Weisheit - ein alter Hut?
Unsere Stadt heißt "Bad Weisheit".Die Gründerväter und -mütter werden sich bei der Namensgebung etwas dabei gedacht haben - nur was?
Weisheit ist ein Begriff, worunter sich die meisten Menschen etwas vorstellen können: Heilige Schriften und Bibliotheken voller Bücher und Wissen, ein alter Mensch, der "weise" ist und seine Lebensweisheiten an die jüngere Generation weitergibt, kurze Aphorismen, die sich in Kalendern und anderen Schriften finden und nicht zuletzt, die Ratlosigkeit, die dann "mit ihrer Weisheit zu ende ist".
Was ist das eigentlich - Weisheit.
Der Begriff "sapiosexuell" geistert derzeit auch bei JC durch die Threads und Profile. "Weisheitsgeschlechtlich" klänge schon ziemlich schräg und auch nicht sonderlich attraktiv. Weisheit - das klingt nach viel Staub, irgendwie antiquiert und ziemlich out. Weisheitszähne kennen die meisten noch. Ansonsten scheinen noch die Esoteriker und religiöse Exoten sich für Weisheitstraditionen zu interessieren. Weisheit wird auch nicht an Universitäten und Akademien heute vermittelt, sondern Wissenschaft, Kompetenzen und Orientierungswissen.
Was ist also Weisheit?
Weisheit = griechisch: sophia;
σοφία; lateinisch: sapientia; hebräisch: ChoKhMaH; חכמה; Sanskrit:manīṣā; मनीषा
Bei den alten Griechischen, den Vorsokratikern galt ein Mann als weise, wenn er ein Meister seines Handwerks war. Ein guter Schmid, ein Bauer, der sein Land kultivieren konnte, ein König, der gut regierte galt als "Philosoph", als ein Freund der Weisheit.
Dann wurde aus dem Philosoph in der sokratisch-platonischen Zeit der Gelehrte, der Akademiker, der die Schriften und Überlieferungen systematisch studierte. Die Weisheit wurde akademisierte. Der Weise war ein Gelehrter, der über die Natur und den Menschen nachdachte und seine Bildung weitergab an die junge Generation. Lebenserfahrung spielte dort genauso eine Rolle wie das angeeignete Wissen anderer Gelehrter und die Auseinandersetzung mit den Theorien der Welterklärung.
Anders war es in den orientalischen Traditionen, die ebenfalls bis heute das Abendland prägen. Weisheit und Weisheitsliteratur, wie sie in der Bibel des Alten Testaments, vorkommt ist häufig wie im alten Ägypten eine Lehr- und Spruchweisheit. Naturereignisse werden beobachtet, menschliche Schicksale gedeutet und in Verse und Lieder gegossen. Nicht das logische Erfassen von Ursache und Wirkung ist hier wichtig, sondern die pragmatische Deutung alltäglicher Erfahrungen: "Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein" oder "Vögel haben Nester und Füchse haben Gruben, aber der Menschsohn hat nichts, worauf er seinen Kopf betten könnte". Weisheit ist also zunächst die Fähigkeit, mit den Wahrheiten des Alltags fruchtbar umzugehen. Und auch dies an die nächste Generation weiterzugeben in Form von Lehrsprüchen und Sprichwörtern. "Die Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit", damit ist nicht die Angst vor einer Gottheit gemeint, sondern die Ehrfurcht und den Respekt, was man als größer als sich selbst empfindet. Aus dieser Haltung heraus wird der Menschen nicht nur klug, sondern auch weise. Ein Freund des Lebens und der Weisheit.
Beide Traditionen - die griechische und die jüdisch-christliche, finden dann Eingang in die westliche Tradition, sowohl im akademischen Bereich wie auch in den Lebenserfahrungen des Alltags.
Bis ins 17. Jahrhundert galt als der als weise, der das gesammelte Wissen seiner Zeit präsent hatte - und zwar in seiner Person. Mit der Wissensrevolution im 18. Jahrhundert, der Aufklärung und dem Aufstieg des Bürgertums bis heute explodiert das Wissen so sehr, dass es kein Mensch mehr vorhalten kann. Der Begriff der Weisheit verschwand sozusagen aus dem Horizont der Gelehrten seit Leibniz.
Heute haben wir zwar grundsätzlich Zugang zum Wissen wie keine andere Generation vor uns, aber es gibt in diesem Sinne keinen "weisen" Universalgelehrten mehr. Wenn wir jemanden als "weise" empfinden, handelt es sich um seine private Einschätzung seiner Weisheit. Die "Wirtschaftsweisen" dürften wohl eher als exotisch-ironischer Ausdruck einer Gutachtertätigkeit gedeutet werden.
Der letzte, mir bekannte Versuch, den Begriff "Weisheit" für die Moderne zu rehabilitieren, unternahm der Wissenschaftsjournalist, Philosoph und Theologe Gert Scobel in seinem Buch: Weisheit - Über das, was uns fehlt, Köln 2008, 476 Seiten.
Wie und inwiefern könnte man sich also die Rehabilitierung oder Wiedergewinnung "der Weisheit" für unsere Zeit und die Moderne vorstellen?
Oder müssen wir uns doch mit solchen Begriffen wie "Wissen", "Kompetenz" oder "Orientierungswissen" begnügen?
Was wäre Weisheit für unsere heutigen Zeit, die den Begriff auch verdient?