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Bücherwurm

*******irl Frau
488 Beiträge
Gleich zweimal: Oh jaa!

Einmal für den neugierig machenden Buchtip - das lese ich unbedingt! - und zum anderen für diese blöde (un)Funktion. Das hatte ich erst neulich grad hier mit einem Beitrag, wo ich mühsamst jede Menge Fotos hochgeladen hatte und das ist mit Schneckentempo-Verbindung eh schon echt nervig - dann war das Ganze auch noch weg! Grrrrrrrrrr faucccccccccccccch...

Schreibende Anwälte gibt es auch noch mehr.
Der am 29.12. gerade verstorbene Andrew Vachss z.B. hat eine ganze Romanserie über den einsamen Groszstadt-Privatermittler Burke geschrieben. Da geht es ausnahmslos um Kindesmiszbrauch und das zu lesen ist schon hart an der Grenze.
Ich mag die Bücher aber sehr, denn er kann einfach gut schreiben (was mich bei vielen der sogen. Bestsellerautoren arg enttäuscht), und die skurrilen Figuren um Burke herum (eine alte dubiose Mafia-Chinsesin, ein taubstummer mongolischer Krieger, ein Schrottplatzbesitzer, eine Transe vom Strich etc.) bringen ganz viel Kreativität mit - auch wenns eher Kriminelle ist - und arbeiten perfekt zusammen, lösen Probleme selbstbestimmt und auf ihre eigene Art. In der Rahmenhandlung geschieht da immer auch noch sehr viel...
Für mich sind das Bücher, die ich kaum vor der letzten Seite aus der Hand legen mag.
Vachss schreibt aus Erfahrung und die Wirklichkeit sei noch viel grausamer als die Bücher, betonte er in Interviews.

Ein andrer schreibender Anwalt ist Ulrich Hambitzer aus Köln.
Leider gibt es von ihm, so weit ich weisz, bisher nur zwei Bücher:
"De lege artis" und "Error in persona".
Besonders seine Beschreibung der Kultur der in D lebenden Sinti und Roma in "De lege artis" sucht Ihresgleichen und erhellt (für mich) so Einiges...
Ziemlich leicht zu lesen, auch mit Humor, aber keine "seichte" Lektüre.
Ich wünsche Herrn Hambitzer jedenfalls viel Zeit für neue weitere Bücher.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Geologie für Dummies
v. Alecia M. Spooner

Die Vulkanausbrüche der letzten Zeit, auf Island, La Palma und Tonga - haben mich veranlasst, mir eins meiner Lieblingsbücher wieder mal vorzunehmen.

Ich wollte nachlesen, wie die Kontinentalplatten sich verschieben, wo die Hotspots für Erdbeben sich befinden und was die physikalischen und chemischen Grundlagen für diese spektakulären geodynamischen Ereignisse sind.

Und, wie immer bei diesem Buch, habe ich mich festgelesen. Kam von Meteoriteneinschlägen auf Massensterben und von der Klassifizierung der Gesteine auf die Entstehung der Elemente.

Mit dieser Lektüre kann man und auch frau

• Die Entwicklungsgeschichte der Erde nachvollziehen
• Die chemischen Grundlagen der Geologie verstehen
• Aufbau und Struktur von Mineralien und Gesteinen studieren
• Erfahren, wie endogene und exogene Prozesse die Erdoberfläche formen

Wer schon mal staunend vor einer Steilwand gestanden hat und sich gefragt hat, wie diese „Tortenschichtung“ zustande kommt, dem sei dieses spannende und leicht lesbare Werk wärmstens empfohlen!

Ich selbst habe das Glück, ganz in meiner Nähe einen Geologischen Lehrpfad zu haben, wo ich auf Info-Tafeln sehen und nachlesen kann, wie die Gesteinsbrocken links und rechts des Pfades mit den Gletschern der verschiedenen Eiszeiten von Skandinavien bis in den Tagebau Schleenhain gewandert sind.
Auf dem Geologischen Lehrpfad
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Ulysses - der Brühwürfel der Weltliteratur
Weil dieser Roman jetzt hundert Jahre und einen Tag alt ist und ich immer wieder gerne darin lese und er definitiv eines der Bücher ist, die ich auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde: James Joyce's "Ulysses", den "Brühwürfel der Weltliteratur", wie Kurt Tucholsky ihn einmal bezeichnete. Er stöhnte über den 1500-Seiten-Wälzer auf seinem Nachttisch, dennoch hat er 1927 etwas Schlaues über ihn geschrieben:
"Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden."

Am 2. Februar 1922, dem 40sten Geburtstag des in Zürich begrabenen Iren Joyce, erschien eines der wichtigsten und innovativsten Bücher der Moderne. Das heißt: In Großbritannien blieb es bis 1936 verboten, der Zoll verfeuerte Schwarzimporte, in den USA brauchte es ein sensationell literaturkluges Gerichtsurteil von 1934.

"Ulysses" galt als ordinär und versaut, dabei kommt gar kein echter Sex vor.

Eine Gefahr ging von dem Buch ohnehin nie wirklich aus, es hat ja kaum jemand (ganz) gelesen.

