Unterwerfung
Es ist die "Unterwerfung", sagte Rediger leise. Der nie zuvor mit dieser Kraft zum Ausdruck gebrachte grandiose und zugleich einfache Gedanke, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht. (…) Auch für mich besteht eine Verbindung zwischen der unbedingten Unterwerfung der Frau unter den Mann, wie sie in der "Geschichte der O" beschrieben wird, und der Unterwerfung des Menschen unter Gott, wie sie der Islam anstrebt.
Um es vorweg zu sagen: „Soumission", so der französische Titel, schildert zwar die Machtübernahme eines muslimischen Präsidenten in Frankreich, doch mit keiner Zeile liefert Autor Michel Houellebecq antiislamische Argumente oder Parolen. Vielmehr handelt es sich um einen Abgesang auf die westliche Gesellschaft, ein bitterböse Satire auf das laizistische Abendland, das an seinem...
... atheistischen Humanismus zugrunde gehen wird.
Der Literaturwissenschaftler François lebt vereinsamt und zurückgezogen in seiner finsteren Pariser Wohnung, unfähig emotionale Bindungen einzugehen, weil er die Idee der romantischen Liebe ablehnt.
Ein Zusammenleben hätte sicher bald zum Verlust unseres sexuellen Begehrens geführt (…) Heutzutage ist es vernünftiger, als Paar nicht zusammenzuziehen, bis man die die fünfzig oder sechzig erreicht hat (…), wenn die Landesküche (…) wichtiger wird als jede andere Lust.
Als Annelise sich auf ihr Sofa plumpsen ließ (…) dachte ich über ihr Leben nach und über das Leben der westlichen Frauen im Allgemeinen. Morgens föhnte sie sich die Haare und kleidete sich sorgfältig (…) Es musste sie jedenfalls viel Zeit kosten, ehe sie dann die Kinder in den Kindergarten brachte, den Tag mit Mails, am Telefon und in verschiedenen Meetings verbrachte, gegen einundzwanzig Uhr erschöpft nach Hause kam, zusammensank, in Sweatshirts und Jogginghose stieg und sich in diesem Aufzug ihrem Herrn und Meister präsentierte, der wiederum das Gefühl haben musste (…) verarscht worden zu sein, und auch sie selbst hatte das Gefühl verarscht worden zu sein…"
François pflegt weder Freundschaften noch hat er Kontakt zu seinen Eltern. Und Houellebecqs Antiheld hat sich eine Art Kopulationspragmatismus angewöhnt: mit durchschnittlich einer Studentin pro Studienjahr und bezahltem Sex via Internet.
Alles in allem waren die beiden Escorts in Ordnung, aber trotzdem nicht genug, als dass ich Lust darauf gehabt hätte, sie wiederzusehen oder regelmäßigen Kontakt mit ihnen zu pflegen, und auch nicht so gut, dass sie mir Lust aufs Leben gemacht hätten. Sollte ich also sterben?
Neben der Romantischen Liebe stellt François somit auch die Sinn- und Seelenlosigkeit seiner flüchtigen, erotischen Begegnungen in Frage und findet sich somit in einem Dilemma. Trifft er eine seiner Ex-Freundinnen wieder, stellt er fest, dass auch sie vereinsamt sind:
So lag es auf der Hand, Das Aurélie es keineswegs geschaffte hatte, eine eheliche Beziehung aufzubauen, dass die Gelegenheitsabenteuer sie zunehmend ekelten, dass ihr Gefühlsleben kurz gesagt auf ein unumkehrbares und vollkommenes Desaster zusteuerte.
Während François in den ersten drei Teilen von "Unterwerfung" aus seinem Leben berichtet, spitzt sich im Hintergrund die politische Lage zu. Um im Wahljahr 2022 die Präsidentschaft der rechtsradikalen Marine Le Pen zu verhindern, einigen sich die Sozialisten mit der bürgerlichen Rechten darauf, in der Stichwahl den Kandidaten einer islamistischen Partei zu unterstützen. Er gewinnt, und fortan wird Frankreichs Regierung von gemäßigten Islamisten geführt. Deren langfristige Strategie ist die Islamisierung der europäischen Gesellschaften:
Diejenigen Paare, die sich zu einer der drei Buchreligionen bekennen, die an den Werten des Patriarchats festhalten, bekommen mehr Kinder als atheistische oder agnostisch Paare; die Frauen seien weniger gebildet, Hedonismus und Individualismus seien weniger stark ausgeprägt (…) Es stehe zu erwarten, dass der Anteil der monotheistischen Bevölkerung rasch steigen werde.
Unter der Bedingung, dass François zum Islam übertritt, bietet man ihm eine Professur an der Sorbonne an, verbunden mit dem dreifachen Gehalt und der Möglichkeit, mehrere Ehefrauen zu haben. Dass Frauen außerhalb der Wohnungen mittlerweile stets verhüllt auftreten, was ihn zunächst noch gestört hat, stellte für ihn kein Problem mehr dar:
Während die reichen Araberinnen tagsüber die undurchdringliche schwarze Burka trugen, verwandelten sie sich abends in schillernde Paradiesvögel: Mieder, transparente BHs, Strings mit bunter Spitze und Schmucksteinen, also genau das Gegenteil der westlichen Frauen, die sich tagsüber sexy und elegant kleideten (…) abends aber zusammensanken, in unförmige Freizeitklamotten stiegen und beim Gedanken an Verführungsspielchen nur müde abwinkten.
François landet bei seiner „Unterwerfung“ weich, lässt sich der Islam doch bruchlos mit seinen erotischen Vorlieben vereinbaren: der Polygamie. Der Untergang des Abendlandes ist bei Houllebecq eben gar nicht so schlimm:
Jede dieser jungen Frauen, mochten sie noch so hübsch sein, wäre glücklich und stolz, von mir auserwählt zu werden, und sich geehrt fühlen, mein Bett mit mir zu teilen. Sie wären es wert, geliebt zu werden (…)
Es (…) würde sich mir eine neue Chance bieten; es wäre die Chance auf ein zweites Leben, das nicht besonders viel mit dem vorherigen gemein haben würde. Ich hätte nichts zu bereuen.