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Bücherwurm

*****011 Frau
2.467 Beiträge
Nicola Förg, Rabenschwarze Beute
Als ich neulich mit der Grippe darniederlag und den Wunsch nach etwas Leichtem zum Lesen äußerte, brachte mein hilfsbereiter Nachwuchs mir dieses Buch aus der Stadt mit. Es trägt den Untertitel "Ein Alpenkrimi" und spielt in Murnau und Umgebung. Ein Architekt wird während des Silvesterfeuerwerks vom Balkon geschossen, die Polizeidirektion Murnau mit den Kommissarinnen Mangold und Reindl ermittelt. Schnell stellt sich heraus, dass der Ermordete ein militanter Vogelschützer war und sich jede Menge Feinde gemacht hatte.

Dann verschwindet, als die Ermittler sich zu einem gruppendynamischen Wochenende auf einer Skihütte aufhält, die Tochter der Modebloggerin La Jolina, die dort ein Shooting hat. Wenig später wird sie erfroren gefunden. Die Kommissarinnen stochern in beiden Fällen im Nebel, bis schließlich doch eine Verbindung durch ein Unglück auftaucht, das zehn Jahre zurückliegt ...

Ich tat mich anfangs ein bisschen schwer, das Personal zu sortieren, da es sich um eine Serie handelt, und ich keines der Vorgängerbücher kenne. Ansonsten erfüllte es seinen Zweck, es war leicht zu lesen, spannend und lenkte mich von meinem Elend ab. Aber ich war nicht mehr krank genug, um mich nicht aufzuregen, als ich zu folgendem Satz kam: "Die NS-Architektur marodierte vor sich hin, die Steine waren verwittert und abgeblättert" ... Muss ich mich wirklich daran gewöhnen, dass Autorinnen und Autoren die Bedeutung von Wörtern nicht kennen. dass sie laut Klappentext Germanistik studiert hat, macht es noch schlimmer. Denn Architektur kann wohl marode sein, aber nicht marodieren. Und "marodieren" und "vor sich hin" ist ein weiterer Widerspruch in sich.
*******ster Mann
1.978 Beiträge
Kann man, muss aber nicht
aufzuregen, als ich zu folgendem Satz kam: "Die NS-Architektur marodierte vor sich hin, die Steine waren verwittert und abgeblättert" ...
Würde ich als Freiheit der Veränderung von Wortsinn anerkennen.
Einem Wort durch nachfolgende Definition
" die Steine waren verwittert und abgeblättert" ...
eine geänderte Bedeutung zu geben finde ich anregend.
Hat es ja auch, wie man liest. *top*
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Ich wage zu bezweifeln, dass die Autorin sich irgendwas dabei gedacht hat, und unterstelle Ahnungs- und Achtlosigkeit. und eingesparte Lektorinnenstellen beim Verlag *gr2* .
*******enig Mann
9.841 Beiträge
öhm, nein, mir scheint es anders:
ich vermute mal, die Autorin (ist doch eine, oder?) wollte besonders originell sein.

Statt zu schreiben "die alte Nazi-Architektur war schon reichlich marode" meinte sie vielleicht bei der kaufbestimmenden Leserjugend von 14-49 besser anzukommen, wenn sie die Beobachtung etwas lässiger formuliert. Ich mein "marodisiert vor sich hin" hört sich doch total lässig an, so wie bröckelt vor sich in oder stirbt vor sich hin oder, doder, moder (jetzt hab ich mal ne lässige Formulierung erfunden, was bin ich bloß für ein lässiger Hund).

