft ab. Nun weis ich ja auch von dir, aus einem anderen Beitrag, dass du eigentlich viel „Gutes“ in puncto Beziehungen erlebt hast. Deine Eltern hatten „bis weit ins fortgeschrittene Alter [eine] erotisch erfüllende Ehe geführt.“ Was du als Vorbild für den eigenen Lebensentwurf, als nicht ganz unwichtig beschrieben hast. Ferner gab es zwei lange Beziehungen, die leidenschaftlich und befriedigend waren, eigentlich toll. Für mich ist hier ein gewisser Widerspruch zu erkennen, Lebenserfahrung und eigenes Wünschen/Handeln divergieren.
Ich wollte nicht versorgt und damit abhängig werden. Meine Mutter, die bis auf die ersten Jahre immer berufstätig war, empfand ich nicht als "abhängig". Auch die Bäurinnen in dem Dorf, in dem ich meine ersten 9 Jahre verbrachte, waren selbstbewusste, berufstätige Frauen.
Auch bis hierher vermag ich keinen gewichtigen Grund zu erkennen, weshalb aus dem Erlebten die Konsequenz erwachsen sollte, keine auf Dauer angelegte Partnerschaft anstreben zu wollen. Das auch Frau selbstständig bleiben kann hast du doch bei deiner Mutter erlebt.
Später aber konnte ich es bei den Hausfrauenmüttern meiner Schulkolleginnen in der Kleinstadt sehr genau beobachten. So wollte ich nicht werden, ich hatte meine berufliche Vision und ich wollte auf jeden Fall autonom bleiben.
Solches Erleben hat bei mir in dem Alter eher dazu geführt mir zu sagen, das bekomme ich besser hin. Selbst wenn man daran nicht glaubt, reicht dann diese Erfahrung aus, es selbst nicht probieren zu wollen, es für sich abzulehnen?
Trotzdem wollte ich immer auch Kinder und eine Art Familienleben, als freiwillige Vereinbarung. Bei all meinem Autonomiebedürfnis bin ich ein Beziehungsmensch ...
Was heißt hier „als freiwillige Vereinbarung“? Problemlose „Kündigung“ im Bedarfsfall. Hast Du die Befürchtung (gehabt), eine Heirat würde dich unangemessen in deinem Handeln einschränken? Vollständige Autonomie ist doch spätestens wenn man Kinder hat eine Illusion. Da wäre der Trauschein im Falle einer Trennung wenig relevant.
Hast du Angst vor zu viel Nähe und das du dich darin verlieren könntest, Angst vor einer symbiontischen Beziehung?
Sowieso sind meine engen Freundschaften zu Frauen und Männern sehr überschaubar.
Persönlich ist mir Qualität wichtiger als Quantität und einen großen Freundeskreis dauerhaft zu pflegen, daran hab ich nicht so das Interesse. Hättest du gern mehr Freunde?
Da waren wir junge experimentierfreudige Studenten und wollten alles neu erfinden, vor allem keine Besitzansprüche stellen. Das ging schief, mir hat das nicht entsprochen, das habe ich sehr schnell bemerkt. Es hat mich unglücklich gemacht und mir meine Wurzeln gezogen.
Und was heißt das jetzt in Bezug auf „Besitzansprüche“? Empfindest du noch (exklusive) Besitzansprüche oder bist davon frei?
Ich bin sicher: Zukünftig werden Menschen in ganz unterschiedlichen Beziehungsmustern leben können. Das Modell der anarchischen Beziehung hat für mich gute Chancen, zu überleben, nicht nur als Modeerscheinung in der Schublade zu verschwinden. Für viele Menschen wird es ganz bestimmt die bessere Alternative zur romantischen Zweierbeziehung oder Freundschaft-Plus oder Seriellen Monogamie oder was auch immer sein.
Eigentlich finde ich das eine Bereicherung, auch wenn ich selbst so nicht leben möchte.
Ich bin mir da keineswegs so sicher. Das Konzept ist für mich sehr theoretisch und verkopft. Das ist nicht jedermanns Sache. Wenn man so will ein Geschäftsmodell mit optimierten Kosten und Nutzen - ohne Kündigungsfristen oder freundlicher ausgedrückt mit geringer Verbindlichkeit. Ich denke, in der breiten Masse wird es eher bei den seriell romantischen Zweierbeziehungen bleiben, aber wie du schon erwähnt hast, wird es daneben ganz unterschiedliche Beziehungsmuster gelebt werden. Jedenfalls hoffe ich das, dies möglich sein wird.