"Ulysses" ist das größte Paradoxon der Literaturgeschichte: einerseits schwindelerregend voll von Perspektivwechseln, Wortspielen, Zitaten, Anspielungen aus Mythologie, Theologie, Literatur, Geschichte, Songs. Und andererseits Anlass für das größte literarische Volksfest Europas, den "Bloomsday" am 16. Juni in Dublin, der natürlich mit leicht urinösen Schweinsnierchen zum Frühstück beginnt. Die Party folgt dem Roman: einen Tag und eine Nacht mit dem Junglehrer Stephen Dedalus und dem etwas gedrückten Anzeigenverkäufer Leopold Bloom durch die Stadt.

Weil eigentlich nichts passiert, tun sie, was man eben so tut: schwadronnieren, essen, fluchen, die rotzgrüne See besingen, masturbieren, sie gehen aufs Klo und einen heben, versacken walpurgisnachtreif im Rotlichtviertel und - am folgenschwersten - sie lassen ihre Gedanken schweifen.

Joyce hat diesen "stream of consciousness" nicht erfunden, aber im "Ulysses" zur Meisterschaft geführt. Das kann sehr anstrengend sein, ist aber enorm musikalisch.

Wer einmal probieren möchte, kann im Kapitel vier starten und mit Bloom frühstücken, oder in Kapitel zehn den Spuren von 19 Dublinern folgen. Oder im Schlusskapitel ("Penelope") heimlich Molly Blooms Nachtgedanken lauschen. Die haben übrigens selbst Tucholsky tief beeindruckt.

Ich lese den "Ulysses" jetzt zum ungefähr sechsten Mal in einem Zeitraum von ungefähr 45 Jahren, und entdecke jedes mal immer noch zusätzliche neue Bezüge und Ebenen, die sich mir eröffnen. Ein wahrer Schatz!
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Nicht mehr ich
v. Doris Wagner

Die letzten Wochen hatte ich nichts Gescheites mehr zu lesen. Was ich angefangen habe, hat mich dann nicht mehr interessiert oder war mir zu anstrengend.

Jedenfalls habe ich vorgestern ein Video auf YouTube gesehen über die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche. Da gab es ein Gespräch zwischen einer ehemaligen Nonne und ihrem Bischof.

Und da wurde ich auf das Buch aufmerksam. Es ist total spannend und erzählt die Geschichte einer ehemaligen Nonne und ihrer Erlebnisse im Kloster.

Ich kann mir zwar ungefähr vorstellen, wie jemand tickt, der gläubig ist, aber die Innenansicht der katholischen Kirche kannte ich natürlich nicht.

Die Strukturen, die Hierarchie, die Methoden, mit denen gutgläubige (im wahrsten Sinne!) junge Menschen dort zurechtgebogen werden - das fand ich spannend und auch haarsträubend.

Unbedingt lesenswert! *les*
*******ata Frau
27.962 Beiträge
war Lesefutter in meiner Kindheit! die Bücher von Karl May

würde ich sie heute noch lesen?
ich glaube nicht-



Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul;
eigentlich Carl Friedrich May) war ein deutscher Schriftsteller.
Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen.
Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache
und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller.

Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_May

neu war für mich, dass er auch Musiker und Komponist war
*******enig Mann
9.841 Beiträge
ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, aber ich glaube fast, dass ich noch nie ein Karl May Buch gelesen habe, auch nicht als Kind oder Jugendlicher. Ich sollte mal unsere Bücher durchforsten, vielleicht habe ich ja doch etwas gelesen und die Lektüre einfach nur verdrängt... *zwinker*
*******ata Frau
27.962 Beiträge
ich hab als Kind die Erzählungen rund um Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah verschlungen (ich hatte von klein auf ein Faible für den Orient)

Winnetou hab ich gar nicht gelesen, den gab es ja damals als Filme
• haben mein Vater und ich immer gemeinsam geguckt-
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Ich besaß etwa 22 Bände selbst und habe mir zusätzliche bei FreundInnen und in der Bibliothek ausgeliehen. Als ich später, im Alter von 30 Jahren etwa, einmal gründlich ausmistete und dabei erneut in den Bänden blätterte, verstand ich allerdings nicht mehr, weshalb mich diese je so fasziniert hatten.

Und dann, mit Mitte 50, auf einer Reise durch Südtunesien, als wir mit dem Jeep vor dem großen Salzsee standen, zog unser Reiseleiter tatsächlich unvermutet die Kopie eines Texts aus der Tasche, und las die Stelle vor, wo Karl May beschreibt, wie bei einer dramatischen Verfolgungsjagd durch die Sahara der Bösewicht auf seinem Kamel just in diesem Salzsee einbricht und untergeht, und beim Zuhören wurde mir erneut deutlich, wie gut May das zu beschreiben wusste, ich erinnerte mich damals auch sofort an die Stelle und die inhaltlichen Zusammenhänge, die ich einst als Teenager verschlungen hatte.