Ich weiß, es tut weh - die Art und Weise, wie manche Menschen von dieser wunderbaren deutschen Sprache Gebrauch machen. Trotzdem möchte ich dich dazu ermutigen dich eben nicht zu ärgern. Lohnt einfach den Aufwand nicht...
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Tja, "hier steh ich, und kann nicht anders". Der Ärger kommt ganz automatisch, auch wenn er natürlich nichts bringt. Und du hast recht, der Wunsch nach Originalität, könnte auch ein Motiv sein.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker
Dass unsere Welt sich gegenwärtig rasant verändert, weiß inzwischen jeder. Doch wie reagieren wir darauf? Die einen feiern die digitale Zukunft mit erschreckender Naivität und erwarten die Veränderungen wie das Wetter. Die Politik scheint den großen Umbruch nicht ernst zu nehmen. Sie dekoriert noch einmal auf der Titanic die Liegestühle um. Andere warnen vor der Diktatur der Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley. Und wieder andere möchten am liebsten die Decke über den Kopf ziehen und zurück in die Vergangenheit.

Richard David Precht skizziert dagegen das Bild einer wünschenswerten Zukunft im digitalen Zeitalter. Ist das Ende der Leistungsgesellschaft, wie wir sie kannten, überhaupt ein Verlust? Für Precht enthält es die Chance, in Zukunft erfüllter und selbstbestimmter zu leben. Doch dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen und unser Gesellschaftssystem konsequent verändern. Denn zu arbeiten, etwas zu gestalten, sich selbst zu verwirklichen, liegt in der Natur des Menschen. Von neun bis fünf in einem Büro zu sitzen und dafür Lohn zu bekommen nicht!

Dieses Buch will zeigen, wo die Weichen liegen, die wir richtig stellen müssen. Denn die Zukunft kommt nicht - sie wird von uns gemacht! Die Frage ist nicht: Wie werden wir leben? Sondern: Wie wollen wir leben?

Das Buch hat mir einen guten Einblick in die großen Zusammenhänge von Wirtschaft und Politik verschafft. Auch die Bedeutung, die Chancen und Grenzen der neuen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstehe ich jetzt besser.

Unbedingt lesenswert!

meint

Luccio *les*
*******enig Mann
9.841 Beiträge
Precht ist einfach große Klasse....
leider sind seine Wahrheiten zu einfach und vor allem zu schmerzhaft, als dass sie gerne gehört würden, geschweige denn, dass sie ernst genommen würden. Sehr interessant übrigens auch sein Standpunkt zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ein kluger Mann, und dabei auch noch von schöner und feingliedriger Gestalt...;)
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Fernsehtipp
Letzten Sommer haben wir hier ja ausführlich über "Unterwerfung" von Michel Houellebecq diskutiert, Heute abend sendet das Erste die Verfilmung mit Matthias Brandt und Edgar Selge. (20.15 Uhr ). Anschließend wird bei Maischberger zum Thema Die Islamdebatte- Wo endet die Toleranz? gestritten. Ich fürchte, das überschreitet die Grenzen meiner Toleranz.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Dankeschön, liebe Doro, für den Tipp!
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Markus Feldenkirchen, Die Schulz-Story
Noch nie hat ein Politiker so einen rasanten Aufstieg und so einen tiefen Fall erlebt wie Martin Schulz. Während er zu Beginn des Wahlkampfs als Retter der SPD und möglicher Bundeskanzler galt, ist er ein Jahr später mit seinem Anspruch, eine andere, ehrlichere Politik zu machen, auf ganzer Linie gescheitert. Erst verlor er die Wahl, dann den Rückhalt der Partei und seine Posten.

Markus Feldenkirchen hat Martin Schulz durch die Höhen und Tiefen des Wahlkampfs und den darauffolgenden Absturz begleitet, so exklusiv und hautnah, wie es in Deutschland bislang nicht möglich gewesen ist - selbst am Abend vor seinem Rücktritt. Eindrucksvoll erzählt er in seinem Buch nun die ganze Geschichte eines politischen und persönlichen Dramas.

Was mir besonders gefallen hat, ist, dass sich der Verdacht, den ich bereits während des Wahlkampfs hatte, nämlich dass sich hinter den Kulissen ein gewaltiger Machtkampf abspielte, bestätigt hat. Natürlich kann der Autor in seinem Buch die Strippenzieher und Intriganten nicht beim Namen nennen. Zwischen den Zeilen kann man aber durchaus die wahren Vorgänge herauslesen:

Niemand in der SPD - außer dem etwas naiven Martin Schulz, der als Europapolitiker die Berliner Polit-Szene kaum kannte - hatte sich auch nur die geringste Chance ausgerechnet, gegen Merkel die Wahl gewinnen zu können. So suchte und fand man einen, der den undankbaren Job übernahm und sich mit seinem Scheitern die Karriere ruinierte.

