Warum ich nicht mehr gläubig bin ...
Ich hab vor einigen Jahren im Zuge meiner Tageskliniktherapie Kontakt bekommen zur evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in Altenburg und hab dort an einem Sportangebot teilgenommen, das mir sehr gut gefallen hat. Es war sehr motivierend, und die Atmosphäre war schön, also sehr freundlich, und es gab zwar vorher und nachher Gebete, aber das hat mich jetzt nicht weiter gestört, man kann ja immer dafür dankbar sein, dass man lebt und gesund ist usw.
Dann hab ich entdeckt, dass sie einen sehr schönen Gottesdienst haben mit viel Musik, das fand ich toll … auch die Zeit vorher, ich bin dann immer schon eine halbe Stunde früher gekommen, hab mich oben in die Empore gesetzt und hab das genossen, die Stille und zu sich zu kommen … und dann die Musik … himmlisch.
Und ich hab mir erstmal nicht so viel Gedanken gemacht über religiöse Zusammenhänge.
Der nächste Schritt war dann … ach so, ja … das nächste war, dass ich meinen Reitunfall hatte, bei dem ich mir Hals und Rücken gebrochen hab, und dabei waren zwei Mädels aus der Gemeinde beteiligt. Und deren Eltern haben mir dann ganz dolle geholfen, haben mir ein Krankenbett besorgt, dass ich nicht auf dem Boden schlafen muss, und waren rührend um mich besorgt, haben mir eine vollständige Ausrüstung ins Krankenhaus gebracht, vom Nachthemd bis zum Waschlappen, und ich war total von den Socken …
Und auch später haben sie mir sehr viel auf der Ranch geholfen, auf der Agnes, haben Holz gespalten usw., während die zwei Mädels geritten sind … Ach so, das war vor dem Unfall, nach dem Unfall sind wir nicht mehr geritten.
Jedenfalls bekam ich im Lauf der Zeit immer mehr Kontakt zu ihnen und hab auch Freundschaften entwickelt. Ach ja, und nach dem Gottesdienst gab's immer ein Kaffeetrinken und, genau, dabei konnte man Kontakte knüpfen. Und da ich sonst wenig Sozialkontakte habe, war das für mich eigentlich ideal, es war herzlich, aber in einiger Entfernung, und ich konnte es wahrnehmen, wie ich wollte. Und das war mir wichtig, dass mir keiner ins Haus fällt, wenn ich ihn nicht erwarte und nicht gebrauchen kann.
Aber in letzter Zeit hatte ich mich immer mehr mit den Naturwissenschaften beschäftigt, vor allem mit Richard Dawkins und seinem Atheismus, und das hat mich sehr beeindruckt und im Nachdenken über Gott weitergebracht, also weiter in der Richtung, in die ich schon längst tendiert hab, nämlich dass die Welt wunderschön ist, das Weltall unermesslich und wir also bedeutungslos … und dass ein persönlicher Gott, aber auch ein Schöpfergott des Weltalls, beide genauso unwahrscheinlich sind … und dass wir sie auch gar nicht brauchen.
So bekam ich im Lauf der Zeit immer mehr Zweifel. Auch früher schon hab ich mir oft überlegt, dass die Religionen Konstrukte des menschlichen Geistes sind … das Gehirn hatte sich so weit weiterentwickelt, dass der Mensch ein Bewusstsein entwickelt hat von der Lage seiner selbst und von seiner Umgebung, und musste das einordnen, und dazu hat er Religionen entwickelt, es war einfach unabdingbar, dass er da überall Bedeutung reingelegt hat.
Aber die entscheidenden Fragen, die kamen erst vor ganz kurzer Zeit, da war mal eine Predigt, wo der Typ an der Kanzel was erzählt hat, dass die Frau dem Manne untertan ist, weil das in der Bibel so steht, eine freundliche Erinnerung, man soll doch mal ein bißchen zurückstecken … da war ich total schockiert, mir haben sich die Ohren gekringelt. Dafür hab ich nicht in der Frauenbewegung mitgemacht!
Das Nächste war eine Bibelstunde, wir sind einmal in der Woche zum Bibellesen mit Daniela zusammengekommen und sie hat das praktisch geleitet und uns immer eine Stelle zum Lesen gegeben, wir haben mit Moses angefangen usw., also 1. Moses, mit der Schöpfung, und da hat sich mir das immer deutlicher offenbart, dass ich damit nichts anfangen kann.