Bei meinem letzten Umzug vor sechs Jahren habe ich mich dann endgültig von den letzten bis dahin verbliebenen gebundenen Karl-May-Bänden getrennt und sie in einen dieser öffentlichen Bücherschränke gestellt, die von wohltätigen Vereinigungen und Privatpersonen auf freiwilliger Basis gepflegt und betreut werden, die man hier an mehreren Orten in der Stadt findet und die sehr gut angenommen und frequentiert werden. Jeder darf dort stöbern und Bücher entnehmen, ist aber gebeten, einen freiwilligen Obolus in selbstgewählter Höhe in ein dabeistehendes Kästchen zu entrichten. Das Geld, das so zusammenkommt, geht an diverse karitative Projekte. Als ich kürzlich wieder etwas einstellte, sah ich dort einen sehr zerlesenen Karl-May-Band stehen, nahm ihn in die Hand und stellte fest, es war tatsächlich einer, der einmal mir gehört hatte. Ich war fast gerührt und schloss daraus, dass Karl May durchaus auch heute noch Leser zu finden scheint, so er denn irgendwo angeboten wird. Im Buchhandel ist er mir allerdings seit Jahren nicht mehr begegnet.
*******enig Mann
9.841 Beiträge
Karl May's Winnetou & Co. ist heute durch Rowland's Harry Potter Geschichten ersetzt worden, deshalb findet man den vermutlich nicht mehr im Buchhandel... *zwinker*
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Zu meiner Überraschung habe ich vor einigen Jahren zufällig entdeckt, dass es einen Kreis von Karl-May-Interessierten gibt, der sich regelmäßig in einer Freiburger Bildungsstätte zu Symposien trifft, ein kleiner aber feiner Kreis mit Menschen aus unterschiedlichsten Fachrichtungen. Corona hat auch hier für eine Unterbrechung gesorgt, es musste abgesagt werden, aber ich stelle hier mal das Programm des letzten Symposiums ein, das geplant war. Für Hard-core-Fans steht ganz unten ein weblink:

Am Wochenende 21./22. März 2020 findet in Freiburg im Breisgau in der Akademie für Weiterbildung WALDHOF das 7. Freiburger Karl-May-Symposium zum Thema

„Die Indianer kommen!“ Karl May und der Rote Gentleman

statt.

Folgendes Programm ist vorgesehen:

Samstag

12.30 Uhr Mittagsimbiss für Frühanreisende: „Eintopf nach Apatschenart“
14.00 Uhr Begrüßung durch den Akademieleiter, Dr. Karl K. Schäfer, und Michael Rudloff (Karl-May-Freundeskreis Freiburg), Grußwort Dr. Johannes Zeilinger (KMG)
14.30 Uhr Dr. Christian Wacker (Archäologe, Historiker, Direktor Karl-May-Museum, Radebeul): „Karl May und die Indianer-Begeisterung der Deutschen“
15.30 Uhr Dr. Frank Usbeck (Amerikanist, Historiker, Völkerkundler, Dresden) „'Deutsche Stämme': Nation, Identität und Indianerbegeisterung seit dem 19. Jahrhundert“
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr Prof. Dr. Günter Schnitzler (Germanist und Musikwissenschaftler, Freiburg): „Das Indianerbild bei Charles Sealsfield“
18.00 Uhr Abendliches Buffet
19.00 Uhr Ehrung
19.15 Uhr Dr. Ulrich Scheinhammer-Schmid (Historiker und Germanist, Neu-Ulm): „Du wirst unserem Volk das Fliegen lehren: Indianische Wissenschaft in Karl Mays Schwanengesang“
anschl. Ausklang und Gespräche

Sonntag

7.45 Uhr Frühstück
8.45 Uhr Dr. rer. nat. Eckehard Koch (Dipl.-Geo-Physiker, Köln): „Indianische Lieblingsstämme von Karl May – Fantasie und Wirklichkeit“
9.45 Uhr Lorenz Hunziker (Schweizer Karl May-Freundeskreis, CH-Jona): „‘Die Indianer sind Kinder geblieben.‘ Einschätzungen zu einer Aussage Karl Mays in Winnetou IV“
10.45 Uhr Kaffeepause
11.15 Uhr Prof. Dipl.-Ing. Manfred Schlatter (Maschinenbau, Duale Hochschule Lörrach): „Winnetous Kinder - Indianer heute“
12.30 Uhr Prof. Dr. Albrecht Goetz von Olenhusen (Jurist, Heinrich-Heine Univ. Düsseldorf): „Fröhliche Wissenschaft – Blick zurück nach vorn: Die Freiburger Karl-May-Symposien 2012 bis 2020“
12.45 Uhr Schlussdiskussion
13.00 Uhr Mittagessen und Ende der Tagung

Das Symposium wird vom Kulturamt der Stadt Freiburg gefördert.
WALDHOF Akademie für Weiterbildung, Im Waldhof 16, 79117 Freiburg-Littenweiler, Tel.: 0761-67134, Fax: 0761-66584, Email: anmeldung@waldhof-freiburg.de
http://www.waldhof-freiburg.de
=======================================
Im Vorprogramm zum Symposium findet am Donnerstag, den 19.03.2020 ein Treffen des Karl-May-Freundeskreises Freiburg statt. Hans Grunert, Dresden wird unter dem Titel