Während Schulz sich redlich bemühte und bis an seine physischen und psychischen Grenzen ging, planten andere Spitzenpolitiker der SPD bereits ihre Karrieren für die Zeit nach der Wahl. Und genau diese Leute, im wesentlichen Olaf Scholz und Andrea Nahles nämlich, sind die Gewinner der Wahl.

Ich bin letzte Nacht erst um halb Drei ins Bett gekommen, weil ich das Buch nicht zur Seite legen konnte, ohne es bis zu Ende gelesen zu haben.

Unbedingt lesenswert! Ihr werdet jedes Vorurteil über Politiker und ihre Machtspielchen bestätigt finden. Und nicht nur mir wird der glücklose Martin Schulz im Nachhinein recht sympathisch sein.

orakelt

Luccio *les*
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Hanns-Josef Ortheil, Die große Liebe
Hanns-Josef Ortheil erzählt von der leidenschaftlichen Liebe eines Paares, das sich an der italienischen Adria-Küste kennenlernt. Er, ein deutscher Fernsehredakteur, recherchiert dort für einen Film über das Meer, sie ist Meeresbiologin und leitet ein Forschungsinstitut.

Er hat sich gerade aus einer längeren Beziehung gelöst, sie ist mit einem Institutskollegen verlobt. Beide sind fasziniert vom Wasser, seinen Farben, Gerüchen, und bereits über ihrer ersten Begegnung liegt eine eigentümliche Magie.

Der Autor, 1951 in Köln geboren, gehört zu den bedeutenden deutschen Autoren der Gegenwart, sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er lehrt als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim.

Mir hat vor allem die wunderbar sinnliche und meisterlich präzise Sprache gefallen. So heißt es über die Bahnfahrt nach Italien:

Sogar das alte Glücksgefühl ist wieder da, ein Gefühl, das mit dem Alleinreisen zu tun hat, als bräuchte man zum Alleinreisen Kraft, Überwindung und Ausdauer und als belohnte einen das Glück, wenn man von alledem genug aufbietet.


Und über das Tauchen im Meer schreibt er:

Ich versuchte, immer länger unter Wasser zu bleiben, die Welt dort unten hatte etwas Geheimes, Abgeschlossenes, das sich jedem Zugriff entzog und einem nur noch die Rolle des Beobachters ließ. So war die Wahrnehmung auf das Visuelle beschränkt, schon die Lautlosigkeit sorgte dafür, aber auch die Distanz zur Umgebung, keine Berührung, lediglich ein Schweben, wie eine unendlich angenehme Schwerelosigkeit, ich konnte mir sofort vorstellen, dass man nach diesen Zuständen süchtig werden konnte, der reine Selbstbezug der Wahrnehmung euphorisierte.

Bemerkenswert ist auch, wie Ortheil lebhafte Gespräche mit rasch wechselnder Rede und Gegenrede in einem Fluss und ohne Anführungszeichen darstellt. Das gibt der Erzählung etwas Schwungvolles und euphorisiert den Leser geradezu. Hier ein Beispiel:

Seltsam und beinahe unerklärlich ist nur, sagte er weiter, warum kaum jemand von unseren Küstenbewohnern ins Meer geht, immer wieder frage ich mich, was dahintersteckt, in ganz Europa stürzen sich die Menschen mit Wollust in die Fluten, hier aber nicht, haben Sie es bemerkt und haben Sie eine Erklärung dafür? Er wartete, ich überlegte kurz, dann sagte ich, dass ich mir die Abneigung gegen das Schwimmen mit der jahrhundertealten Furcht oder Scheu vor dem Meer erkläre, die älteren Generationen erinnerten sich bestimmt noch daran, niemand habe früher im Meer gebadet, das Meer sei ein beunruhigendes und fremdes Terrain gewesen, eine Zone der Gefahr und des Diffusen. Ja, antwortete er, diese traditionelle Abwehr oder Scheu, wie Sie es nennen, spielt gewiss eine wichtige Rolle, sie hat sich in Italien, wo die Verhaltensformen sowieso stärker vererbt werden als anderswo, von den Großeltern auf die Eltern und Kinder übertragen, seit einiger Zeit wird übrigens gegen Elf Uhr am Morgen hier und dort eine Morgengymnastik veranstaltet, da sind nun wiederum viele dabei, sie gehen dann sogar für eine halbe Stunde ins Wasser, auch das ist seltsam und bedarf einer Erklärung, haben Sie etwa eine? Vielleicht, sagte ich, hat diese Ausnahme und Überwindung der sonst starken Vorbehalte mit der Musik zu tun, die Musik zur Morgengymnastik ist nämlich sehr laut, sie zerstört den ruhigen und eher beschaulichen Raum, den der Strand ja sonst darstellt, und macht aus ihm eine beliebige sportive Zone, in der man eben, weil es heiß ist und man sich dazu noch bewegen muss, bis zu den Knien im kühlenden Wasser steht. Fabelhaft, sagte er, und sehr einleuchtend [...]


Die Passage geht noch weiter, sie ist für mich eine der Kernstellen des Romans und unglaublich anregend. Ich verspürte beim Lesen einen lebhaften Drang, mich in das Gespräch einzuschalten und meine eigenen Ideen zum Thema mitzuteilen.

Unbedingt lesenswert!

empfiehlt

Luccio *les*
*******enig Mann
9.841 Beiträge
immer wieder schön zu lesen
mit welcher Begeisterung du liest und wie intensiv du uns deine Empfehlung(en) näher bringst...:)
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Sandra Dallas, Das Tagebuch der Mattie Spenser
Wie ein gefühlvoller, melancholischer Blues ...
... so präsentiert sich das Tagebuch der Mattie Spenser, einer selbstbewussten Pionierin, die vor mehr als hundertfünfzig Jahren mit ihrem Mann Luke nach Colorado aufgebrochen war, um im Westen eine neue Existenz aufzubauen.

Hoffnungsfroh und voller Tatendrang sieht die junge Frau ihrem neuen Leben entgegen und lässt sich von den harten Realitäten des entbehrungsreichen Alltags in dem kargen Landstrich nicht einschüchtern.

Mattie Spenser ist von unbezähmbarem Geist und Willen, scharfzüngig und witzig und dennoch warmherzig. Eine Frau, die man ins Herz schließt, mit der man weint und lacht und an die man sich gern erinnert.

Sandra Dallas, die in Denver, Colorado, lebt, arbeitet als Journalistin u.a. für Business Week und Denver Post. Nach der Veröffentlichung zahlreicher Sachbücher hat sie sich mit ihrem erfolgreichen Debüt "Busters Café" einen Namen als Romanautorin gemacht. Zuletzt erschien bei Heyne "Der Club der Patchwork-Frauen".

Mehr als die bittersüße Liebesgeschichte, die sich durch den Roman zieht, haben mich die Schilderungen der brutal harten Erfahrungen beeindruckt, Erzählungen aus einem fernen Alltag, wie er unromantischer nicht sein könnte.

Die große Einsamkeit und Isoliertheit:

Die gleißende Sonne hat mir wieder Kopfschmerzen beschert, und ich habe das Gefühl, als hätte mir jemand ein glühendheißes Schüreisen in den Kopf gebohrt. Ich bin froh, dass Luke heute fort ist und ich allein meinem Unwohlsein frönen kann. Er hat nur wenig Verständnis für Schwächen, so dass ich mich bemühen muss, meine Leiden zu verbergen. Ich genieße die Tage, wenn Luke in die Stadt reitet, weil ich dann Gelegenheit habe, Zeit mit meinem Tagebuch zu verbringen. Da ich noch keine Frau kennengelernt habe, die meine beste Freundin sein könnte, dient mir dieses Buch als stumme Begleiterin, als Zeugin für meine Freuden und Leiden und Bekenntnisse. Es hilft mir, wenn ich dem Tagebuch die Dinge anvertraue, die ich sonst keinem sagen kann.