Das sind für mich schöne Geschichten, na, mehr oder weniger schön … und haarsträubend, wirklich haarsträubend war die Einstellung von Daniela und auch den andern, die dabei waren, dass das alles wörtlich zu nehmen ist. Ja, die Welt ist 6000 Jahre alt, weil's in der Bibel steht oder irgendein Bischoff in England das mal ausgerechnet hat vor einigen Jahrhunderten, ja, und Noah hat wirklich zwei und zwei Tiere da reingetan in die Arche, und dann kam die Sintflut … grrrrrrhh …
Und das Dollste ist ja die Erbsünde, also das hat mich schon lang gestört, ich dachte, was für ein abstruses, krankes Konstrukt! Welches kranke Gehirn hat die Erbsünde erfunden … und die Hälfte der Menschheit verdammt, weil sie weiblich ist … und einen Apfel von einem Baum genommen hat … also sowas Haarsträubendes kann ja eigentlich keiner ernst nehmen, oder?
Ich hab mich aus der Bibelstunde verabschiedet, hab ihr (Daniela) das geschrieben, dass ich frustriert bin, wenn solche Geschichten ernst genommen werden, und vor allem, was ein alter Wüstenstamm vor zweieinhalb Tausend Jahren, wenn man die ältesten Schriften nimmt, erzählt hat, aus seiner Perspektive, das kann für mich heute nicht mehr relevant sein außer als Literatur.
So. Dann hab ich mich immer mehr mit Richard Dawkins beschäftigt, und seine Argumente haben mich überzeugt, und ich hab gedacht: So denkst du eigentlich schon lange! Du hast dich nur nicht richtig getraut, du hast gedacht, najaaa, man kann ja mal versuchsweise an ihn glauben, denn wenn es ihn dann doch geben sollte, ist es doch sicherer, man hat vorher an ihn geglaubt, sonst wird man ja verdammt.
Ach, die Geschichte mit der Ewigen Verdammnis, ich sag euch was … Gott gibt uns zwar den freien Willen, aber wenn wir uns nicht entscheiden, an ihn zu glauben, dann werden wir verdammt in alle Ewigkeit, also nee, so'n Gott brauch ich nicht. Und dann sind nur wenige Gläubige errettet, also die paar Millionen, die an ihn glauben, und alle anderen Milliarden Menschen wären dann verdammt - also das ist ja, nee, also so - soviel Unsinn kann ich nicht schlucken.
Ein letztes Beispiel: Der Turmbau zu Babel. Das war für mich eine schöne Metapher, aber auch nur ne Kindergeschichte … Natürlich gab's in Babylon einen Turm, wie in vielen Religionen, bei den Mayas z.B. oder den Azteken, überall gibt's diese Stufenpyramiden, wo man Gott näher sein will, das ist ja auch ok, aber dass Gott die Sprachen der Menschen verwirrt hat, weil ihm das alles nicht gefallen hat … nee, nicht verwirrt, sondern die verschiedenen Sprachen erst erschaffen hat, das ist … lach … (die Linguistin muss herzhaft lachen)
… der Mensch hat ja die Sprachen selber entwickelt, und dass sie verschieden sind, ist doch ganz logisch, wenn die weiter auseinander wohnen und nicht mehr unmittelbaren Kontakt haben als eben nur mit der eigenen Gruppe … ja, jedenfalls die Entstehung und Entwicklung von Sprachen und die ständige Weiterentwicklung ist ja eines der überhaupt interessantesten Themen, die es gibt!
Das mit dem Glauben ist kein passiver Vorgang, bei dem ich zulasse, dass mir jemand den Glauben nimmt, sondern ein aktiver Erkenntnisprozess über einen langen Zeitraum hinweg ... ein Reifeprozess ...
Und jetzt bewege ich mich sozusagen in der dünnen Luft der Achttausender, zu der nur wenige Menschen Zutritt haben, weil ein gerüttelt Maß innerer Stärke notwendig ist ... und finde mich in der Gesellschaft der wenigen wirklich erwachsenen Geister, die den Mut haben, dem eigenen Tod, dem eisigen Atem der Ewigkeit und der eigenen Bedeutungslosigkeit ins Angesicht zu schauen ...
Den Glauben an das Gute und Schöne habe ich nicht verloren, im Gegenteil ... frei von der Drohung eines eifersüchtigen und jähzornigen Gottes, der mir mit dem Gedanken an Erbsünde und ewige Verdammnis Furcht einjagen könnte, verfüge ich über die Gestaltungsmöglichkeiten des wirklich freien selbstbestimmten Menschen, der seinem Leben selbst einen Sinn verleiht ...