„Der Raum, den ich betrat, war die Bibliothek. An allen vier Wänden gab es hohe Stellagen“

einen Blick in Karl Mays Bibliothek ermöglichen. Diese ist nicht zuletzt auch deshalb für die Forschung wertvoll, da sie Einblicke in seine Arbeitsweise ermöglicht. Welche Bücher besaß er und welche verwertete er als Quellen für seine Werke? Wie arbeitete er hierbei? Plagiierte er durch die Übernahme ganzer Passagen oder reichte ihm ein kleiner Impuls als Initialzündung für seine Phantasie? Zu diesen und weiteren Fragen kann niemand besser Auskunft geben als Hans Grunert, der ehemalige Kustos des Karl-May-Museums, der sich schon lange Jahre mit Karl Mays Bibliothek beschäftigt.

Ort: Restaurant "La Stazione" in Freiburg-Wiehre (im neuen Wiehre-Bahnhof), Gerwigplatz 20
Wie gewohnt beginnt der offizielle Teil um 19 Uhr, wer möchte kann aber gerne schon um 18 Uhr kommen, um gemeinsam zu Abend zu essen und nette Gespräche zu führen. Interessierte und Gäste sind herzlich willkommen. Eintritt frei.

Veranstalter: Karl-May-Freundeskreis Freiburg
Homepage: http://karlmay-freiburg.de.tl/

*******back Frau
4.154 Beiträge
Rainer Buck hat 2012 eine etwas andere Biografie über Karl May geschrieben, die ich sehr gerne gelesen habe.
Vielleicht mag ja noch jemand darin stöbern.
Der Link geht zu eine Seite für gebrauchte Bücher. Es gibt das Buch aber auch noch neu.

https://www.booklooker.de/B% … iche-Glaube/id/A02v6jRo01ZZ8
*******eben Mann
534 Beiträge
Gruppen-Mod 
Das einzige Werk, das ich jemals von Karl May gelesen habe, ist sein Schauspiel "Babel und Bibel" ... eine Art Mysterienspiel, in das Karl May wohl viel Herzblut und Hoffnung gesteckt hat. Er sah es wohl mit als eine Krönung seines Werkes an.

Es wird daraus klar, dass Karl May sich sehr viel über Religion und Philosophie Gedanken gemacht hat und hier auch seinen Beitrag leisten wollte. Die dramatische Technik ist etwas veraltet, da er wohl vorher die "Dramatische Handwerkslehre" von Avoniamus gelesen hat, nach dem Shakespeare der einzige wahre Meister des Theaters war. Ich habe auch mal versucht, im 20.Jahrhundert Shakespeare-Szenen zu schreiben. Das Ergebnis war unfreiwillig komisch. So gibt es dann auch bei Karl May einige leider etwas unfreiwillig komische Szenen. Auch einiges Zeitbedingte spielt herein.

Es ist kein Werk, das man gelesen haben muss, aber für einen Karl May-Fan insofern wichtig, weil man etwas in sein Herz schauen kann. Es kein "böses" Buch. Ich würde es nicht mal als schlecht bezeichnen. Es hat mir insgesamt deshalb gut gefallen, weil ich durch dieses Werk Karl May als einen Menschen auf der Suche nach einem tieferen Sinn im Leben gesehen habe. Dabei hat er weitgehend verzichtet, auf vorhandene religiöse oder philosophische Phrasen zurückzugreifen. Das rechne ich ihm hoch an. Andererseits hat dadurch keine Gruppe ihre Phrasen im Werk wiedererkannt und es dadurch quasi "adoptiert". So ist es in Vergessenheit geraten.
*******enig Mann
9.841 Beiträge
Shakespeare ist für das Theater das, was Bach für die Musik ist. Die Referenz, das Urmeter, auf dem vielleicht nicht alles, aber doch vieles aufbaut.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Habt ihr euch schon mal gewundert, warum Hummeln oft, nachdem sie auf einer Blüte gelandet sind, sofort wieder abfliegen? Sie hinterlassen eine Duftspur, die nachfolgende Hummeln gleich erkennen lässt, dass hier vor Kurzem schon jemand war und sich die Nektarsuche nicht lohnt. So sparen sie Zeit und Energie.

Wenn ihr noch mehr über Hummeln wissen wollt, kann ich euch dieses Buch empfehlen:

Dave Goulson, Und sie fliegt doch

Vor allem gibt es einen spannenden Einblick in die mühsame wissenschaftliche Feldforschung.
Unbedingt lesenswert!
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Ruth Weiss, Die kunstvolle Entsorgung meiner Familie.

Norbert Wild, als begnadeter Fälscher zu Wohlstand gekommen, erfährt viele Jahre nach Ende des Krieges, dass die äußerst wertvolle Kunstsammlung seines jüdischen Vaters, die während der Nazizeit verschwunden war, wieder aufgetaucht ist. Er fasst den Beschluss, Alleinerbe zu werden, und tut, was er kann und was getan werden muss, damit niemand anders ihm das Erbe streitig machen kann.