Die unglaubliche Härte des Klimas:

Ganz in der Ferne entdeckte ich eine schwarze Wolke, die ein wenig wie ein Trichter aussah. Die schwarze Form fegte mit großer Geschwindigkeit über die Prärie, wirbelte im Wind herum und kam auf mich zugerast. Ich spürte am ganzen Körper ein Kribbeln und drückte Bübchen an mich, weil ich mir von ihm soviel Trost erwartete wie er von mir, denn ein düsteres Gefühl senkte sich auf mich. Als die merkwürdig geformte Wolke näher kam, drehte ich mich um und wollte uns beide unter dem Quilt verstecken, doch ich änderte meinen Entschluss und krabbelte mit Bübchen, den ich vor mir her schob, unter das Bett. Um mich herum bebte die Hütte so sehr, dass ich dachte, sie würde weggeweht, und ich und Bübchen mit, und ich fing auch an zu zittern, denn es war, als würde Armageddon gleich hier vor unserer Scheune ausgetragen.


Der unbarmherzige Kampf mit den Ureinwohnern:

Die Soldaten waren auf Indianer gestoßen und hatten sie in einen Kampf verwickelt, bei dem sie zwei umbrachten. Moses brachte ein Paar Mokassins als Souvenir und überreichte sie Jessie, die sich sehr darüber freute, weil sie ganz weich und gut gearbeitet sind. Auch Brownie brachte ein Andenken mit, eine widerliche Trophäe, deren Abscheulichkeit ihm gefällt. Es ist das Skrotum eines Indianers, das er ihm selbst abgehackt hat. Er sagt, er werde es sich gerben lassen und als Tabakbeutel benutzen. Die roten Feinde sind nicht die einzigen Barbaren in diesem Land.


Ein unvergessliches Buch und beeindruckendes Zeitzeugnis!

meint

Luccio *les*
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Robert Carter, Talwar - Der Roman Indiens
Wer sich mit Begeisterung an M. M. Kayes Palast der Winde erinnert, wird von diesem großen historischen Roman Robert Carters fasziniert sein. Schauplatz seiner Geschichte ist das Indien des 18. Jahrhunderts, eine Zeit, in der Engländer und Franzosen, die sich zur gleichen Zeit auch in Europa und Amerika bekriegten, um die Vorherrschaft in Indien kämpften und versuchten, sich die Schwäche des Mogulreiches zu Nutze zu machen.

In den Wirren des drohenden Bürgerkrieges agieren drei Männer - der Neuengländer Hayden Flint, der Mogulherrscher Muhammad Ali und der Engländer Robert Clive - und zwei Frauen - Arkali Savage, die Verlobte Hayden Flints, und Yasmin Begum, die Frau Muhammad Alis.

Robert Carter, 1955 in England geboren, studierte Physik und Mathematik und arbeitete für eine Ölfirma in Saudi-Arabien, Irak, Iran, Zaire, Angola und Schottland, später für die BBC. 1980 erschien sein erster Roman.

Den Untertitel des Buches - Der Roman Indiens - finde ich etwas problematisch, denn zum Einen geht es nur um einen kleinen Ausschnitt, sowohl geografisch als auch zeitlich, und zum Anderen hätte ein Inder die Geschichte vermutlich völlig anders erzählt. Wer sich jedoch auf die spannende Erzählweise und die detailreiche Schilderung einlässt, die von großer Sachkenntnis und akribischer Recherche zeugt, wird seine Freude daran haben. Und das Beste: Es gibt ein Happy End, zumindest für die Hauptpersonen, wenn auch nicht für Indien.

Hier eine kleine Kostprobe: Arkali ist entführt und in die Frauengemächer Muhammad Alis verbracht worden. Nach Monaten scheint sich die erste Chance auf Kontakt zur Außenwelt aufzutun ...