Der neue Krimi von Ruth Weiss strotzt vor schwarzem Humor: ein echter „page turner“, spannend und unterhaltsam bis zur letzten Seite, bei dem nicht nur Krimifreunde voll auf ihre Kosten kommen.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Dankeschön für den schönen Lesetipp, liebe @*******sima! Werde mir gleich mal eine Leseprobe herunterladen. *les*
*******enig Mann
9.841 Beiträge
Ich danke auch für den Literatur-Tipp! *g*
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Kristof Magnusson, Ein Mann der Kunst
KD Pratz ist ein Künstler der alten Schule, der sich jeglicher Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb verweigert hat. Seine Bilder werden hoch gehandelt, er ist weltberühmt, hat sich aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Mit der Welt, verlogen wie sie ist, will er nichts zu tun haben.

Der eigene Nachruhm aber liegt ihm am Herzen, und so sagt er zu, den Förderverein eines Museums zu empfangen, der den geplanten Neubau ausschließlich seinen Werken widmen will.

Die Mitglieder des Museums-Fördervereins sind nicht alle einer Meinung über die Bedeutung von KD Pratz, fühlen sich aber hoch geehrt, als ihnen ein exklusives Treffen mit dem Maler und ein Besuch auf seiner fast schon legendären Burg am Rhein in Aussicht gestellt wird.

Wie die Kunstfreunde bei dieser Begegnung nach und nach ihre Contenance verlieren, als der Meister ihnen die Unvollkommenheit der Welt und ihre eigene um die Ohren haut, die Welt der Kunst niedermacht und gleichzeitig seine eigene Größe inszeniert, davon erzählt Kristof Magnusson und leuchtet dabei die Untiefen des Kunstbetriebs aus.

Absurd, humorvoll und entlarvend. Vergnügliche Lesestunden auf höchstem Niveau.
*******enig Mann
9.841 Beiträge
Und wieder ein wertvoller Lesetipp! Höchste Zeit, dass ich wieder einmal im Buchladen vorbei schaue. Werde ich gleich morgen hinfahren...
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Martin Suter: Melody
In Martin Suters neuem Roman "Melody" wird eine vor 40 Jahren verschwundene Frau gesucht. Eine Hauptrolle hat das Erzählen selbst, auch wenn es nur langsam Fahrt aufnimmt.

"Könnte es sein", wundert sich Tom, "dass jemand, an den man so lange intensiv dachte, tatsächlich präsent würde?" Der 30-jährige Jurist, der nach seinem zweiten Abschluss diesen absurd gut bezahlten Job in einer Zürcher Villa bekommen hat, denkt dabei nicht nur an die Geräusche, die nachts aus einem Zimmer kommen, in dem der schwer kranke Hausherr regelrechte Altare für seine vor 40 Jahren mysteriös verschwundene Geliebte eingerichtet hat. Sondern an die Obsession seines Arbeitgebers.

"Melody", der neue Roman des 75-jährigen Schweizer Erfolgsautors Martin Suter, ist halb Kaminzimmererzählung, halb Detektivgeschichte und führt auf klassisches Suter-Terrain: Das Setting ist elegant, die Hauptfigur machtbewusst und manipulativ, die Geschichte doppelbödig. Der steinreiche Peter Stotz war Politiker, hat aber noch "lieber Politiker gemacht", eine graue Eminenz der Schweiz, deren Name zum Verb für Strippenzieherei wurde. Doch nun geben die Ärzte dem 84-Jährigen noch ein Jahr, er klingelt mit Fußschaltern unter dem Teppich nach Bediensteten, hält sich zur Unterhaltung einen Autor und hat nun den bisher vom Vater gepamperten Tom damit beauftragt, seinen Nachlass zu sortieren: Geschäftsunterlagen, Zeitungsberichte, Skandale – die schlechten sollen in den Schredder, der bereinigte Rest soll seinen Ruf glänzen lassen. Es ist Toms erster Job, und er verpflichtet sich, ein Jahr in der Villa des undurchsichtigen Alten nach dessen Regeln zu leben, was bedeutet, mit dem sterbenskranken Mann ab Mittag zu saufen, wenn man das bei sündhaft teuren Armagnacs und Weinen so nennen darf. Und jeden Abend Stotz’ Geschichte seiner Geliebten zu hören, als sei darin sein wahrer Auftrag verborgen.

Stotz verfiel vor 40 Jahren der hinreißenden, zwanzig Jahre jüngeren Buchhändlerin Melody, die mit Familie aus Marokko in der Schweiz gelandet ist und ihm recht umstandslos folgt. Der Eroberer alter Schule hüllt sie in ein Brautkleid für 54.000 Francs, während sich die Familie von ihr abwendet und der radikalisierte Bruder sie wüst bedroht. Weil nur Stotz von ihr erzählt, weiß man nicht, was sie an ihm findet. Bis sie kurz vor der Hochzeit verschwindet. Wurde sie entführt? Ist sie vor den Morddrohungen der Familie geflohen, oder aus Angst vor der Hochzeit, an der Seite eines Liebhabers?

"Melody" ist der erste "echte" Suter seit sechs Jahren, in denen er seine "Allmen"-Serie weiter schrieb, als irritierend eingebetteter Biograph des Ex-Fußballers Bastian Schweinsteiger auffiel oder für den Musiker Stefan Eicher textete. Sein Millionenpublikum kann sich wieder an schlackenfrei eleganter und pointierter Prosa erfreuen, die sich mit geschliffenen Dialogen fast von selbst liest. Nur dauert es diesmal fast 200 Seiten, bis der Roman Fahrt aufnimmt. Denn trotz der mysteriösen Umschläge, geheimen Quittungen und Konten, Firmen, die "Schweigen" heißen oder rätselhafter Post aus Singapur, wirkt der Plot mit seinen klassischen Tricks etwas ungeölt – auch wenn am Ende alles sympathisch anders kommt.

Suters Bücher bauen ihre Spannungsbögen meist um ein Thema: die unheimlichen Fortschritte der Gentechnik ("Elefant"), Entgrenzung ("Dunkle Seite des Mondes"), Tamilische Einwanderer ("Der Koch"), das Gefängnis der Lebenslüge ("Lila, Lila"), Gefahren der Macht ("Montechristo"). "Melody" erinnert an "Die Zeit, die Zeit" (2012), wo ein verzweifelter Alter versucht, die Zeit zurückzudrehen vor den Tod seiner Frau. Auch in "Melody" dominiert eine Abwesende und ihre Beschwörung. Bei aller Machtbesessenheit sei Stotz im Grunde seines Herzens vor allem "ein großer, unglücklich Liebender". Meint seine Großnichte Laura, die Tom bei Recherchen hilft. Und ja, die zwei werden ein Paar, das weiß man bei der ersten Begegnung. Wirklich Profil gewinnen die beiden leider nicht.

Suters unaufdringliche Souveränität kippt mitunter ins Überinszenierte. Wenn sich der alte Opernfreund Stotz mit Melodys Bildnis vor den Kamin setzt, legt er ausgerechnet Led Zeppelins "Whole Lotta Love" auf: ein Haufen Liebe, ja gut. In der wieder filmreif ausstaffierten Luxuswelt wirkt die Bond-hafte Kennerschaft schon parodistisch: Eine Handtasche ist keine Handtasche, sondern die "Chanel 2.55, die Karl Lagerfeld 1980 neugestaltet hatte". Tom stockt beim Durchkämmen eines Schrankes von Stotz gar der Atem: "Er hielt Maßschuhe in seinen Händen." Oder sollte der junge Mann selbst so beeindruckt sein? Über weite Strecken sind alle dem alten Stotz ausgeliefert, der seine Version der Wahrheit deutlich weniger pointiert als Suter ausdrückt. Doch neben der Verschwundenen hat das Erzählen die zweite Hauptrolle. Tom und Laura setzen nach Stotz’ Ableben die Suche nach Melody fort, sie stoßen schnell auf konkurrierende Quellen und Stotz’ Version und Bild bekommen Risse. Die Geschichte könnte nun spannend zwischen Wahrheiten und Erzählungen oszillieren ("Ändert sich die Fiktion, wenn sich die Wahrheit ändert?"), doch verläuft sie bald sehr zielgerichtet. Aber nur scheinbar einfach. Denn Suter ist Herr über die Pfeile in seinem Köcher.
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Marlene Engelhorn: Geld
Mit ihrer Aussage, 90 Prozent ihres Vermögens abgeben zu wollen, hat Marlene Engelhorn Aufsehen erregt. In ihrem Buch erklärt die Millionenerbin, warum Spenden das Problem der Ungleichheit nicht lösen.

Marlene Engelhorn stammt aus dem BASF-Boehringer-Clan. Ihre Großmutter Traudl Engelhorn-Vechiatto, im vergangenen September mit 95 Jahren gestorben, war die Witwe von Peter Engelhorn, einem Urenkel des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn. Letzterer hatte 1865 in Mannheim die Badische Anilin- & Soda-Fabrik AG gegründet und so den Grundstein für Deutschlands größten Chemiekonzern gelegt. Der Urenkel Peter Engelhorn war Mitgesellschafter der Boehringer-Mannheim-Gruppe, die 1997 für viel Geld an den Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche ging.

Das Forbes-Magazin schätzt das Vermögen der Familie auf 4,2 Milliarden Dollar. Wie viel davon Enkelin Marlene gehört, ist unklar. Schätzungen gehen von einem zweistelligen Millionenbetrag aus. Für die 31-jährige Germanistikstudentin aus Wien ist dieser "Überreichtum" eine Last. Sie hadert mit dem reichsten einen Prozent der österreichischen Bevölkerung, zu dem sie nun gehört.

Die Geschichte vom Selfmade-Millionär sei ein Mythos, schreibt sie. "Es gibt keinen einzigen Menschen, der ganz allein überreich geworden ist." Vielmehr sei individueller Reichtum in dieser von neoliberalem Kapitalismus geprägten Gesellschaft strukturell mit kollektiver Armut verknüpft, so Engelhorn. Nur die großzügigen Erbschaftsregelungen und die fehlende Besteuerung von Vermögen ermöglichten das Anhäufen riesigen Besitzes. "Die Geburt ist der wichtigste Geld-Faktor", so ihr Fazit. Dies erinnere an feudale Verhältnisse und sei nicht nur ungerecht, sondern Gift für die Demokratie.