Nach und nach nahm sie einen rhythmischen Schlag wahr. Es hörte sich wie Marschieren an ...
Sie lauschte, das Geräusch kam näher. Es hallte von dem hohen Mauerwerk wider. Sie blickte in die Runde, versuchte auszumachen, aus welcher Richtung das Geräusch kam.
"Er da! Zieh er sich anständig an, Mann!"
Sie hörte es deutlich. Irischer Akzent. Irisch!
"Stillgestanden!"
Das Marschgeräusch verstummte. Dann kam der Befehl, sich zu rühren.
Sie lief an die Mauer und legte ihr Auge an den Riss. Und da waren sie! Soldaten, rotberockte Europäer. Männer in Kompanie-Uniformen, Dutzende und Aberdutzende. Sie lehnten ihre Musketen an die Mauer, ließen sich neben ihren Waffen auf die Straße sacken und tranken durstig aus Feldflaschen wie nach einem anstrengenden Marsch. Den Offizier mit dem Dreispitz erkannte sie sogleich. Es war Hauptmann Cope von Fort St. David.
Arkali rief seinen Namen, als er aus ihrem Blickfeld rückte. Er hörte sie nicht.


Für alle Freunde historischer Romane: sehr lesenswert!

findet

Luccio *les*
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Rachel Joyce, Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold F
Harold Fry will nur kurz einen Brief einwerfen an seine frühere Kollegin Queenie Hennessy, die im Sterben liegt. Doch dann läuft er am Briefkasten vorbei und auch am Postamt, aus der Stadt hinaus und immer weiter, 87 Tage, 1000 km. Zu Fuß von Südengland bis an die schottische Grenze zu Queenies Hospiz. Eine Reise, die er jeden Tag neu beginnen muss. Für Queenie. Für seine Frau Maureen. Für seinen Sohn David. Für sich selbst. Und für uns alle.

Rachel Joyce, geb. 1962 in London, ist eine britische Schauspielerin und Schriftstellerin. 2012 hatte sie mit diesem Buch einen weltweiten Bestseller. Dieser fand 2016 seine Fortsetzung in dem Roman Das Geheimnis der Queenie Hennessy.

Ich habe den Roman als Hörbuch eben erst zu Ende gehört und bin noch leicht geplättet. Glänzend geschrieben und voller überraschender Wendungen, macht das Buch Lust darauf, selbst einfach so loszulaufen.

Am besten schon vor dem Lesen den Rucksack packen!

rät

Luccio *les*
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Man braucht Blasenpflaster beim Lesen, denn man leidet bei jeder von Harolds Blasen höllenqualen bei jedem beschriebenen Schritt.
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Fernando Aramburu, Patria
Dieses Buch hat mich das letzte halbe Jahr begleitet, es liest sich also nicht mal eben schnell weg, sondern es fordert Zeit und auch ein wenig Mühe, die sich aber unbedingt lohnen. Es nimmt die Leser mit nach San Sebastian und in dessen gebirgiges Hinterland, und es erzählt die Geschichte zweier Familien, die einst eng befreundet waren, dann aber im baskischen Bürgerkrieg auf die verschiedenen Seiten geraten, der Sohn der einen tritt der ETA bei, während der Vater der anderen einem der Mordanschläge zum Opfer fällt. Die Charaktere sind komplizierte, nicht unbedingt sympathische Persönlichkeiten. Ich habe mich bei heftigen inneren Streitgesprächen mit einigen von ihnen, vor allem mit den Müttern, ertappt. Den baskischen Konflikt kannte ich vorher nur aus den Fernsehnachrichten, ich habe beim Lesen gelernt, dass es dabei nicht nur um die Unabhängigkeit von Spanien ging, sondern auch um den politischen Gegensatz von Kommunismus und Kapitalismus.

Die Geschichte wird aus der Perspektive aller handelnden Personen erzählt, was immer wieder zu überraschenden Wendungen führt.

Mich hat dieses Buch ein halbes Jahr lang nicht losgelassen, war definitiv das beste, das ich in langer zeit gelesen habe. Deshalb lege ich es euch hiermit ans Herz.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Danke, liebe Doro, für den interessanten Tipp! Hab mir gleich mal eine Leseprobe heruntergeladen. 🙋‍♀️
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Max Goldt, vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens
"Alle Jahre wieder", wenn die Weihnachtsmärkte wie Pilze aus dem Boden schießen, suche ich dieses Büchlein heraus und lese den wunderbaren gleichnamigen Text, der meine Aggressionen gegen den Weihnachtswahnsinn wunderbar lindert.

Für die, die ihn (noch) nicht kennen: Max Goldt schreibt assoziative Texte, in denen er von irgendeinem Aufhänger aus auf sehr komische Art vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt und dabei genau meine Art von Humor trifft.
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Rosa Ribas, Sonst ist er tot
Die Frankfurter Kommissarin Cornelia Weber Tejedor, Tochter eines deutschen Vaters und einer spanischen Mutter versucht eine Serie von Expressentführungen aufzuklären, die immer nach demselben Muster ablaufen: Entführung eines gut situierten, aber nicht wirklich reichen Mannes, Anruf bei der Ehefrau mit der Anweisung, allen Schmuck in eine Tüte zu tun und alle Konten zu räumen und die Tüte an einer bestimmten Stelle zu hinterlegen. Der Entführte kommt dann schnell frei. Bei der vierten Entführung wird das Muster durchbrochen, es wird mehr Lösegeld gefordert, und schließlich wird der Entführte tot aufgefunden. Cornelia wird als verantwortliche Ermittlerin vom Dienst suspendiert und von Gespenstern ihrer Vergangenheit gequält. Ihre beste Kindheitsfreundin wurde mit 12 entführt und ermordet und der Täter nie gefunden, der Auslöser für ihre Berufswahl ...

Ich bin durch meinen Spanischkurs auf diese Autorin gestoßen, in dem Buch, das wir benutzen, wurde das erste Buch der Reihe um Cornelia Weber Tejedor vorgestellt (Entre dos aguas, auf Deutsch unter dem Titel Kalter main erhältlich), und ich war fest entschlossen, es mir im Urlaub zu kaufen, aber leider ist es in Spanien vergriffen, aber die Buchhandlung, in der ich gefragt hatte, hatte diesen Titel vorrätig.

Ich werde noch eine Weile mit diesem Buch beschäftigt sein, denn auf Spanisch geht es einfach nicht so schnell, aber es ist die Antrengung wert. Mich fasziniert die Persönlichkeit der Protagonistin.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Schön, dass du den „Bücherwurm“ wieder aus dem Tiefschlaf holst, liebe Doro! Das spornt mich an, auch mal wieder über meine Lektüre zu erzählen! *les*
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Nino Haratischwili, Das achte Leben (für Brilka)

Dieses Buch erzählt die Geschichte einer georgischen Familie durch das ganze 20. Jahrhundert mit allen Grausamkeiten, die das Leben in diesem Jahrhundert und in der Sowjetunion zu bieten hatte. Eine geheimnisvolle Rolle spielt das Rezept für heiße Schokolade, das der Stammvater der Familie, ein Schokoladenfabrikant aus Tblissi entwickelt hat und das mit einem Fluch belegt zu sein scheint. Jeder, der diese Schokolade trinkt, wird vom Unglück verfolgt.

Erzählweise und Sprache der Autorin sind fesselnd und haben mich über Monate, andere Lektüren und 1300 Seiten bei der Stange gehalten. Die Figuren werden einfühlsam und psychologisch einleuchtend geschildert.

Die Autorin ist Georgierin, lebt in Deutschland und schreibt auch auf deutsch. Dafür hat sie meine große Bewunderung, einen so gewaltigen Roman in einer fremden Sprache zu schreiben, ist eine riesige Leistung.
1

20
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Audrey Erskine- Lindop, An die Laterne

Zuerst dachte ich: Na ja, ein unterhaltsames Historienabenteuer im Geiste der drei Musketiere, gut gegen Langeweile, aber bestimmt recht oberflächlich. Dann aber hat mich die Geschichte doch sehr in ihren Bann gezogen.