Engelhorn befasst sich mit der Lage in Österreich, wo ein Prozent der Bevölkerung 40 Prozent des Vermögens besitzt. In Deutschland sieht es nicht wesentlich anders aus: Der Bundesbank zufolge hielten 2021 die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als 50 Prozent des Vermögens. Die Autorin sieht den Fehler im System. Einem System, in dem Geld Macht bedeute.

Reiche seien nicht nur in den Medien überrepräsentiert und besetzten in der Wirtschaft die besten Posten, kritisiert sie, sie prägten durch teure Lobby-Arbeit (oder Korruption) die Gesetzgebung. Politische Mitbestimmung sei "ganz klar an Vermögen geknüpft". Vorwiegend "alte, weiße Herren mit Zugang zu Vermögen oder Klassenprivilegien" hätten dieses System geschaffen. Einen Fuß in die Tür zu bekommen, falle weniger Privilegierten schwer. "In einer finanzialisierten Welt werden die Zugänge zur gesellschaftlichen Teilhabe über Geld geregelt."

Auch an anderer Stelle fasst Engelhorn ihre Kapitalismuskritik in klare Worte: "Wir leben in einem System, in dem fast alles mit Geld geregelt werden kann." Ihrer Ansicht nach üben Reiche – ob bewusst oder unbewusst – auch über Spenden und Stiftungen starken Einfluss aus. "Philanthropie dient Überreichen zur Sicherung ihres Status als wohlwollende Wohlhabende." Reiche wählten selbst aus, wen oder was sie unterstützten – anders als der Sozialstaat, der alle Menschen auffangen sollte. Engelhorn fordert daher, den Reichtum in den Händen einzelner "auf ein demokratisches Maß" zu reduzieren – durch entsprechende Erbschafts- und Vermögenssteuern. Mit rund 60 weiteren Wohlhabenden fordert sie in der Initiative Tax Me Now (Besteuer’ mich jetzt) Steuergerechtigkeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Wer ernsthaft die Armut abschaffen will, muss auch ernsthaft den Überreichtum abschaffen wollen. Darum ist die Diskussion über eine Reichtumsgrenze wichtig."

Die junge Frau inszeniert sich als Millionärin wider Willen und wirkt in ihrer Argumentation authentisch. Doch drängt sich beim Lesen die Frage auf, was jemand, der hart schuftet und trotzdem nicht genug zum Leben hat, über ihre Selbstreflexionen denken würde, hätte er neben seiner Plackerei die Zeit, sie zu lesen. Konkrete Lösungen, so räumt die Autorin selbst ein, bietet das Buch nicht. Wie sähe eine gerechte Besteuerung aus? Wie ließe sich die Gesellschaft so gestalten, dass alle politisch mitwirken und ein System schaffen können, das niemanden bevorzugt?

Der erste Schritt dorthin, sagt die Autorin, sei das Reden über Geld. Dazu hat sie, das zeigt ihre Präsenz in der Öffentlichkeit, einen Beitrag geleistet. Hätte sie diese Aufmerksamkeit auch bekommen, wäre sie keine Millionärin?
*******enig Mann
9.841 Beiträge
Alle Geldprobleme aller Staaten, wirklich alle, wären mit einem Schlag erledigt, wenn die Reichsten den sprichwörtlichen und biblischen Zehnten bezahlen würden. Sie zahlen oft nicht einmal ein einziges Prozent Steuern und überlassen diese Bürde gerne den Normalsterblichen, die irgendwo zwischen Eingangs- und Grenzsteuersatz herumlavieren dürfen, während die Cleverlies aus der Forbes Liste einfach gar keine Steuern bezahlen. Legal, wohlgemerkt. Das Thema triggert mich und wir brauchen mehr Gewalt. Dringend. Aber es ist allen egal... und hier sollen ja Bücher besprochen werden und keine Kritik am Steuersystem geübt werden.
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Toni Morrison, Rezitativ
In der 1983 erschienenen und nun erstmals auf Deutsch übersetzten Erzählung "Rezitativ" spielt Toni Morrison mit der Wahrnehmung ihrer Leserschaft. Welche Protagonistin ist schwarz, welche weiß?

Von den 130 Kindern im Waisenhaus St. Bonny’s (niemand redete von St. Bonaventure) waren Twyla und Roberta die einzigen "Abservierten". Ihnen schauten die lieben verstorbenen Eltern nicht vom Himmel aus zu. Robertas Mutter war krank und Twylas tanzte nur gerne die ganze Nacht. Ein paar Monate teilen sich die beiden achtjährigen Mädchen allein ein Viererzimmer. Zwei Außenseiterinnen, die gut miteinander auskommen und schwierigen sozialen Verhältnissen trotzen. Später, als Erwachsene, kreuzen sich noch ein paar Mal ihre Wege, aber ihre Leben sind zu unterschiedlich verlaufen, als dass sie an die vergangene Verbundenheit anknüpfen könnten. Einfach eine schöne Kindheitserinnerung an eine kurze Zeitspanne, in der das Gute überwog, und die verblasst, wenn man erwachsen wird?

In einer anderen Welt vielleicht. Für die, in der wir leben, weiß Toni Morrison genau, welche Deutungsmaschinerie sie dadurch in Gang setzt, dass sie Twyla und Roberta als ein Paar wie "Salz und Pfeffer" charakterisiert. Die einzige Kurzgeschichte, die sie je veröffentlicht hat, nutzt die 2019 verstorbene US-amerikanische Nobelpreisträgerin für ein literarisches Experiment – oder ist es eher ein pädagogisch-aufklärerisches? Jedenfalls triggert Morrison einerseits sehr stark, dass eins der Mädchen doch wohl schwarz, das andere weiß sein müsste. Der Graben der Entfremdung zwischen Twyla und Roberta als Erwachsene scheint also eindeutig rassistisch grundiert. Nur, und das macht das großartig Schwebende, Irritierende dieser Geschichte aus, achtet die Autorin andererseits beim Schreiben akribisch darauf, keinem der beiden Mädchen Attribute zu geben, die eindeutig als Schwarz oder Weiß gelesen werden könnten.

Interpretiert man die Geschichte nun beispielsweise als lebendig gewordenen Alptraum von Trumpisten, Twyla also als traurige White-Trash-Existenz, an der selbst die damals analphabetische Zimmergenossin Roberta vorbeizieht, muss man in den eigenen Vorurteilen wühlen, um so eine Lesart zu begründen. Auch wer den Reflex verspürt, die Frau, die als Gattin eines erfolgreichen IT-Spezialisten in Limousine mit Chauffeur vorfährt, automatisch als Weiß zu lesen, wird im Text dafür keine Argumente finden. Toni Morrison verweigert sie.

Im Nachwort, für das mehr Worte zur Verfügung stehen als Morrison für ihre Geschichte braucht, vermutet die britische Schriftstellerin Zadie Smith, dass die Leserin sich tendenziell mit der Ich-Erzählerin identifiziert. Für Weiße wäre Twyla also weiß, für Schwarze schwarz. Sollte das stimmen, wäre das ein weiterer Hinweis, wie großartig Morrison ihr Experiment geglückt ist. Denn das Einzige, was die Autorin vorgibt, ist eine Differenz. Wie die Lesenden sie mit vermeintlichen Bestimmungen von Schwarz und Weiß füllen, ist reine Projektion. Dass es mühelos unabhängig davon funktioniert, welche Farbgebung gewählt wird, zeugt von hoher Erzählkunst. Und die nutzt Morrison für ein Plädoyer, die Benennung von sozialen Missständen nicht mit der Zementierung von Farbzuschreibungen an die Wand zu fahren.

Für mich beeindruckend ist zusätzlich auch die Übersetzungskunst von Tanja Handels, die das farblos Ungefähre in einer auf konfrontative Schwarz-Weiß-Logik geeichten Welt auch auf Deutsch gleichermaßen in der Schwebe hält wie der englische Originaltext.
*******sima Frau
2.530 Beiträge
Julian Schmidli, Zeit der Mauersegler.
Eine rasante Reise durch eine ungleiche Freundschaft.
Erstlingsroman eines Schweizer Journalisten und Filmemachers. Soeben erschienen. Dieses Wochenende gelesen. Spannend. Berührend. Unerwartete Wendungen. Sehr angetan! Lesempfehlung.
*******enig Mann
9.841 Beiträge
Zitat von *******sima:
Kristof Magnusson, Ein Mann der Kunst
KD Pratz ist ein Künstler der alten Schule, der sich jeglicher Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb verweigert hat. Seine Bilder werden hoch gehandelt, er ist weltberühmt, hat sich aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Mit der Welt, verlogen wie sie ist, will er nichts zu tun haben.

Der eigene Nachruhm aber liegt ihm am Herzen, und so sagt er zu, den Förderverein eines Museums zu empfangen, der den geplanten Neubau ausschließlich seinen Werken widmen will.

Die Mitglieder des Museums-Fördervereins sind nicht alle einer Meinung über die Bedeutung von KD Pratz, fühlen sich aber hoch geehrt, als ihnen ein exklusives Treffen mit dem Maler und ein Besuch auf seiner fast schon legendären Burg am Rhein in Aussicht gestellt wird.

Wie die Kunstfreunde bei dieser Begegnung nach und nach ihre Contenance verlieren, als der Meister ihnen die Unvollkommenheit der Welt und ihre eigene um die Ohren haut, die Welt der Kunst niedermacht und gleichzeitig seine eigene Größe inszeniert, davon erzählt Kristof Magnusson und leuchtet dabei die Untiefen des Kunstbetriebs aus.

Absurd, humorvoll und entlarvend. Vergnügliche Lesestunden auf höchstem Niveau.

Ich habe das Buch heute nach längerer Pause endlich ausgelesen und es ist gut. Jetzt kann ich mich also an die kunstvolle Entsorgung der Familie von Ruth Weiss machen, die liegt schon auf dem Schreibtisch. *g*
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