Sehr gründlich recherchiert, äußerst detailliert und milieugetreu erzählt, zog mich die Handlung unwiderstehlich in das Raum-Zeit-Gefüge der Französischen Revolution.

Fein gezeichnete Charaktere und - unverzichtbar! - eine große Portion Liebe und tiefe Freundschaft im Schatten der Guillotine machen das Buch zu einem echten Pageturner. *les*
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Eve Harris, Die Hochzeit der Chani Kaufman

Chani Kaufman ist hübsch, intelligent und hat ihren eigenen Kopf - nicht die besten Voraussetzungen auf dem hartumkämpften jüdisch-orthodoxen Heiratsmarkt. Schon gar nicht, wenn ihr zukünftiger Ehemann Baruch Levi sein soll. Baruch wird bald bald in Jerusalem studieren und der erste Rabbi in einer Familie erfolgreicher Unternehmer sein.

Chaim Zilberman und Rebecca Reuben waren auch einmal Studenten in Jerusalem. Heute sind sie Rabbi und Rebbetzin Zilberman, angesehene Mitglieder der orthodoxen Gemeinde Londons.
Aus Liebe hatte Rebecca in das streng geregelte Leben an der Seite eines Rabbi eingewilligt - Sneakers gegen Ballerinas, Jeans gegen bodenlange Röcke und den Wind in ihren langen Haaren gegen einen „Scheitel“ (Perücke der verheirateten Frau) getauscht.

Doch was ist Glück, was ist Selbstbestimmtheit unter den wachsamen Augen Gottes - und der Nachbarn?

Wer schon immer wissen wollte, wie der Alltag und das Weltbild der streng orthodoxen Juden aussieht und wie junge Menschen, die in dieses Milieu hineingeboren sind, versuchen, damit zurechtzukommen, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.
Hier ein Ausschnitt:

„Acht Mädchen!“, kreischte Mrs Kaufman, die Hände in den Rock gekrallt, „Noch eine Tochter, für die ein Chossen (Bräutigam) gefunden werden muss, noch eine Chassene (Heiratsvermittlerin), die bezahlt werden muss - wir schaffen das nicht mehr! Dein Vater hat schon genug Schulden. Die Hochzeiten deiner Schwestern haben ihn ruiniert ... Was sollen wir jetzt nur tun? Und du bist auch immer noch ohne Mann. HaSchem (Gott) muss uns für irgendetwas bestrafen ...“
Die Stimme ihrer Mutter war immer schriller geworden. Chani nahm sie so fest in die Arme, wie sie konnte. Das war doch sicher die Schuld ihres Vaters. Hätte er sich nicht zurückhalten können? Es musste doch einen Weg geben, um zu verhindern, dass man ein Baby bekam?
*****011 Frau
2.467 Beiträge
Theodor Fontane, Cécile

Die Frauen in meiner Literaturgruppe wollten im Fontanejahr gerne Fontane lesen. dass es dann genau dieses Buch wurde, habe ich angeregt, weil ich wusste, dass der Anfang in Thale im Harz spielt, wo ich als Kind oft zu Besuch war, weil meine Großeltern dort lebten. Und tatsächlich wurden beim Lesen viele Erinnerungen, die lange verblasst waren wieder lebendig.

Cécile und ihr Mann, ein Offizier außer Dienst verbringen ihre Sommerfrische in Thale und lernen den jungen, weitgereisten Ingenieur Robert v. Gordon kennen. Es gibt gemeinsame Unternehmungen und zwischen Cécile und Gordon spinnen sich zarte Bande an.

Ich kann dieses Buch nur eingeschränkt empfehlen. Die Sprache ist geschliffen (Fontane eben), der Erzählstil, aber sehr weitschweifig. Die Beschreibung eines Ausflugs zu lesen, dauert so lange wie ihn zu machen. Wer gerne in die preußische Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts eintaucht, dem sei dieser Roman ans Herz gelegt. ich fand aber das antiquierte Frauenbild gruselig und bin äußerst dankbar, damals noch nicht auf der Welt gewesen zu sein.
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